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Plakatmotiv: Paradies (1986)

Ein giftbunter Reigen über
die Gefahren der Liebe

Titel Paradies
Drehbuch Doris Dörrie
Regie Doris Dörrie, BRD 1986
Darsteller

Heiner Lauterbach, Katharina Thalbach, Sunnyi Melles, Hanne Wieder, Ernst-Erich Buder, Brigitte Janner, Ulrike Kriener, Katja Flint, Michael Klemm, Danny Krausz, Gerd Huber, Werner-Albert Püthe, Werner Vogel, Jens Mordass, Barbara Winter u.a.

Genre Komödie
Filmlänge 106 Minuten
Deutschlandstart
30. Oktober 1986
Inhalt

Bei dem durchschnittlichen Mittelstandsehepaar Viktor und Angelika Ptyza scheint die Luft raus. Er arbeitet als Zoologie-Professor und sorgt sich, obwohl zumeist Beziehungsstress in der Luft liegt, mehr oder weniger leidenschaftslos um seine Frau. Von ihm und den Lebensumständen verwöhnt, ist Angelika dennoch ständig merkwürdig unausgeglichen und mit ihrem Leben generell unzufrieden. Die schwarze Wäsche beispielsweise, die er ihr zum Geburtstag schenkt, ist symptomatisch für beider Beziehung: Es ist zwar ein Geschenk der (institutionalisierten) Liebe und Aufmerksamkeit, aber sie löst beim Ehepartner keinen Reiz mehr aus, und die Lustlosigkeit im ehelichen Bett bleibt bestehen.

Angelika will die Leidenschaft wieder entfache in ihrem Viktor. Die soll Landei Lotte wecken, Angelikas ehemalige Jugendfreundin, die kurzerhand eingeladen wird. Die Jugendfreundin ist das absolute Gegenteil zu der brav-sittsamen Angelika: ein wenig Luder vom Lande und stets auf Erotik aus. Lotte führt einen Gemischtwarenladen und sortiert ihre Romane nach der Häufigkeit der darin vorkommenden Kussszenen – "Im Herz der Finsternis" ganz unten, "Angélique" ganz oben.

Prompt geht Angelikas Rechnung auf, jedoch nicht ganz so, wie Angelika es sich vorgestellt hat. Für Viktor ist Lotte die große Liebe. Doch gerade das ist wirklich das Letzte, was Lotte will. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen …

Was zu sagen wäre

Die Liebe ist nichts für Anfänger. Jedenfalls nicht im Kosmos von Doris Dörrie. Hat man "Paradies" gesehen, kommt einem ihr Erfolgsfilm Männer aus dem letzten Jahr vor, wie ein Ausrutscher. Der war eine originelle Dreiecksgeschichte mit überraschenden Wendungen, aber die Menschen darin waren ziemlich normal – der Film war ursprünglich aber auch fürs ZDF-Programm gedacht. Bei Dörries Film davor, "Mitten uns Herz" (1983), führte die Liebe zu Mord und Totschlag. Jetzt, in "Paradies", führt sie direkt in den Wahnsinn. Und unblutig geht auch diese Geschichte nicht aus.

Das Paradies, von dem im Titel die Rede ist, ist für jeden der Figuren etwas anderes. Für Angelika ist es ihr schickes Designer-Haus mit Waschbetonwänden, viel Glas und alles in Weiß mit ihrem Mann Viktor und ihr darin. Für Viktor ist das Paradies Lotte, Angelikas Schulfreundin, die nichts mit seiner Frau gemein hat. Und für Lotte? Die hat lange keine Paradies-Vorstellung, ist dauernd auf der Flucht – vor sich und ihren Träumen, vor Viktor, vor der Liebe, „diesem Schwachsinn“, mit dem „alles Unglück anfängt“. Dörrie greift diesmal in den Farbeimer, um die Gegensätze zum Leuchten zu bringen; dauernd leuchten die Kulissen in den Komplementärfarben Grün und Rot, wobei Angelika meistens im Grünen sitzt, der Farbe des Neids und der Hoffnung. Viktor und Lotte bekommen die roten Lampen – Rot wie die Liebe.

Heiner Lauterbach spielt den Viktor. Und der ist kaum wiederzukennen. Eben noch als der Deutschen neuer Traummann gefeiert (Männer – 1985; "Als Amerikaner darfst du alles" – 1985; "Eine Frau für gewisse Stunden" – 1985), spielt er hier gegen dieses Image an und mit Lust und Rothaarperücke den großen Langeweiler, den Mann ohne Eigenschaften, der – Heinrich Manns Professor Unrath nicht unähnlich – sein bisheriges Leben hinter sich lässt und im Morast der Prostitution von St. Pauli zu versinken droht. Plakatmotiv: Paradies (1986) Seine lebensuntüchtige Frau Angelika ist für Sunnyi Melles ("Die wilden Fünfziger – 1983) ein gefundenes Fressen; sie suhlt sich in Angelikas Naivität und Interpretation dessen, was die Leben nennt. Zwischen den beiden steht Katharina Thalbach ("Sophies Entscheidung" – 1982; Die Blechtrommel – 1979) als Lotte, ein hinreißendes Unschuldslamm, das sich ohne den Kopf schwer zu machen in einer Welt behauptet, in der alles gegen sie spricht.

Die Figuren im "Paradies" sind schnell erzählte Charaktere. Angelika, deren Mutter klagt, „Ich habe sie zu einer Prinzessin erzogen“, ist ein weitgehend lebensuntüchtiges Mädchen aus reichem Elternhaus, das sich Lotte schon als Kind als Klakeurin gehalten hat. Sonst hat sie keine Eigenschaft. Viktor ist ein erklärter Langeweiler. Alle finden ihn langweilig, selbst er und seine Frau – aber er ist nun mal da und Angelika erträgt den Gedanken nicht, dass Viktor nicht mehr mit ihr, der Prinzessin, schlafen möchte. Nur Lotte findet Viktor nicht langweilig, was daran liegen mag, dass sie das Leben nur aus ihren Romanen mit den vielen oder wenigen Kussszenen kennt und verwirrte Männer darin oft die Rolle des überraschenden Liebhabers spielen. Näher wird die Faszination der beiden Ungleichen zueinander nicht erklärt, aber das ist für den Film auch nicht nötig. Liebe lässt sich ja ohnehin nicht erklären. Dieses Trio mit den übersichtlichen Eigenschaften schiebt Dörrie über ihr düster in grün rot, schwarz und weiß ausgeleuchtetes Spielfeld. Sie beginnt als Komödie, als komische Farce. Die sich dann über 90 Minuten steigert hin zur existenziellen Tragödie. 

Nach dem Riesenerfolg von Männer ließen die Produzenten und Verleiher Dörrie weitgehend freie Hand und, sie durfte umsetzen, was sie auf der Filmhochschule gelernt hat und das mit eigenen Ideen verbinden: Die Amor fou, wie sie Truffaut kaum wahnsinniger in Jules und Jim, Das Geheimnis der falschen Braut oder Die Frau nebenan erzählt hat. Ein gesellschaftskritischer Blick auf wohlstandsverwahrlosten Lebensüberdruss (Angelika und Viktor), wie ihn Godard pflegt inklusive dessen Freiheit der sich nicht an Normen orientierenden Bildsprache – die grünen und roten Schimmer folgen den Figuren wie Lichtkränze in einer düsteren Traumwelt; Dörrie macht es mit ihrem Film wie Lauterbach in diesem Film: Sie ist kaum wiederzukennen. Mit jedem Frame betont sie, dass dies hier nicht eine Fortsetzung von Männer ist, wie sie alle von ihr erwarten. Es muss schwer sein, gegen so einen Überraschungs-Erfolg in der deutschen Filmbranche weiter kreativ zu sein und dem eigenen Kopf zu folgen. So gesehen, hat Doris Dörrie mit "Paradies" ein paar richtige Schlüsse gezogen.

Wertung: 6 von 10 D-Mark
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