1932: Die Zwillinge Smoke und Stack sind in Clarksdale aufgewachsen, dienten im Ersten Weltkrieg und sind dann in Chicago gelandet, wo sie sich in der Unterwelt als Gauner, Zuhälter und Killer verdienten. Sie wollen nach Jahren in der von Capone heimgesuchten Stadt versuchen, auf vertrautem Boden noch einmal neu anzufangen, lassen ihr bisheriges Leben hinter sich und kehren im Oktober 1932 in ihre alte Heimat nach Mississippi zurück, wo die Sklaverei erst kürzlich abgeschafft wurde, der Ku-Klux-Klan aber immer noch eine große Rolle spielt.
Sie wollen dort mit dem in Chicago verdienten Geld eine Juke-Bar eröffnen und kaufen dem alten Ku-Klux-Klan-Mitglied Hogwood dafür eine leerstehende Scheune samt Grundstück ab. Dessen Kumpels, die beim Ku-Klux-Klan sind, warnen sie, sich von dem Grundstück fernzuhalten. Sie engagieren den Baumwollpflücker Cornbread als Türsteher, den legendären Mundharmonika- und Piano-Blues-Musiker Delta Slim und ihren Cousin Sammie, der die Gäste des "Juke Joint" mit seiner Bluesgitarre und seinem Gesang unterhalten soll. Die Brüder haben aus Chicago 500 Flaschen irisches Bier und italienischen Rotwein mitgebracht.
In Clarksdale scheint jedoch alles andere als ein ruhiges Leben auf die Zwillinge zu warten. Als die Party am Abend ihrem Höhepunkt zutreibt, fletschen blutrünstige weiße Nachbarn ihre spitzen Zähne …
Ryan Coogler ist von der Leine gelassen worden. Dem Regisseur, der seinen Studios vorher mit Blockbuster-Fortsetzung (Creed: Rocky's Legacy – 2015) und erfolgreichen Franchise-Entwicklungen (Black Panther – 2018; Black Panther: Wakanda Forever – 2022) die Kassen voll gemacht hat, lassen die Warner Bros. Studios hier jetzt offenbar ganz freie Hand. Genutzt hat Coogler das für einen Horrorthriller mit Bluesmusik, doppeltem Boden, irren Kamerafahrten, Rassismus, Dämonen und Legendenfledderei.
Der Film spielt in Clarksdale, Mississippi. Im Mittelpunkt steht ein Junge, der irre gut Gitarre spielt und eine Stimme hat, die Steine erweicht. Beides hat er wohl nicht einfach seinem Talent zu verdanken, offenbar ist er einen Pakt mit sowas wie dem Teufel eingegangen. Das passt zu der Legende des musikalisch begnadeten (historisch verbürgten) Robert Johnson, die sich rund um eine Straßenkreuzung in Clarksdale rankt. Johnson, ein leidlich guter Mann an der Gitarre, ging ein paar Jahre auf Wanderschaft, und überraschte danach mit exzellenter Gitarrentechnik, die ihn in Blueskreisen berühmt machte. Weil sich das niemand so recht erklären konnte, erzählte man sich, Johnson sei an erwähnter Straßenkreuzung einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, habe dem seine Seele versprochen. Soweit die Legende aus den Südstaaten des Jahres 1932.
Cooglers Film spielt an einem Tag im Jahr 1932 und beginnt damit, dass der junge Sammy mit blutig zerkratztem Gesicht in in Fetzen hängenden Kleidern in den Gottesdienst seines Vaters stolpert; in der Hand hält er noch den Hals seiner Gitarre, an der die Saiten ins Leere baumeln. Sein Vater, der Prediger, erklärt der Gemeinde, sein Sohn habe sich mit dem Teufel eingelassen und versucht, Sammie zu bewegen, den Gitarrenhals fallen zu lassen. Dann blickt der Film 24 Stunden zurück.
Es beginnt ein neuer Film, der die Zwillingsbrüder Smoke und Stack verfolgt, die frisch aus der Unterwelt Chicagos zurück in ihre Heimat Clarksdale gekommen sind, wo sie, extravagant gekleidet, also offenbar zu Geld gekommen, zusammen mit ihrem Cousin Sammie und Freunden noch am selben Abend einen Nachtclub nur für Schwarze, einen Juke Joint, eröffnen. Coogler taucht tief in die Struktur der Stadt Clarksdale ein, wir lernen verschiedene Menschen kennen, asiatische Ladenbesitzer, afroamerikanische Pächter von Baumwollfeldern, die von Weißen mit Schuldscheinen statt Dollars bezahlt werden – in der Wirtschaftskrise ist auch der Ku Klux Clan auf dem absteigenden Ast. Dazu kommen Ex-Geliebte, künftige Geliebte und verschiedene Musiker, die den Juke Joint am Abend zum Beben bringen sollen; Sammie schenken sie eine Gitarre, die Smoke und Stack Sammies großem Vorbild beim Pokern abgenommen haben: Charley Patton, dem (ebenfalls historisch verbürgten) Vater des "Delta Blues".
Als die Stimmung im eben eröffneten Nachtclub seinen ersten Siedepunkt erreicht, beginnt ein weiterer neuer Film. Jetzt kommen die Horrorelemente, die Teufel, denen man für begnadetes Gitarrenspiel die Seele verkauft. Coogler fügt die Elemente elegant ineinander, der ganze Film ist ein fröhlich plätschernder, dann mitreißender Fluss im Rhythmus trommelnder Bluesgitarren, in dem im Verlauf einer hinreißenden Plansequenz Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander fließen. Da feiern die Gäste plötzlich mit afrikanischen Stammestänzern neben Gitarristen im glitzernden Funk-Outfit vor einem DJ an Plattendecks und einem Rapper vom Ende des 20. Jahrhunderts.
Während draußen sich die Weißen versammeln, die irische Folklore singend die schwarze Gesellschaft aufmischen wollen. Nicht mit Fäusten oder Gewehren. Mit ihren Zähnen. Sie wollen sie aussaugen und auf ihre Seite holen. Das ist so irre, wie es klingt. Weiße Rassisten als Vampire, die die Schwarzen nicht kujonieren wollen sondern assimilieren, auf dass sie gemeinsam weiter feiern.
Ryan Coogler hat wieder mit seiner Stammkraft, Michael B. Jordan, gedreht ("Creed III: Rocky's Legacy" – 2023; Black Panther: Wakanda Forever – 2022; Space Jam: A new Legacy – 2021; "Tom Clancy's Gnadenlos" – 2021; Creed II: Rocky's Legacy – 2018; Black Panther – 2018; Creed: Rocky's Legacy – 2015; Fantastic Four – 2015; Chronicle – Wozu bist du fähig? – 2012; Red Tails – 2012). Jordan spielt hier die beiden Zwillingsbrüder Smoke und Stack und ihm gelingt dabei mühelos, als Schauspieler zwischen den beiden Charakteren, die häufig zusammen auf der Leinwand zu sehen sind, hin und her zu switchen, beiden Figuren Eigenschaften zu geben, die sie so unterscheiden wie ihre Kopfbedeckungen – der wortkarge Macher im eleganten Dreiteiler unter leuchtend blauer Schiebermütze und der charmante Draufgänger mit Goldschmuck und lila Fedora. Um den leuchtenden Jordan herum strahlen lauter leuchtende Sterne, angeführt von der nigerianisch-britischen Schauspielerin Wunmi Mosaku ("Deadpool & Wolverine" – 2024; Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind – 2016; Batman v Superman: Dawn of Justice – 2016), die als Smokes Ex-Freundin Annie der zunehmend schweißtreibenden Düsternis der Umgebung eine coole Souveränität entgegen stellt. Ihr Gegenstück, Stacks ehemalige (und weiße) Geliebte Mary, die mittlerweile reich geheiratet hat, Stack deswegen aber nicht weniger aufreizend findet, spielt Hailee Steinfeld, die hier geheimnisvoller, komplexer erscheint, als in vielen ihrer vorherigen Rollen (The Marvels – 2023; 3 Engel für Charlie – 2019; Bumblebee – 2018; "Pitch Perfect 3" – 2017; 3 Days to Kill – 2014; Ender's Game – 2013; Can a Song Save Your Life? – 2013; True Grit – Vergeltung – 2010).
"Blood & Sinners" ist ein wilder Ritt, der einen gerade hier- und gleich dorthin schleudert, der fröhlich zwischen den Genres springt – Thriller, Drama, Gothic, Horror, Musical – und nur einmal die Handschrift seines Regisseurs verliert. Im großen Finale legt der Film plötzlich Wert auf eine Schießerei mit ordentlich Pyrotechnik zwischen Stack und den nicht mutierten Klan-Mitgliedern, die aussieht, als hätte das Studio darauf bestanden, dass aber nun wenigstens auch noch ein wenig moralische Gerechtigkeit geübt wird. Also wird halt geballert, was das Zeug hält.
Statt dessen hätte der Delta Blues, benannt nach seinen Ursprüngen im Mississippi Delta, einfach noch ein paar Auftritte mehr vertragen. Die große Klasse dieser treibenden Musik reicht eigentlich aus, um die blassen Klanmitglieder zu vernichten. Aber wenn etwas in diesem Film nicht tötet, dann ist es eben die Musik.
Die Legende rund um die teuflischen Gitarrenkünste eines Südstaatenmusikers hat Walter Hill 1986 schonmal verfilmt. In seinem Film "Crossroads" spielt (der weiße) Ralph Macchio einen begabten Musiker, der vom Blues träumt und von dem schwarzen Bluesharp-Spieler Willie Brown in die Geheimnisse dieser Musik eingewiesen werden will. Dieser Willie Brown hat als Jugendlicher an einer Weggabelung seine Seele an den Teufel verkauft, um von dem den Blues zu lernen.
Auch Willie Brown ist eine historisch verbürgte Figur, der Ende der 1920er Jahre dem leidlich talentierten Robert Johnson den Delta Blues nahe brachte – eben jenem Robert Johnson, der nach einigen Jahren auf Wanderschaft so herzergreifend Gitarre spielte, dass die Menschen (s.o.) sagten, er, Johnson, sei an jener Straßenkreuzung in Clarksville für seine Musik einen Pakt mit dem Teufel eingegangen.