Ihre üppigen Rundungen provozieren begehrliche Blicke. Ihre knallrote Farbe signalisiert Sex. Sie hört auf den Namen Christine – und sie hat den Teufel im Chassis. Sie gehorcht nur dem, den sie in ihr kaltes Blechherz geschlossen hat. Und wehe denen, die sich ihr in den Weg stellen.
Arnie, kurzsichtig und verklemmt, liebt nur seinen 58er Plymouth Fury – seine Christine – und sie macht aus ihm einen arroganten Schnösel. Eine Kette unerklärlicher Todesfälle ruft bald die Polizei auf den Plan. Doch erst Dennis und Leigh erkennen, dass Christine hinter allem steckt.
Werden sie Christine zur Strecke bringen … oder ist Christine schneller?
Nach 50 Minuten greift John Carpenter (s.u.) erstmals spürbar in die Tasten seines Synthesizers. Es folgt die erste emotionale Szene. Aber bis dahin dauert es eben 50 Minuten, in denen wenig geschieht. Nach einem fulminanten Einstieg, der die Geburt des unheimlichen Autos erzählt, nimmt Carpenter das Tempo raus – als wolle er mit den stummen Mitteln des europäischen Autorenfilms der 1960er Jahre einen US-Horrorfilm der 1980er Jahre designen.
In der Romanvorlage lässt sich Stephen King wortgewandt Zeit, bis Christine das erste Mal erkennbar allein handelt – da war bis dahin noch keine Seite langweilig. In dieser Zeit baut Carpenter sein Figurenkabinett rund um den PS-starken roten Plymouth auf, als besetze er eine 22-teilige TV-Serie; analog zu seiner Titelheldin könnte man sagen, der Film läuft 50 Minuten im Leerlauf.
Der Begriff Romanvorlage ist hier allerdings nur bedingt richtig. Roman und Filmscript entstanden zeitgleich. Und wie so oft in solchen Fällen wurden auch bei dem Drehbuch zu diesem Film einige Teile aus der Romanvorlage weggelassen oder verändert. Die Hauptarbeit machen sich Maske, SFX und die Techno-Crews drumherum. Carpenter setzt auf auf jugendliches Testosteron, Lack, Leder und Rock 'n' Roll-Musik. Aber wann immer er sein kunstvolles Thrillerhandwerk mit seiner Musik verknüpfen kann, nimmt der Film plötzlich Fahrt auf. Aber in seiner Hauptsache zeigt er exemplarisch die Grenzen auf zwischen Lesetext und Guckfilm.
Stephen King hat kaum eine Seite seines Romans langweilig erzählt. Die bedingungslose Liebe Arnies zu seiner Christine ist zu jeder Zeit zwingend. Da wirkt nichts gekünstelt. Im Film wirkt alles gekünstelt. Das Eigenleben, dass der Wagen besitzt, ist im Film entpersonifiziert, namenlos. Im Roman hatte der Geist ein Gesicht, zufällig das des toten Erstbesitzers des Wagens, der in der Lage ist, als Geist in seinem ehemaligen Auto fortzuleben und es auch zu steuern. Im Film kommt dieser Aspekt nicht vor. Jetzt könnte man sagen, auch Hitchcock hat seinen Birds kein Motiv gegeben, das hat wunderbar funktioniert. Bei Carpenter funktioniert es nicht, dafür sind die Figuren um das Auto herum zu uninteressant. King kann seine an sich krude Story kunstvoll mit Gesichtern, Individuen erzählen, Carpenter steht eine Gruppe hübscher, schnuckliger, letztlich aber austauschbarer Teenager zur Verfügung, die gar keinen Bezug zum Film herstellen.
Die Maske würdigt die Hauptakteure herab zu Abziehbildchen seliger, aber eben vergangener Grease-Zeiten. In einem entpersonifizierten Film wirkt dann auch ein brennendes, durch die Straßen fahrendes und Menschen mordendes Auto schal. Die Szene, in der Christine sich selbst repariert, hat im ersten Moment viel Charme, ist dann aber rasch auch nur ein Special Effect, bei dem die reale Aufnahme rückwärts laufend projiziert wird, so what? Nur von der Geschichte bleibt eben nichts hängen bei diesem Film, weil die Figuren zweidimensional und durchsichtig sind … die meisten jedenfalls.
Einen wunderbaren Auftritt legt Harry Dean Stanton als Inspector hin. Eine in Filmen dieser Kategorie schmerzhaft vermisste Note Realismus. Stanton hatte einen historischen Auftritt als "Brain" in Carpenters Die Klapperschlange (1981) und gilt den jungen Fans seither als Kult. Seine Karriere indes läuft sein den 60er Jahren mit prägnanten Nebenrollen ("Einer mit Herz" – 1981; Die Klapperschlange – 1981; The rose – 1979; Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt – 1979; Duell am Missouri – 1976; Fahr zur Hölle, Liebling – 1975; Der Pate 2 – 1974; Pat Garrett jagt Billy the Kid – 1973; Stoßtrupp Gold – 1970; Der Unbeugsame – 1967). Stanton erdet diesen Film mit der dreidimensionalen Performance eines Mannes, der einfach nur seinen Job macht, aber den auch unbedingt.
Die Filme von John Carpenter
- Revenge of the Colossal Beasts (1962, Short)
- Terror from Space (1963, Short)
- Captain Voyeur (1969, Short)
- Warrior and the Demon (1969, Short)
- Sorceror from Outer Space (1969, Short)
- Gorgo Versus Godzilla (1969, Short)
- Gorgon, the Space Monster (1969, Short)
- Dark Star – Finsterer Stern (1974)
- Assault – Anschlag bei Nacht (1976)
- Halloween - Die Nacht des Grauens (1978)
- Das unsichtbare Auge (1978, TV)
- Elvis (1979, TV)
- The Fog - Nebel des Grauens (1980)
- Die Klapperschlange (1981)
- Das Ding aus einer anderen Welt (1982)
- Christine (1983)
- Starman (1984)
- Big Trouble in Little China (1986)
Die Fürsten der Dunkelheit (1987) - John Carpenter's Sie leben (1988)
- Jagd auf einen Unsichtbaren (1992)
- Body Bags (1993, TV)
- Die Mächte des Wahnsinns (1994)
- Das Dorf der Verdammten (1995)
- Flucht aus L.A. (1996)
- John Carpenters Vampire (1998)
- Ghosts of Mars (2001)
- The Ward – Die Station (2010)
- John Carpenter: Distant Dream (2016, Video short)
- John Carpenter: Escape from New York (2016, Video short)