Galeristin Susan erhält Post von ihrem Ex Edward. Der war ein junger Schriftsteller mit großen Plänen, als sie ihn verließ. Aus den großen Plänen wurde dann nichts. Heute ist er Englischlehrer an einem kleinen College, sie mit Hutton verheiratet, einem Geschäftsmann auf absteigendem Ast.
Seit 20 Jahren hat Susan nichts mehr von Edward gehört, nun hat er ihr ein Manuskript mit dem Titel „Nocturnal Animals“ („Nachtaktive Tiere“) geschickt. In der Geschichte geht es um Tony Hastings, der mit seiner Frau Laura und Tochter India auf einem Highway in Texas unterwegs ist. Die Familie wird von einer Gruppe Männer um Ray Marcus bedrängt, die beiden Frauen werden schließlich entführt. Tony und der Sheriff, Bobby Andes, versuchen, Laura und India zu finden, bevor ihnen etwas passiert – spätestens jetzt ist Susan im Sog von Edwards Roman.
Die Geschichte verflechtet sich mit ihren persönlichen Erfahrungen …
Spoiler Alarm – man kann nicht über diesen Film reden, ohne was zu verraten – Spoiler Alert
Eine Geschichte auf drei Ebenen: heute, gestern und die zeitlose Ebene des Romans – und die ist im Kinosessel kaum zu ertragen. Tom Ford inszeniert (nach der Romanvorlage von Austin Wright) einen Rachefeldzug, der zunächst harmlos als Päckchen daherkommt – darin ein Buchmanuskript. Es heißt „Nocturnal Animals“ und Susan ist angemessen neugierig. Hat ihr Ex sie nicht so genannt, weil sie nachts selten schlafen konnte? Das Buch ist Edwards Aufarbeitung ihrer Trennung. „Ich habe ihm etwas angetan, was man nicht wieder gut machen kann“, sagt sie einmal. „Ich habe ihn verlassen auf eine sehr grausame Art. Für den sehr gut aussehenden Hutton.“ Und hat dafür Edwards und ihr baby abgetrieben. Und Edward fühlte sich so verlassen und leer, wie seine Romanfigur Tony.
Eine Welt der Oberfläche, in der Gefühle nicht gern gesehen sind
Das junge Liebespaar – er hoffnungsfroher, künftiger Schriftsteller, sie Tochter aus reichem Hause mit künstlerischen Ambitionen – steckt in seinen unterschiedlichen Lebensvorstellungen fest. Er will unbedingt diesen Erfolgsroman schreiben und scheitert ein ums andere Mal, weil, wie Susan ihm vorwirft, er immer nur über sich schreibe. Sie stellt bald fest, sie sei „zu zynisch, um Künstlerin zu sein“ – und wird zur erfolgreichen Galeristin der Schönen und Reichen, die hässliche, fette, nackte Körper als Kunst auf Vernissagen feiern.
Regisseur Tom Ford, sehr erfolgreicher Modedesigner mit Millionenumsätzen, der sich in der Oberflächenwelt der Schönen und Reichen auskennt, inszeniert eine kalte Welt. Das Haus, in dem Susan und Hutton leben, dominieren große Glasflächen und Beton, riesige Räume, lange Korridore. Und ihr zweiter Mann, Hutton, sieht so clean aus, wie die Ehe, die beide auch schon lange nicht mehr führen. „Liebst Du ihn noch?“ Die Frage ihrer Freundin kann Susan nicht beantworten. Liebe ist in ihrer Welt kein Wert. In diese Welt der Oberflächenreize hat Susan sich – angetrieben von ihrer Pelz tragenden Mutter („Wir alle verwandeln uns in unsere Mütter!“) nach ihrer Ehe mit dem sehr emotionalen Edward geflüchtet, der selbst in seinen Träumen hängen blieb und diese nun endlich so grausam zu Papier gebracht hat.
Verzweiflung, Hass, Mordlust
Da ist es dann vorbei mit der glatten Oberfläche. Das Buch ist pure Emotion – Verzweiflung, Hass, Mordlust. Tony Hastings kann nicht verhindern, dass seine Frau und seine Tochter entführt, vergewaltigt und ermordet werden von drei Typen, die es schon als große Leistung betrachten dürfen, es in die Volljährigkeit geschafft zu haben. Ihren Anführer, den Aaron Taylor-Johnson (The Avengers – Age of Ultron – 2015; Godzilla – 2014; "Anna Karenina" – 2012; Savages – 2012; Kick-Ass – 2010) mit filzigem Haar und proletenhaftem Pöbelcharme spielt, zeigt Tom Ford auf einem Freiluft-Klo sitzend vor seiner Haustür – offenbar ein Typ, der sich nicht um gesellschaftliche Normen schert, also brandgefährlich für die zivilisierte Welt. Wer mag, kann in Tom Fords Zeichnung dieser Figuren eine Karikatur des Donald-Trump-Fans erkennen; der Film wurde im Herbst 2015 gedreht, da war Donald Trump noch der reiche Schulhofprolet und chancenlose Außenseiter im Rennen um eine Präsidentschaftskandidatur.
Scheinwelt und Seinwelt
Dass meine Rachephantasien im Kinosessel letztlich unerfüllt bleiben, weil der gute Tony dann doch kurzen Prozess macht, erweist sich als nicht so schlimm. Die letzte Ohrfeige zimmert Edward, Tonys Erfinder, ohnehin seiner Ex ins Gesicht, indem er nicht zu dem verabredeten Date erscheint und sie in ihrer Oberflächenwelt mit der Wucht seines Manuskripts sitzen lässt. Dass ihr neuer Gatte, der schöne Hutton, längst eine andere vögelt, weiß Edward zwar nicht, würde ihn aber wahrscheinlich lächeln lassen. Lächeln tut Edward nicht mehr seit damals. Tom Ford („A single Man“ – 2009) versucht etwas außergewöhnliches – nichts Neues – aber im kommerziellen Kino Außergewöhnliches. Der Regisseur verwebt Scheinwelt und Seinwelt, elegant fotografiert, auf intelligente Weise, die mich emotional über nahezu die gesamte Strecke fesselt – ich wüte, ich entwickle animalische Gewaltphantasien – und das in sehr eleganter Fotografie.
Die Leere in Tonys Leben, das Edwards Leben ist, spiegelt sich in Jake Gyllenhaals großen Augen („Das liebe ich an West-Texas am meisten: keine Telefone, keine Leute“). Er bedient die großen Gefühle – eine Traumrolle für einen so wandelbaren Schauspieler wie Gyllenhaal (Nightcrawler – 2014; Source Code – 2011; "Zodiac – Die Spur des Killers" – 2007; Brokeback Mountain – 2005; The Day After Tomorrow – 2004; Moonlight Mile – 2002; "Donnie Darko" – 2001). Amy Adams (Arrival – 2016; American Hustle – 2013; Her – 2013; Man of Steel – 2013; Back in the Game – 2012; "Glaubensfrage" – 2008; Der Krieg des Charlie Wilson – 2007) hat es etwas schwerer. Ihre Rolle zeigt sie zumeist lesend und erschrocken über neue Erkenntnisse. „Zu zynisch, um Künstlerin zu sein“, versinkt sie in ihrer Melancholie, hervorgerufen durch verpasste Chancen und nicht erfüllte Träume.
Ihr bleibt der Trost eines schwulen Partyfreundes: „Unsere Welt ist weitaus weniger schmerzlich, als die wirkliche Welt!“