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Plakatmotiv: Captain Phillips (2013)

Eine Studie darüber, wie schnell
einem die Kontrolle entgleitet

Titel Captain Phillips
(Captain Phillips)
Drehbuch Billy Ray
nach dem Buch "A Captain's Duty: Somali Pirates, Navy SEALS, and Dangerous Days at Sea" von Richard Phillips & Stephan Talty
Regie Paul Greengrass, USA 2013
Darsteller

Tom Hanks, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Faysal Ahmed, Mahat M. Ali, Michael Chernus, David Warshofsky, Corey Johnson, Chris Mulkey, Yul Vazquez, Max Martini, Catherine Keener, Omar Berdouni, Mohamed Ali, Issak Farah Samatar u.a.

Genre Drama, Biografie
Filmlänge 134 Minuten
Deutschlandstart
14.November 2013
Inhalt

Im April 2009 wird das US-amerikanische Container-Frachtschiff „MV Maersk Alabama“ vor der Ostküste Somalias von Piraten gekapert. Es ist der erste Fall dieser Art für die Amerikaner seit über 200 Jahren. Um die eigene Crew vor einer Gefangennahme zu bewahren, bietet sich Kapitän Richard Phillips den Piraten als Geisel an. Diese gehen auf das Angebot ein.

Phillips muss sich vor allem mit dem Anführer Muse auseinandersetzen, der sein Opfer immer wieder mit Gedanken zur Globalisierung und ihren Auswirkungen konfrontiert und auf diese Weise die eigene Piraterie verteidigt. Die Lage ist verfahren, Phillips versucht jedoch alles, um Zeit zu gewinnen. Im Hintergrund beginnen die Vorbereitungen für eine Befreiungsaktion.

Nach drei Tagen schlagen die NAVY Seals zu …

Was zu sagen wäre

Ich komme beunruhigt aus dem Kino. Insofern hat das Kunstwerk "Film" erst einmal alles richtig gemacht – es hat mich durchgeschüttelt. Regisseur Paul Greengrass ("Green Zone" – 2010; Das Bourne Ultimatum – 2007; "Flug 93" – 2006; Die Bourne Verschwörung – 2004; "Bloody Sunday" – 2002) führt mir in seinem gewohnt beklemmenden, packenden Inszenierungsstil vor Augen, wie dünn der Firnis zivilisatorischer Sicherheit ist, unter dem wir uns alltäglich einrichten. Wie schnell wir die Kontrolle verlieren, wird uns exemplarisch an der Titelfigur deutlich: Captain Phillips steigt in den Film als Mann ein, der im Beruf alles unter Kontrolle hat – privat hat er gerade etwas Schwierigkeiten mit seinem pubertierenden Sohn, aber das wird schon; im Beruf, das heißt, auf seinem Schiff kennt er seine Pappenheimer, erkennt die Drückeberger, die Gewerkschaftsfunktionäre und die kleinen Lässlichkeiten, die auf hoher See schnell zu einer Katastrophe werden können. Captain Phillips ist schließlich Tom Hanks (Cloud Atlas – 2012; Extrem laut und unglaublich nah – 2011; Larry Crowne – 2011; Illuminati – 2009; Der Krieg des Charlie Wilson – 2007; The Da Vinci Code – 2006; Ladykillers – 2004; Forrest Gump – 1994; Philadelphia – 1993; Eine Klasse für sich – 1992; Scott & Huutsch – 1989; Geschenkt ist noch zu teuer – 1986). Er hat alles im Griff. Und die Türen, die die Decks und Unterdecks voneinander trennen, sind, solange er der Captain ist, immer fest verschlossen – darauf legt er Wert; sie werden Piratengewässer durchfahren und er wird nicht zulassen, dass Piraten sein Schiff entern und dann einfach von Deck zu Deck marschieren.

Der Kontrollverlust beginnt am Vorhängeschloss

Mit den Schlössern beginnt schon der Kontrollverlust des Captains. Kontrolle hat er nur in der Theorie; nur so lange, bis die Piraten in der Praxis die kleinen Vorhängeschlösser an den Türen zwischen den Decks einfach mit ihren Maschinengewehren kaputt schießen. Nächster Versuch: Mit den Piraten reden. Aber die brüllen nur, schießen wie wild um sich. Kauen Khat, das die Sinne benebelt. Nichts ist, wie es der Captain aus der Zivilisation kennt. Die Unkenntnis, das unbekannte Terrain wird im Laufe des Films immer größer und mit dem Captain verlieren wir im Kinosaal die Zuversicht, jemals wieder lebend an Land zu kommen.

Kinoplakat (US): Captain PhillipsAllerdings erlauben uns Greengrass und Autor Billy Ray (Die Tribute von Panem – The Hunger Games – 2012; State of Play – Stand der Dinge – 2009; Enttarnt – Verrat auf höchster Ebene – 2007; „Flightplan“ – 2005) Perspektivwechsel. Im Gegensatz zum auf einem Rettungsboot als Geisel gehaltenen Captain dürfen wir mit auf die Schiffe der Marine springen, die „auf keinen Fall zulassen“ werden, dass die Piraten somalisches Festland erreichen. Das gibt uns die Sicherheit, dass etwas gegen die Piraten unternommen wird – und die NAVY Seals sind wirklich sehr bemüht, auf keinen Fall den eigenen Mann, den Captain, zu töten. Es sind alles gute US-Soldaten.

Wechselnde Persepektiven vertiefen das Bild

Greengrass wechselt die Perspektive dauernd. Es wäre ein Leichtes gewesen, Tom Hanks zum Guten Captain der somalischen See und die Piraten zum Schwarzen Wilden zu stilisieren, Khat kauend, Augen rollend und unablässig rumbrüllend. Aber nachdem er uns den pragmatischen Captain vorgeführt hat, der mit seiner Frau, die ihn zum Flughafen fährt, Erziehungsprobleme bespricht, schneidet Greengrass ins Hitze flirrende Somalia, wo abgemagerte Menschen von einem Warlord und seinen bewaffneten Männern angeschnauzt werden, dass sie nicht genug Geld bringen, nicht genug Schiffe kapern und wir im Kinosaal lernen schnell: Die Somalis dort haben nicht wirklich eine Wahl, wenn sie leben wollen – überleben wollen. Und es ist dort offensichtlich keine Gesellschaft des miteinander redens, es herrschen Lautstärke und Waffen. Das gestaltet das Drama etwas ausgeglichener. Etwas. Denn die Somalis bleiben dann, bis auf einen, eben trotzdem wild Augen rollende, Drogen kauende, schwarze Rumbrüller

Die literarische Vorlage die „auf einer wahren Begebenheit“ beruht, heißt „Höllentage auf See – In den Händen von somalischen Piraten – gerettet von Navy SEALs – A Captain's Duty: Somali Pirates, Navy SEALS, and Dangerous Days at Sea“. Das klingt, wie ein Abenteuerausflug. Und ein bisschen so benimmt sich unser guter Captain auch. Unablässig ist er auch in größter Gefahr noch dem humanitären Gedanken verhaftet bemüht, dass es allen gut geht, einem minderjährigen Piraten, der sich schwer am Fuß verletzt hat, spendet er tröstende Worte und versorgt ihn mit dem Nötigsten; tatsächlich bedauert er seine Geiselnehmer, diese „armen Fischer“, denen die Globalisierung ihre Fischgründe genommen hat. Das ist – Tom Hanks hin, Stockholm Syndrom her – ziemlich dick aufgetragen.

Scheitern auf hohem Niveau

Der Film hat mich aufmerksam gemacht, mahnt, nicht einfach schwarz-weiß zu denken. Er unterstreicht das Können seines Regisseurs. Er lässt mich mich im Kinosessel unwohl fühlen, weil die Kamera mitten im Drama steckt, selten bietet uns der Film die Flucht in eine Totale. Es ist alles so, wie es in einem packenden Drama sein muss. Und deswegen scheitert der Film auf hohem Niveau. Captain Phillips, ein Mann mit vielen Facetten, wird die Kontrolle entrissen. Er wehrt sich gegen eine amorphe Masse moderner Wilder – ohne Facetten. Das ist dann genau die Schwarz-Weiß-Malerei, die dieser Film zu thematisieren sucht.

Wertung: 6 von 7 €uro
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