IMDB

Plakatmotiv: Ambulance (2022)

Rasant eleganter Actionfilm,
bei dem Fragen verboten sind

Titel Ambulance
(Ambulance)
Drehbuch Chris Fedak
nach dem dänischen Thriller "Ambulancen" von Laurits Munch-Petersen & Lars Andreas Pedersen
Regie Michael Bay, USA 2022
Darsteller

Jake Gyllenhaal, Yahya Abdul-Mateen II, Eiza González, Garret Dillahunt, Keir O'Donnell, Jackson White, Olivia Stambouliah, Moses Ingram, Colin Woodell, Cedric Sanders, A Martinez, Jesse Garcia, Jose Pablo Cantillo, Wale, Devan Chandler Long, Randazzo Marc, Victor Gojcaj, Briella Guiza u.a.

Genre Action
Filmlänge 146 Minuten
Deutschlandstart
24. März 2022
Website www.ambulance.movie
Inhalt

Will Sharp ist ein Afghanistan-Veteran, der dringend 231.000 US-Dollar für eine notwendige Operation seiner Frau braucht. Er wendet sich an Danny, seinen kriminellen Adoptivbruder, der ihn dazu überredet, an einem 32-Millionen-Dollar-Banküberfall teilzunehmen.

Der Raub geht schief, als die beiden einen Beamten des LAPD niederschießen. Wenig später sind Will und Danny, zusammen mit dem schwerverletzten Polizisten als Geisel, in einem Krankenwagen auf der Flucht …

Was zu sagen wäre

Wer raubt denn heutzutage noch eine Bank aus? Gibt es das überhaupt noch?“, fragt die Paartherapeutin ihre vor ihr sitzenden Klienten. Und als der eine, ein Agent aus der Anti-Bankraubabteilung des FBI, antworten möchte, piepst sein Handy Alarm: Bankraub in der Stadt. Ja, es gibt sie noch, die guten alten Filmgangster, die in eine Bank hinein marschieren und mit vorgehaltener Waffe den Inhalt des Tresors fordern. Dort liegen bis zum frühen Abend 31 Millionen Dollar in Bar aus irgendwelchen Gründen, die erklärt und sofort wieder vergessen sind. Bankraub ist ein aussterbendes Delikt, weil es immer weniger Bargeld gibt und das wenige, das gelagert wird, ist so abgesichert, dass dessen Raub viel zu umständlich ist. Aber im Kino ist ja immer alles möglich. Schon Hitchcock fand es blöd, seine Filme an der Realität draußen vor dem Kino messen zu lassen. Er folgte der Devise Wenn es dem Suspense dient, mach es. Und was liefert größeren Suspense als „Ein simpler Überfall, eine unmögliche Flucht“, wie es das Filmplakat verspricht? Bei "unmöglich" wird das moderne Actionkino erst hellhörig.

Michael Bay gönnt sich eine Pause bei den Transformers und dreht also einen Actionfilm mit echten Menschen. Das heißt, die Menschen, die vor der Kamera agieren, sind echte Menschen. Die Menschen, die sie im Film darstellen, sind Comicfiguren. Irgendwann operiert die Rettungssanitäterin, angeleitet am Telefon von zwei Ärzten, die gerade auf dem Golfplatz stehen, in dem Notarztwagen den angeschossenen Polizisten, während Will mit Vollgas durch die Outskirts von Los Angeles brettert und dann erst die Batterie vom Handy leer ist, die helfenden Doktoren also weg, und dann die Milz des Schwerverletzten reißt, die die Rettungssanitäterin mit ihrer Haarklammer dann abklemmt. Im Kino hinter mir diskutiert später ein Paar, dass man nach dem gemeinsam absolvierten Erste-Hilfe-Kurs nicht glaube, dass das möglich sei. Transformers sei dagegen ja realistisch.

"Ambulance" ist ein verrückter Film. Herrlich bescheuert, aber mitreißend und sogar berührend. Die Kamera von Roberto De Angelis, der sein Handwerk bei Filmen von Edgar Wright oder James Cameron geschult hat, steht keine Sekunde still, keine Einstellung ist länger als drei Sekunden. Dabei hat Bay eine neue Kamera für sich gefunden, eine Drohne, mit der er halsbrecherische Einstellungen baut, die kopfüber ins Bild fliegen, einen Salto machen, an einer Hauswand runtersausen und dann einem Tross rasender Autos entgegen fliegt. Einmal lässt er diese Drohne parallel neben Polizeiwagen herfliegen, die dem gekaperten Rettungsfahrzeug nachjagen, dann steigt die Drohne hoch, um einem herumfliegenden Auto auszuweichen, saust dann über Stock und Stein, während über sie drüber ein rasendes Auto springt – und das sieht nicht nach Computertricks, sondern nach viel Handarbeit aus. Hier passt der Begriff "Achterbahnkino", den ich bei Actionfilmen bisweilen verwende.

Es sind tatsächlich die Äußerlichkeiten, die diesen Film treiben. Inhaltlich bewegt er sich lange auf den Gleisen, die der Filmtrailer erwarten ließ. Die Hauptfiguren rauben eine Bank aus, 32 Millionen Dollar, schießen einen Polizisten an und rasen dann mit dem Rettungsfahrzeug, dem angeschossenen Polizisten und einer Rettungssanitäterin durch die Straßen von Los Angeles. Und immer an ihrem Heck hängt ein großer Haufen Polizeiautos und -Hubschrauber, in denen Polizisten sitzen, die den Krankenwagen nicht von der Straße drängen dürfen, weil sie ihren Kollegen an Bord nicht gefährden wollen. Die einzige Frage, die sich stellt: Wie können die Hauptfiguren, beide keine Unsympathen, aus der Nummer rauskommen, ohne die Moral der Zuschauer zu sehr zu strapazieren? Irgendwann im letzten Drittel wird klar: gar nicht! Den Schirmchen-Cocktails an einem karibischen Strand mit ein paar der erbeuteten Millionen ist nach dieser mörderischen Nummer erzählerisch nicht mehr drin.

Dabei startet "Ambulance" als fröhlicher Actionfilm mit lustigen Sprüchen. Erst im Verlauf dreht er sich hin zu einem Drama, das uns im Kinosessel trotz seiner Plastikfiguren nicht kalt lässt. Da ist einerseits Yahya Abdul-Mateen II, dessen Strahlkraft in Hollywood gerade in großen Projekten getestet wird (Matrix Resurrections – 2021; "The Trial of the Chicago 7" – 2020; Aquaman – 2018; Baywatch – 2017). Er spielt den Afghanistan-Veteranen William, dessen Frau eine experimentelle Krebsbehandlung benötigt, die mehr als 200.000 Dollar kostet, die aber die Kasse „nicht bezahlen will, weil die Behandlung ja experimentell ist“. Hätte man ein paar Minuten Zeit, könnte man im Kinosessel auf die Idee kommen, dass das ja vielleicht seine Gründe hat und diese mit dem erschöpften „ich habe mein Leben für dieses Land riskiert“ nicht falsch werden. Aber bei Michael Bay, der nie vergisst, in seinen Filmen irgendwo eine US-Flagge im Sonnenuntergang wehen zu lassen, muss der Dreiklang reichen: Tapferer Soldat, kaltherzige Versicherung, patriotisch begründete Selbsthilfe. Denn nur wenige Frames später hat der Stiefbruder des Soldaten ihn in das 31-Millionen-Projekt eingespannt. Bis dahin vergehen in früheren Filmen – und es gibt ja viele, die einen ähnlichen Einstieg wählen – rund 30 Minuten.

Bei Michael Bay sind Veteran William und sein Stiefbruder schon nach 15 Minuten in der Bank, wir haben seine Männer kennengelernt und auch die Rettungssanitäterin, die später eine wichtige Rolle spielen wird. Diesen Stiefbruder, Danny, spielt Jake Gyllenhaal, der nicht zum ersten Mal den bösen, oder wenigstens fragwürdigen Charakter spielt (Spider-Man: Far from Home – 2019; "Okja" – 2017; Nocturnal Animals – 2016; Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis – 2014; Source Code – 2011; Prince of Persia: Der Sand der Zeit – 2010; "Brothers" – 2009; "Zodiac: Die Spur des Killers" – 2007; "Jarhead – Willkommen im Dreck" – 2005; Brokeback Mountain – 2005; The Day After Tomorrow – 2004; Moonlight Mile – Eine Familiengeschichte – 2002; "Donnie Darko" – 2001). Sein Danny ist gebildet, charmant, eloquent und manchmal auch sehr kühl in seiner Berechnung. Und er umgibt sich für seinen großen Coup mit Leuten, die in Michael Bays Casting-Abteilung alle unter "Hochsicherheitsknast" zu finden sein müssen. Einer trägt beim Bankraub Birkenstock-Sandalen an den nackten Füßen, die anderen sehen aus, wie die hässlichen Geschwister von Danny Trejo. Und besonders intelligent wirken sie auch nicht, was bei einem Bankraub dieser Größenordnung hinderlich sein könnte, aber, Stichwort: Realismus: Es ist kein Dokumentarfilm. Das muss man sich vor Augen halten, denn der Bankraub geht auf so absurde Weise schief, dass man gar nicht weiß, was am wenigsten falsch an den Szenen ist; vielleicht die rätselhaften Dialoge von ein paar komischen Typen, die Polizeiklamotten tragen und offenbar wissen, dass da ein großes Ding in der Bank gegenüber geplant ist, und wirken, als wollten sie selber abgreifen und die dann später keine Rolle mehr spielen. Oder doch die kilometergroßen Löcher im Drehbuch.

Über weite Strecken konzentriert sich der Film auf das Geschehen im rasenden Krankenwagen. Das hilft in dem hektischen Kameragefuchtel der Orientierung im Kinosessel, denn das Draußen von Los Angeles ist mal hier, mal da und obwohl der smarte Danny in der ganzen Unübersichtlichkeit an einem Plan bastelt, der ihn an einen bestimmten Punkt in der Stadt bringen soll, bleibt ganz unklar, wo die Ambulanz gerade hin rast und wo sie gerade ist. Plakatmotiv: Ambulance (2022) Im Rettungswagen ist die Situation dagegen geradezu übersichtlich und kann sich Zeit für die Figurenentwicklung nehmen. Auch, wenn die rasende Bildschnittfolge bleibt, Dialoge nie gesprochen, immer gebrüllt werden, schärfen sich die psychologischen Profile der drei Hauptfiguren.

Verbissen arbeitet Danny daran, aus der Zufallssituation, die die Brüder in diesen Notarztwagen gebracht hat, einen Fluchtplan zu schmieden. William wird sich zunehmend klar darüber, dass er einen großen Fehler gemacht hat, als er sich heute Morgen an seinen Bruder mit der Bitte um Hilfe wandte, und versucht nun, den angeschossenen Polizisten zu retten und die Rettungssanitäterin Cam Thompson heil aus der Situation zu bringen. Die hat sich im Vorfeld als Vollprofi eingeführt, die nichts an sich ran lässt und von balzenden Männern genervt ist. Auch eine Comicfigur – eben eine, die die gerissene Milz eines Halbtoten mit einer Haarspange abklemmt. Eliza González strahlt als Cam coole, überlegte Toughness aus, die nie die Nerven verliert (Godzilla vs. Kong – 2021; Bloodshot – 2020; Fast & Furious: Hobbs & Shaw – 2019; Alita: Battle Angel – 2019; Baby Driver – 2017). Während die beiden Jungs mit zunehmender Dauer, zunehmenden Toten und zunehmender Zerstörung immer weniger Zukunft selbst in diesem Comicuniversum haben, wird aus Cam Tompson ein echter Mensch mit Empathie und Raffinesse. Die am Ende sogar Emotionen in ihrem Job zulässt.

Man kann sich leicht an dieser albernen Geschichte mit diesen Plastikfiguren abarbeiten. Aber es gelingt Michael Bay, dass man das während des Films nicht tut. Man stutzt mal, warum vier Krankenwagen, die eine entscheidende Rolle spielen, plötzlich weiß-rot statt rot-weiß sind und eine andere Aufschrift haben, man stolpert über im Stakkato-Schnitt offenbar verloren gegangenen Sequenzen, durch die eine Actionszene irritierend vorzeitig beendet scheint. Aber alles in allem klebt man im Sessel und freut sich über die gelungene Achterbahnfahrt durch den Fünfer-Looping, bei der man ja auch erst hinterher merkt, dass man die fünf Loopings gar nicht einzeln wahrgenommen hat, aber vor Freude ordentlich geschrien hat. Das Erzähltempo ist vom ersten Frame an sehr hoch, schon, als die Gangster sich erst treffen sieht das aus, als könne Michael Bay es nicht erwarten, dass es endlich losgeht. Dramaturgische Bögen, in denen das Tempo auch mal rausgenommen wird, kennt Bay nur insofern, dass es bei gleicher Schnittfrequenz immer dann etwas langsamer wird, wenn der Film zu den Einsatzleitern der Polizei rüber geht. Die wichtigsten haben je eine herausragende Macke, um sie in dem Bildschnittgewiter immer gleich zu erkennen, und erörtern Strategien und Möglichkeiten gegen die Bankräuber und Geiselnehmer. Dann jagt die Drohnenkamera wieder los und die Dialoge werden wieder gebrüllt.

Bei so einem Film wird aus der Klage des sowjetischen Filmemachers Andrej Tarkowskijs, „Wir schauen nur, aber wir sehen nicht“, etwas Gutes. Es ist sinnvoll, ja geradezu Voraussetzung, bei diesem Film nur zu schauen, und bloß nicht zu sehen.

Wertung: 5 von 8 €uro
IMDB