Ausgerechnet in der heißen Vorweihnachtsphase wird der Weihnachtsmann – Codename: RED ONE – entführt. Callum Drift, Sicherheitschef des Nordpols, muss diesen Fall schleunigst zu lösen und den Weihnachtsmann wieder rechtzeitig vor dem Fest zurück an den Nordpol zu bekommen
Drift zwingt Jack O'Malley ins Boot, der einer der gefährlichsten Kopfgeldjäger und begnadetsten Spurenleser auf dem Planeten ist, dazu ein unzuverlässiger Vater und nach Callum Drifts Meinung also nicht der einfachste Zeitgenosse – also die perfekte Voraussetzung, den Weihnachtsmann aus den Fängen seiner Entführer zu befreien, um Weihnachten zu retten …
Hinreißend: ein Weihnachtsfilm im Gewand eines Actionfilms. Statt Plätzchen backender Mütter, abwesender Väter, schimpfender Omas und betrunkener Opas geht es im Genre-Vertreter des Jahres 2024 endlich mal rund. Der Weihnachtsmann wird entführt, Weihnachten steht auf dem Spiel, plötzlich stehen sich die Mächte der Erwartung im Kampf gegenüber und es muss höchst unchristlich geholzt werden, um Weihnachten, das Fest der Liebe, zu retten.
Es ist ein Kampf zwischen den archaischen Figuren des Nikolaus und des Krampus – im vorliegenden Film Stiefbrüder: Worum geht es am Weihnachtstag? Geht es um Belohnung der guten, braven, folgsamen Kinder? Oder um die Bestrafung der ungehorsamen, die in der Schule heimlich die Mitschülerin unterm Tisch getreten haben. Für letzteres steht die Hexe Gryla, die Weihnachtsmann "Nick" entführt, um dessen mächtige Energie abzuzapfen und mit dieser am Weihnachtsabend alle Sünderinnen und Sünder ultimativ abzustrafen, für immer in Schneekugeln zu verbannen. Wo doch der Weihnachtsmann immer an das Gute in Jederkind glaubt und sich davon durch nichts abbringen lässt.
Das ist eine interessante Ausgangssituation, weil sie eine ewig umtriebige Frage der Erziehung stellt: Zuckerbrot oder Peitsche? Aber würde es auf der Ebene bleiben, wäre der Film eine Sache für das Sonntagmorgenprogramm im, zum Beispiel, ZDF zwischen den Abenteuern der 3D-Biene Maja und der Zeichentrick-Bibi Blocksberg. Das Weihnachtsdrama aber geht in diesem Film tiefer.
Als unsicheren Kantonisten holt Regisseur Jake Kasdan (Jumanji: The Next Level – 2019; Jumanji: Willkommen im Dschungel – 2017; Bad Teacher – 2011) den Krampus ins Boot; unsicher, weil der zwar dämonisch aussieht, aber womöglich ein eher von ehemaligen Liebesgeschichten und von zurückgewiesener Bruderliebe enttäuschter Verbannter ist, der mit seinen Getreuen lustige Ohrfeigen-Partys im fernen Deutschland feiert, als ein dämonischer Unhold, der Kinder frisst.
Dann ist da Callum, der Sicherheitschef des Nordpols. Der hat nach mehr als 500 Jahren im Dienst gerade seinen Job gekündigt, weil er zwar die Kinder liebt, ihre Unschuld, ihre durch große Augen unterstrichenen Erwartungen an den Weihnachtsmann und das ganze Drumherum, aber die gedankenlosen Eltern, die ihre Kinder zum Nikolaustermin in der Shopping Mall nur in ihren Kalender dazwischen schieben, derweil am Handy Ehestreitigkeiten ausfechten oder die Wachskerzen am Stand nebenan zu klauen versuchen, nicht mehr erträgt. Diesen aufregenden Zweifler spielt Dwayne "The Rock" Johnson (Fast & Furious 10 – 2023; Jungle Cruise – 2021; Jumanji – The next Level – 2019; Fast & Furious: Hobbs & Shaw – 2019; Skyscraper – 2018; Rampage – Big meets Bigger – 2018; Jumanji: Welcome to the Jungle – 2017; Baywatch – 2017; Fast & Furious 8 – 2017; Central Intelligence – 2016; San Andreas – 2015; Hercules – 2014; Pain & Gain – 2013; Empire State – 2013; G.I. Joe – Die Abrechnung – 2013; Snitch – Ein riskanter Deal – 2013; Die Reise zur geheimnisvollen Insel – 2012; Faster – 2010; Zahnfee auf Bewährung – 2010; Die Jagd zum magischen Berg – 2009; "Daddy ohne Plan" – 2007; Doom - Der Film – 2005; Walking Tall – Auf eigene Faust – 2004; Welcome to the Jungle – 2003; The Scorpion King – 2002; Die Mumie kehrt zurück – 2001), also dürfen wir im Kinosessel Cullums unbedingter Integrität sicher sein.
Und schließlich ist da noch Jack O'Malley, Kopfgeldjäger, Fährtenleser, Vater eines Jungen aus dünn erklärter Beziehung – es fehlt das übliche Scheidungsgekeife, weil es wohl nie eine Beziehung, aber halt die Schwangerschaft gab –, der schon als kleiner Junge die Geheimnisse hinter dem Weihnachtsmann zu lüften glaubte und unter anderem deshalb auf der nikolausigen Sanktionsliste, der mit eher Rute statt Geschenk, ziemlich weit oben gelandet ist, also eine ordentliche Fallhöhe hergibt.
Dwayne Johnson hat den Film über seine Produktionsfirma Seven Bucks mit angestoßen. Er wird einkalkuliert haben, dass seine Hardcore-Fans sich hier enttäuscht abwenden. Der ultimative Slasher war Johnson in seinen Actionfilmen nie, aber hier ist er im Zusammenspiel mit Chris Evans, dem ehemaligen Captain America aus den MARVEL-Filmen, ein geradezu braver Prügler, ein für den Besuch der ganzen Familie kompatibler Held mit Kratzern. Es spritzt kein Blut, es krachen keine Knochen, aber Tritte in die Genitalien des Gegners werden schulhofmäßig aufbereitet. Johnson und Evans albern passend für eine Altersfreigabe "ab 12 Jahren".
Natürlich endet das Drama – es ist ein Weihnachtsfilm – in Wohlgefallen. Die Liebe zum Job in alle Ewigkeit kehrt ebenso zurück, wie das Verständnis zwischen Zufallsvater und Zufallssohn. Aber es ist eine Freude, mit welcher Detailliebe sich alle Beteiligten ins Zeug gelegt haben. Die Welt des Weihnachtsmanns, sein Umfeld, die Begleitumstände seiner vielen Kaufhausauftritte in den Tagen vor Weihnachten, werden mit großer Ernsthaftigkeit erzählt und inszeniert. Auch, wenn es dauernd um das Gute im Menschen geht, das es zu bewahren oder zu reanimieren gälte, führt Jake Kasdan einen durchstrukturierten Apparat vor, der das Geschäft des Nikolaus möglich macht – ernsthafte Hightech, wie bei einem Raketenstart der NASA.
Wasser in diesen weihnachtlichen Wein? Okay: Die Figur des Jack O'Malley ist als Ungläubiger Thomas, als abgelenkter Vater, dramaturgisch sehr interessant, aber das Drehbuch gibt ihm dann zu viele Möglichkeiten, vorzeitig aus der Geschichte auszusteigen, ohne dass wir uns im Kinosessel wundern könnten. Eigentlich ist das Verhältnis zu seinem Sohn kaum vorhanden, weil er halt immer diese geheimen Fährtenlese-Jobs erledigt. Eigentlich scheint das aber den Sohn bisher nicht gestört zu haben, weil es da einen angeheirateten Vater gibt, der im Film nur erwähnt wird, aber dem Jungen offenbar ein guter Stiefvater ist. Und Sicherheitschef Callum Drift schleift ihn, den Mann aus der Realität, dauernd mit in diese Zwischenwelt der Fantasy, ohne, dass klar würde, warum. Eigentlich ist Jack O'Malley von dem Moment an überflüssig für das Actiondrama der Entführung des Weihnachtsmannes, in dem er den Kontakt zur Hexe Gryla ermöglicht hat. Er wird halt vom Drehbuch gebraucht, um seine Eigenschaften als Prototyp eines echten Vaters zeigen zu können – was aber ein bisschen spät erfüllt wird.
Es soll, angeblich, bei den Dreharbeiten ziemlich chaotisch zugegangen sein, weil Dwayne Johnson mittlerweile so gefragt ist, dass er sich zwischen seinen vielen täglichen Terminen verhaspelt. Neben Johnsons Produktionsfirma ist Amazon MGM Studios in Charge und die können sich "Red One" offenbar als möglichen Auftakt eines ganzen Weihnachtsfranchises vorstellen. In diesem Fall könnte man der weiß gefiederten (Kampf)Henne "Ellen" vielleicht einen etwas größeren Part gewähren.