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Plakatmotiv: Blind Side – Die große Chance (2009)

Eine unwahrscheinliche Gewinnerstory
aus dem angeblich wahren Leben

Titel Blind Side – Die große Chance
(The Blind Side)
Drehbuch John Lee Hancock
nach dem Buch "The Blind Side – Evolution of a Game" von Michael Lewis
Regie John Lee Hancock, USA 2009
Darsteller
Sandra Bullock, Tim McGraw, Quinton Aaron, Jae Head, Lily Collins, Ray McKinnon, Kim Dickens, Adriane Lenox, Kathy Bates, Catherine Dyer, Andy Stahl, Tom Nowicki, Libby Whittemore, Brian Hollan, Melody Weintraub u.a.
Genre Biografie, Drama, Sport
Filmlänge 129 Minuten
Deutschlandstart
25. März 2010
Inhalt

Der Teenager Michael Oher ist praktisch obdachlos und auf sich allein gestellt, als ihn Leigh Anne Tuohy zufällig auf der Straße sieht. Nachdem sie erfährt, dass der junge Mann, der da im eisigen Winter nur in kurzen Hosen und T-Shirt herumläuft, in die Schulklasse ihrer Tochter geht, besteht sie darauf, ihn aus der Kälte zu holen.

Ohne zu zögern lädt sie ihn ein, die Nacht im Haus der Tuohys zu verbringen. Aus der spontanen, menschlichen Geste wird schnell gegenseitige Verbundenheit. Es dauert nicht lange, da gehört Michael zur Familie – trotz großer sozialer und kultureller Unterschiede.

Anfangs fällt es dem Teenager sehr schwer, sich in seiner neuen Umgebung zurecht zu finden. Doch die Familie hilft Michael unermüdlich und auf jede erdenkliche Weise, sein eigenes Potential zu erkennen und auszuschöpfen. Die Tuohys wiederum gelangen durch Michaels sanfte, liebenswerte Art zu wertvollen Selbsterkenntnissen, die ihnen sonst womöglich verborgen geblieben wären.

Michael Oher macht schließlich eine beispiellose Karriere: Er steigt zum umjubelten nationalen Footballstar auf …

Was zu sagen wäre

Es gibt diese Filme, die ganz ohne Fallhöhe auskommen; in denen von der ersten Minute an klar ist, dass alles gut wird. Weil das Plakatmotiv einen Film „nach einer wahren Geschichte“ verspricht (im vorliegenden Fall jubiliert das Plakat gar von einer „wunderbaren wahren Geschichte“) und die Medien anlässlich des Filmstarts die Geschichte des Kellerkindes, das zum Super-Bowl-Helden wird, rauf und runter erzählt haben. Filme, denen man sich im Kinosessel einfach hingibt.

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen über diesen Film. Wer das nicht mag, wer dieses Amerikanische nicht gut findet, wer da Typisch Hollywood denkt, wird vielleicht doch lieber ein Ticket für Up in the Air, (500) Days of Summer oder A Serious Man lösen – amerikanische Filme, die nicht so amerikanisch sind. Der vorliegende Film ist wie eine Erdbeere – emotional gibt es keine zwei Meinungen und irgendwas Schwieriges findet sich auch nicht. John Lee Hancock will einfach eine rührende, wahre Geschichte erzählen – mit den Mitteln des Kinos. Und das tut er.

Eine reiche weiße Familie hilft einem afroamerikanischen Kellerkind aus dem Underdogviertel auf die Beine, nimmt es in ihrem Haus auf, einfach, weil sie es kann und so etwas für selbstverständlich hält. Die Initiative übernimmt eine sehr resolute Mutter mit festen Prinzipien, die sehr schnell versteht, was der Junge, Sohn einer drogensüchtigen Mutter, eines toten Vaters und Bruder von sieben Geschwistern, oder auch mehr, die er gar nicht alle kennt, benötigt. An ihrer Seite ein freundlicher Ehemann, ehemaliger Basketballprofi und jetzt Besitzer einer Taco- und Burgerkette, der viel Zeit hat. Dazu eine ältere Tochter, die sich selbstverständlich gegen ihre Freundinnen stellt und das neue Familienmitglied demonstrativ unterstützt. Und ein jüngerer Sohn, SJ, der begeistert ist, endlich sowas wie einen älteren Bruder zu haben. Alle sind herzensgut. Und als Mike, das neue Familienmitglied, den nagelneuen Truck, den er gerade geschenkt bekommen hat, zu Schrott fährt und SJ dabei verletzt, ist niemand böse, nur besorgt, dass hoffentlich niemandem etwas passiert ist. In Deutschland fällt es schwer, diesen Bildern aus Amerika, einem Land steter Rassenunruhen, in dem weiße Polizisten unbewaffnete Afroamerikaner erschießen und straffrei davonkommen, eine „wahre Geschichte“ zuzutrauen. Aber irgendwie so muss es gewesen sein. Michael Jerome Oher spielt derzeit als Offensive Tackles bei den Baltimore Ravens.

Ob die echte Leigh Anne Tuohy aber zu zupackend war, wie ihre Filmfigur, scheint kaum zu glauben. Sandra Bullock als Leigh Ann ist omnipräsent. Ohne sie geht gar nichts, weder soziales Gewissen noch Spielzüge noch faires Benehmen. Das ist ein bisschen too much. Sie ist derartig eindimensional die Superheldin, dass es ein wenig peinlich wirkt. Aber das fügt sich natürlich ins Bild: Ein Film dieser dramaturgisch flachen Bauart braucht eine unanfechtbare Superheldin (oder -helden), um zu funktionieren.

Das zentrale Motiv des Films findet sich, als der kleine SJ sich den neuen Bruders annimmt, dessen Fitness noch zu wünschen übrig lässt. SJ also trainiert Michael bei seinen ersten Einheiten. Irgendwann liegt Mike erschöpft am Boden, SJ, etwa halb so groß und dünn will ihm aufhelfen, zieht den viel größeren, schwereren Mike so halb hoch und fällt dann selbst ob des Gewichts, aber da steht Mike schon und hilft ihm auf. Plakatmotiv (US): Blind Side (2009) Beide – die Familie und Mike, Schwarz und Weiß, Reich und Arm – helfen sich gegenseitig zu etwas Besserem. Gemeinsam!

Sandra Bullock hat für ihre Rolle als erfolgreiche Familienzusammenhalterin, erfolgreiche Innenarchitektin und erfolgreiche Weltklasse-Spieler-Adoptivmutter ihren längst überfälligen Oscar bekommen. So abfällig das klingt, muss ich das doch so sagen. Bullock ist großartig. Aber ihre Rolle lebt dann doch weniger von ihren individuellen Fähigkeiten oder ihrem speziellen Können; die Rolle der weißen innenarchitektonisch bewanderten Bling-Bling-Familienglucke, die sich eines armen, frierenden schwarzen Kükens annimmt und es mit klarem Weltbild und beherztem Auftritt in eine erfolgreiche Karriere im College Football führt, ist für eine weltweit ausgestrahlte Oscar-Show einfach zu verführerisch. Bullocks Mit-Favoritinnen waren Helen Mirren für "The Last Station", Carey Mulligan für "An Education", Gabourey Sidibe für "Precious: Based on the Novel 'Push' by Sapphire" und Meryl Streep für "Julie & Julia". Für Bullock ist es die richtige Rolle in überfälliger Zeit. Sie ist eine wunderbare Schauspielerin, die sowohl im Drama als auch in der Comedy überzeugt (Selbst ist die Braut – 2009; Das Haus am See – 2006; L.A. Crash – 2004; Mord nach Plan – 2002; Speed 2: Cruise Control – 1997; Die Jury – 1996; Das Netz – 1995; Während du schliefst – 1995; Speed – 1994; Demolition Man – 1993). Aber als Miss Undercover bekommt man ebensowenig einen Oscar wie als Assistentin eines Chef zum Verlieben oder als Charakter in einem Ensemble-Film wie L.A. Crash.
Kurz: Sandra Bullock bereichert die Szenerie enorm. Wenn sie Muskelberge, die doppelt so groß und doppelt so breit sind wie sie, aber vor der blonden Gucci-Autorität zur Salzsäure erstarren, wie Schachfiguren auf einem Footballfeld herumschiebt, und eine mit allen sozialen Wassern gewaschene, afroamerikanische Mitarbeiterin in einer Sozialbehörde und den Lord der Gang in der schwarzen Community in Hab-Acht-Stellung bringt, sind das beeindruckende, fröhlich stimmende Szenen; den können sogar republikanische, ja sogar rassistische Zuschauer applaudieren – Sandra Bullocks Charme sei Dank.

Um wenigstens eine irgendwie geartete Fallhöhe einzubauen, irgendein Problem, werden die afroamerikanische Gang-Mentalität sowie die weiße Bürokratie bemüht. Das festigt Stereotype auf beiden Seiten, hier der schwarze Drogenkönig, da die gnadenlose Beamtin. Aber auch hier überwindet die leichtfüßige Regie die Probleme und dann macht es Spaß, der auftoupierten Blondine Sandra Bullock im engen Designerkleid dabei zuzuschauen, wie sie eine Horde afroamerikanischer Zuhälter-Typen in Schach hält. Und es treibt die Tränendrüse, wenn der bis dato wortungewandte Michael der Beamtin aus dem Schulministerium – einer Latina immerhin – deren freundlich vorgefertigtem Fragebogen mit charmanten Gegenfragen den Wind aus den Segeln nimmt.

Kurz: Eine Gewinnerstory mit lauter lieben Menschen. Der Film funktioniert über seine rührende Aufsteigerstory aus dem vorgezeichneten Elend ins Licht, die es in der realen Welt ja in etwa irgendwie so abseits aller Hollywood-Girlanden gegeben hat.

Wertung: 4 von 8 €uro
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