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Plakatmotiv: Willkommen bei den Hartmanns (2016)

Warmherzige Gesellschaftskomödie
mit konservativem Beigeschmack

Titel Willkommen bei den Hartmanns
Drehbuch Simon Verhoeven
Regie Simon Verhoeven, Deutschland 2016
Darsteller
Senta Berger, Heiner Lauterbach, Palina Rojinski, Elyas M'Barek, Florian David Fitz, Eric Kabongo, Uwe Ochsenknecht, Ulrike Kriener, Henry Buchmann, Jaymes Butler, Adrian Can, Samir Fuchs, Eisi Gulp, Marinus Hohmann, Pierre Kiwitt u.a.
Genre Komödie
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
3. November 2016
Inhalt

Die Hartmanns sind die ehemalige Lehrerin Angelika; ihr Mann Richard, Chefarzt; Tochter Sofie, 31, inzwischen Psychologiestudentin; Sohn Philipp, erfolgreicher Wirtschaftsanwalt, gerade in Scheidung lebend; dessen Sohn Basti, 12. Richard hat Probleme mit dem Altern; er weigert sich, in den Ruhestand zu gehen, und lässt sich von dem befreundeten Schönheitschirurgen Dr. Sascha Heinrich Falten wegspritzen. Angelika wird von ihrem Mann wegen ihres Gutmenschentums kritisiert.

In einer Containerunterkunft für Flüchtlinge gibt Angelika eines Tages gebrauchte Kleidung ab und trifft dort ihre ehemalige Kollegin Heike Broscher, die Deutschkurse gibt. Da in der Unterkunft kein Personal mehr gebraucht wird, fasst Angelika den Entschluss, einen Flüchtling aufzunehmen. Bei einem gemeinsamen Essen teilt sie ihn ihrer Familie mit. Richard und Philipp lehnen es zunächst kategorisch ab, während sie von Sofie Unterstützung bekommt.

Der ganz normale Familienwahnsinn also, in den der Nigerianer Diallo gerät – und auf seine charmant naive Art das Leben der Hartmanns ziemlich durcheinanderwirbelt ...

Was zu sagen wäre

Den Ton setzt der Film in den ersten Einstellungen. Da fährt Diallo – später Hauptfigur des hartmannschen Chaoskosmos‘ mit dem Bus durch München sieht um sich herum die ganze Vielfalt deutscher MultiKulti-Gesellschaft. In der Folge lernen wir gelangweilte Hausfrauen und Weltverbesserwollerinnen, midlifecrisis-geplagte Männer („Manchmal weiß ich echt nicht, was sinnloser ist. Mein Blinddarm oder mein Schwanz.“ „Du hast noch Deinen Blinddarm??“), gestresste Business-Schwätzer, eitle Schönheitschirurgen. Sie leben in einem München ohne Frauenkirche und Olympiastadion. Simon Verhoeven zeigt uns ein München abseits der Postkartenklischees, das mit Joggern in den Isarauen und Flaneuren in Innenstadtgrünflächen angenehm klischeebefreit als moderne Großstadt daherkommt.

Und wir lernen, das Flüchtlingunterkünfte „nicht das Tierheim“ sind, als Heiner Lauterbach (Wir sind die Neuen – 2014; Zweiohrküken – 2009; Marlene – 2000; Erleuchtung garantiert – 1999; St. Pauli Nacht – 1999; Der Eisbär – 1998; Der Campus – 1998; Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief – 1997; "Das Superweib" – 1996; Paradies – 1986; Männer – 1985) sich anschickt, mal alle Flüchtlinge vorgeführt zu bekommen, um sich einen herauszupicken.

„Willkommen bei den Hartmanns“ ist kein aufklärerischer Integrationszeigefinger. Im Grunde funktioniert Diallo, der Flüchtling, lediglich als MacGuffin, der dafür sorgt, diese dysfunktionale Hartmann-Familie zu zerlegen, in der alle aneinander vorbei reden und sich in ihren Leidenschaften ergehen. Der Film unterhält, weil er an keinem ein gutes Haar lässt. Die Deutschen sind Hedonisten, Egoisten, Rassisten, Bäume-Umarmer oder einfach freundliche, hilfsbereite Menschen – so, wie Flüchtlinge nett, freundlich, arrogant, aggressiv, gierig, besitzergreifend (kommt alles vor) sein können. Der Zuschauer wird auf sich zurückgeworfen, wenn er mit Diallo bei den Hartmanns zum Begrüßungskuchen zusammensitzt. Eine subjektive Kamera entlarvt alle Peinlichkeiten, politisch korrekten Sprachmuster und Stolperfallen, die die Deutschen sich im gepflegten Umgang miteinander angeignet haben. Als Angelikas ex-Kollegin mit Eiern auf Nazis wirft, stöhnt Angelika „Das sind meine Bio-Eier!“

Der Höhepunkt sind alle Szenen mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht, die lustvoll ihre Machonummer aus Doris Dörries Klassiker Männer (1985) fortspinnen, sowie die mit Senta Berger (Zettl – 2012; Bin ich schön? – 1998; Steiner – Das Eiserne Kreuz – 1977; Als die Frauen noch Schwänze hatten – 1970; Mohn ist auch eine Blume – 1966). Als pensionierte Lehrerin („Sascha, Du bist alt! Und ich … bin es auch!“) ist sie auf ihrer naiven Suche, der Welt etwas Gutes zurückzugeben, die einzige, die mit ihrer Offenheit alles richtig macht und damit ein unaufdringliches Vorbild gibt, wie Menschen miteinander reden können, die gar nichts gemein haben. Simon Verhoeven sind da mit seiner Mutter warmherzige Szenen gelungen.

Der dramatischen Komödie stehen aber ihr 116 Minuten im Wege. 20 Minuten kürzer wäre ausreichend. Da eskalieren die Konflikte – durchaus filmtypisch – in einer Weise, die dem charmanten Grundton ihre menschliche Färbung nehmen. Es gibt einen in blaues Monitorlicht getauchten Handlungsstrang, in dem Staatsschützer zwischen ungepflegter Langeweile und Beamtennervosität den Garten der Hartmanns mit Drohnen beobachten und am Ende sogar einen IS-Terroristen festnehmen, der so wirkt, als habe man dem jovial lächelnden Zuschauer aber durchaus auch noch die hässliche Seite des Flüchtlings vor Augen führen müssen. Schließlich hat das Fernsehen mitfinanziert und da will man Ausgewogenheiti, niemanden verprellen. Ähnlich überambitioniert wirkt die Pegidatruppe in den Film montiert, die sich vor der Hartmann-Villa aufbaut und über einen kompliziert in eine Nebenhandlung eingestrickten, liebestollen Taxifahrer auf den Plan gerufen wurde. Eigentlich haben wir alle – also alle Protagonisten und Zuschauer – längst verstanden, wohin die Reise gehen sollte, da dreht Verhoeven nochmal auf und bringt Cast und Story buchstäblich zur Explosion. Da möchte ich mich genervt abwenden. Ein 100-Minuten-Film wäre vielleicht besser gewesen.

Aber dass die perspektivlos durchs Leben treibende Tochter dann ihren Arzt bekommt, um glücklich zu werden, lässt den bis dahin schönen Film stolpern. Der alleinerziehende Businessmann zieht in Shanghai die Notbremse und kehr zum Sohnemann zurück. Die Tochter versemmelt auch ihren vierten Studienabschluss und heiratet den schönen Arzt (mit Migrationshintergrund), der zuvor ein flammendes Plädoyer auf die deutsche Gesellschaft hält, die stolz sein könne auf die Vielfalt, die sie geschaffen hat. Da werden die großen gesellschaftlichen Räder gedreht, aber in der Frauen-Männer-Kiste ist er so konservativ, wie ein Film aus den 50er Jahren.

Wertung: 6 von 8 €uro
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