Die USA im Jahre 1997. In den Gefängnissen der Vereinigten Staaten ist kein Platz mehr. Das Verbrechen hat derart zugenommen, dass sich die Regierung entschloss, das Sündenbabel Manhattan umzubauen in ein Hochsicherheitsgefängnis. Hohe Mauern umgeben die ganze Insel, bestückt mit Scharfschützen auf Wachtürmen. Wer einmal in dieses Gefängnis einfährt, kommt nie wieder raus. Die Gefangenen sind sich selbst überlassen und haben eine eigene Gesellschaft entwickelt. Es gilt das Gesetz des Stärkeren – Banden haben die Straßenzüge aufgeteilt.
Auch sonst hat sich die Lage im Land nicht zum Besseren entwickelt. Die USA liegen im atomaren Clinch mit China und der Sowjetunion. Alle Augen sind deshalb gerichtet auf eine Friedenskonferenz, auf der der Präsident der Vereinigten Staaten eine Friedensinitiative vorstellen will. Seine Air Force One überquert dabei den Luftraum Manhattans. Blöd, dass ausgerechnet an dieser Stelle Terroristen das Kommando an Bord übernehmen und die Maschine über Manhattan Island abstürzen lassen. Der Präsident entkommt dem Inferno in einer Rettungskapsel und sitzt nun irgendwo in den Gangsterterritorien des Mega-Gefängnisses fest.
Glück für die meisten Beteiligten: Es soll ein neuer Insasse nach Manhattan gebracht werden, Snake Plissken. Der ehemalige Elitesoldat der US-Army hat eine Bank ausgeraubt. Es gab Tote. Nun kriegt er lebenslänglich in der Hölle. Es sei denn … es gelingt ihm, den Präsidenten mitsamt einer Audiokassette von der Insel zu holen, die Informationen zu einer neuartigen Energiequelle, der Kernfusion, enthält. Diese Cassette ist entscheidend für das Gelingen der Friedenskonferenz. Geht die Geschichte schief, wird es wohl zum Atomkrieg kommen. Plissken bleiben 22 Stunden Zeit. Ihm wurden bei der Vorsorgeuntersuchung explosive Miniaturkapseln in die Halsschlagadern eingepflanzt, die nach Ablauf dieser 22 Stunden detonieren sollen. Kommt er rechtzeitig – mit Präsident und Cassette zurück – können die Kapseln unschädlich gemacht werden.
Plissken gelangt mit einem Segelflugzeug nach Manhattan und landet auf dem Dach des World Trade Centers.Mit der Hilfe eines Taxifahrers und dem in der ehemaligen New York Public Library lebenden Harold „Brain” Helman kämpft er sich durch die Stadt und gerät in die Fänge des „Duke”. Der Duke ist der Boss der Bosse in Manhattan. An ihm führt kein Weg vorbei; auch nicht der des US-Präsidenten, den er sich als wimmernde Zielscheibe für Schießübungen in seinem Anwesen hält. Mit ihm als Geisel will der Duke Manhattan verlassen. Plissken stört da nur. Also stellt er ihn in den Ring; Plissken soll sich in einem Kampf bewähren, bei dem es keine Regeln gibt.
Sein Widerpart: Ein Zwei-Meter-Hühne mit Nagelbewehrten Baseballschläger. Plisskens Zeit läuft ab …
We call it a Klassiker: John Carpenters fünfter Kinofilm markiert den kreativen und kommerziellen Höhepunkt seines Schaffens. Auf dem Niveau hat er nie wieder gefilmt.
Carpenter hatte Mitte der 1970er Jahre, dem Beginn seiner Kinokarriere, einen Klassiker an den anderen gereiht: Zuerst die Weltraum-Satire Dark Star (1974), die zum Liebling der Kritiker und Filmfestivalbesucher wurde. Mit Assault – Anschlag bei Nacht (1976) definierte er die Grundstruktur der später beliebten Gang-Thriller („Sie haben nichts zu verlieren“). Es folgten Halloween – Die Nacht des Grauens (1978), der das Genre des Teenie-Horrormovies begründete, dem ebenso zahllose Fortsetzungen wie Epiogonen (Freitag, der 13. etc.) folgten und Ehrfurcht forderndes Vorbild war für die Scream-Reihe in den 1990er Jahren. Nach The Fog (1980) hatten die Kinobosse in Hollywood Vertrauen in die Arbeit des Außenseiters gefasst und ihm ein Big Budget bewilligt, um "Escape from New York – Die Klapperschlange" zu drehen.
Der Film ist ein Meilenstein des Kinos. Das Design futuristisch martialisch, die Klamotten Punk. "Escape from New York" bewegt sich in vielerlei Hinsicht auf der Höhe seiner Zeit. Manhattan in den späten Siebzigern ist schmutzig, die Kriminalitätsrate hoch und entsprechend sieht Carpenters New York in vielen Straßen gar nicht so verändert aus gegenüber dem damaligen Original. Höchste Auszeichnung: Die New Yorker reagierten beleidigt auf den Film. Wieder hat Carenter die Musik selbst komponiert und trifft mit seinem Electro-Techno wieder den Nerv der Zeit. Und die über dem ganzen Film schwebende Angst vor der atomaren Auslöschung ist Anfang der 1980er Jahre eine durchaus reale Vorstellung – der Kalte Krieg brodelt vor sich hin.
Snake Plisskens Augenklappe wurde zum Must-Have der Saison auf den Partys der Schönen und Reichen; nur, warum der Film im Deutschen "Die Klapperschlange" heißt, wird nicht klar. Die Schlange, die sich Plissken auf seinen Bauch tätowiert hat, ist ein eindeutig eine Kobra.
Die kargen, kühlen Ein-Satz-Dialoge („Snake Plissken ..! Ich habe schon von Dir gehört. Aber ich hörte, Du wärst tot!“), Gladiatorenkämpfe, die großartige Montage und die kalten Bilder machen den Film außerdem zum perfekten Gegenentwurf zu den gefühligen Zukunftsvisionen, derer sich das Science-Fiction-Genre bemächtigt hat - Logan's Run etwa, oder Silent Running (Douglas Trumbull, 1972), Star Wars, E.T. - Der Außerirdische und natürlich Unheimliche Begegnung der Dritten Art.
Und schließlich, von wegen Nerv getroffen: Ende der 1980er Jahre eröffnet Bolivien eine Art Manhattan-Island-Gefängnis in klein: Die Siedlung "Palmasola" ist ringsum mit einer doppelten Mauer und Stacheldraht abgeriegelt und wird von außen bewacht. Bewohnt wird sie von verurteilten Verbrechern und Untersuchungshäftlingen, manche davon zusammen mit ihren Familien. Der Spiegel hat mal über sie berichtet.
"Die Klapperschlange" legte den Grundstein für Kurt Russels zweite, die Actionkarriere, die aber nicht von Dauer war. Hätte George Lucas ihn genommen, wäre das vielleicht anders verlaufen: Bei ihm sprach Russell für die Rolle des Weltraumschmugglers Han Solo in Star Wars vor. Harrison Ford bekam den Part schließlich und Russell machte sein Glück mit Augenklappe in der Klapperschlange. Carpenter und Russell kannten sich gut. Russell hatte in Carpenters TV-Biopic "Elvis" den King gespielt. Nach der Klapperschlange folgten mit Carpenter Das Ding aus einer anderen Welt (1982), Big Trouble in Little China (1986) und eine Fortsetzung der Klapperschlange.
Russells vergleichsweise kurze Actionkarriere fand noch Stationen an der Seite von Sylvester Stallone in Andrei Kontschalowskis Tango & Cash (1989). In den 90ern versuchte er ein Comeback und tauchte durchaus erfolgreich auf in Filmen wie Ron Howards Backdraft – Männer die durchs Feuer gehen (1991) oder Roland Emmerichs Kino-Original Stargate (1994). Später holte ihn auch Wolfgang Petersen vor die Kamera von Poseidon (2006) zurück.
1996 drehte Carpenter eine Art Fortsetzung, die aussah, wie eine schlechte Neuverfilmung des Stoffs. In Escape from L.A., die fünfte Zusammenarbeit mit Kurt Russell, ist Los Angeles ein Riesenknast und Snake Plissken muss die Tochter des Präsidenten retten, die sich im L.A.-Knast mit einem Terroristen verbündet hat. Kurt Russell hatte produziert, 43 Millionen Dollar mehr ausgegeben und versenkt. Ein furchtbarer Film. Man mutmaßte, Carpenter habe vielleicht das Geld benötigt, oder habe sich nach dem längst verblassten Ruhm gesehnt, der nach der Klapperschlange und dem "Ding aus einer anderen Welt" schnell verblasste.
Die Filme von John Carpenter
- Revenge of the Colossal Beasts (1962, Short)
- Terror from Space (1963, Short)
- Captain Voyeur (1969, Short)
- Warrior and the Demon (1969, Short)
- Sorceror from Outer Space (1969, Short)
- Gorgo Versus Godzilla (1969, Short)
- Gorgon, the Space Monster (1969, Short)
- Dark Star – Finsterer Stern (1974)
- Assault – Anschlag bei Nacht (1976)
- Halloween - Die Nacht des Grauens (1978)
- Das unsichtbare Auge (1978, TV)
- Elvis (1979, TV)
- The Fog - Nebel des Grauens (1980)
- Die Klapperschlange (1981)
- Das Ding aus einer anderen Welt (1982)
- Christine (1983)
- Starman (1984)
- Big Trouble in Little China (1986)
Die Fürsten der Dunkelheit (1987) - John Carpenter's Sie leben (1988)
- Jagd auf einen Unsichtbaren (1992)
- Body Bags (1993, TV)
- Die Mächte des Wahnsinns (1994)
- Das Dorf der Verdammten (1995)
- Flucht aus L.A. (1996)
- John Carpenters Vampire (1998)
- Ghosts of Mars (2001)
- The Ward – Die Station (2010)
- John Carpenter: Distant Dream (2016, Video short)
- John Carpenter: Escape from New York (2016, Video short)