Visionäre Ideen, ein radikaler Neuanfang und die Frage nach dem wahren Preis des Erfolgs: Die Geschichte des jüdisch-ungarischen Architekten László Toth, der nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs alles riskiert, um sein Leben in den USA neu aufzubauen.
Auf dem Fundament vom Schmerz und Verlust findet Toth in der kalten und wuchtigen Kraft des Brutalismus den künstlerischen Ausdruck für seine zerrissene Seele. Dabei ist seine Architektur so kompromisslos wie er selbst, getrieben vom unbändigen Willen, die Welt zu prägen – selbst wenn sich sein bedeutendstes Werk als sein größter Fluch erweisen könnte …
„Es geht um das Ziel! Nicht um den Weg dorthin!“, heißt es zum Höhepunkt des Films. Ein Satz, der ins Schwarze trifft, denn der Regie dieses überlangen Films scheint es egal, ob die dreieinhalb Stunden packend erzählt sind, ob sie Augenfutter bieten oder andere Dinge, die eine Erzählung als Kinofilm rechtfertigen. Am Ende steht eine Aussage. Die ist wichtig. Alles andere, wie etwa, wie oder warum es zu dieser Aussage kommt, spielt eine Nebenrolle.
"Der Brutalist" ist ein viel gelobtes Filmkunstwerk, das mich kalt lässt. Adrien Brody hat im März den Hauptrollen-Oscar für sein Spiel bekommen und das kann ich nachvollziehen. Er spielt einen Mann, der dem Grauen der NS-Zeit in eine offene Zukunft entkommt, feststellt, dass im angeblichen Land of the Free Menschen, wie er, Menschen jüdischen Glaubens, nicht gewollt sind. Der sich mit freundlichem Sturkopf durchsetzt und schließlich als Erbauer von Ikonen gefeiert wird. Eine komplexe Rolle, viele Facetten, die Brody gleichsam aus dem Ärmel schüttelt (Asteroid City – 2023; Grand Budapest Hotel – 2014; Midnight in Paris – 2011; Predators – 2010; Die Hollywood-Verschwörung – 2006; King Kong – 2005; The Village – Das Dorf – 2004; "Der Pianist" – 2002; Der schmale Grat – 1998; New Yorker Geschichten – 1989). Es ist spannend, ihm bei der Arbeit zuzusehen und dabei zu vergessen, dass es Arbeit ist.
Die Inszenierung macht es schwer, die Arbeit zu vergessen. Die Dramaturgie ist lahm, die Geschichte und Stereotypen reicher US-Snobs ausgelutscht, sodass ich nirgendwo einen Punkt finde, an dem ich gerne in diesen Film einsteige. Anfangs denke ich noch, als die Freiheitsstatue auf dem Kopf stehend in die Geschichte eingeführt wird und dann ewig lang nur Talking Heads und zeitgemäß gekleidete Menschen in dunklen oder sehr großen Räumen umeinander schleichen, dass da die Hauptfigur des Architekten noch nicht zur Entfaltung in der Neuen Welt gekommen ist, weswegen alles so unfertig und langweilig aussieht. Aber das ist es dann gar nicht. In der Ausstattung bleibt der Film ernüchternd langweilig.
Ein zentraler Punkt spielt die Lauflänge. Der Film dauert dreieinhalb Stunden. In solcher Länge wurde früher das Cleopatra-Drama erzählt, oder die Leiden des Ben Hur. Und immer war ich überrascht, wie schnell die Zeit dabei im Kinosessel verging, weil die Bilder so üppig, die Szenerie so grandios war. Wenn ein Film mehr als drei Stunden dauert, von Produzenten bezahlt, von Kinos, die pro Tag wegen der Spieldauer weniger Vorführungen ansetzen können, gezeigt, ist das ein Zeichen: Ein dreieinhalb Stunden dauernder Film muss es wert sein, so lang zu sein. "Der Brutalist" ist es nicht wert, kaum etwas ist grandios. Mit dem Vorspann blendet er das Vistavision-Logo ein. Mit Vistavision drehte man in den 1950er Jahren Breitwand-Epen, dabei lief die Filmrolle nicht vertikal, sondern horizontal durch die Kamera; das erlaubte breitere und feinkörnigere Aufnahmen für die große Leinwand. Diese Technik hat Brady Corbet nun für seinen Film wieder aus der Schublade geholt. Ähnlich, wie sein Kollege Christopher Nolan hält Corbet digital aufgenommene Bilder für nicht … ja, was eigentlich? … nicht richtig genug.
Mit dem Vistavision-System entstehen dann Bilder im Steinbruch des Carrara-Marmor oder in weiten, leeren Landschaften, die erzeugen Nostalgiegefühle. So hat Kino früher ausgesehen. Aber auch früher schon haben Regisseure und Produzenten gewusst, dass schön gefilmte Bilder im Kino eine Geschichte brauchen, die durch sie vorangetrieben werden – vor allem, wenn sie über dreieinhalb Stunden erzählt wird. Die Story hält die durch die Lauflänge suggerierte Bedeutung nicht.
Da ist auf der einen Seite der jüdische Architekt mit Qualitäten, der nach seiner Flucht aus dem NS-Grauen, das der Film zum Glück als bekannt voraussetzt und es also nur streift, in den Vereinigten Staaten ganz unten wieder anfangen muss – sein Cousin verdingt den respektablen Architekten als besseren Möbelverkäufer. Der Cousin ist hilfsbereit, hat seinen jüdischen Glauben und seinen ungarischen Namen abgelegt und präsentiert sich nun lieber als christlicher Amerikaner mit Familie: „Die Amerikaner lieben Familienunternehmen.“ Der Cousin wirft ihn dann wegen einer winzigen Meinungsverschiedenheit aus dem Haus. Im letzten Akt heißt es dann, dass die katholische Frau dieses Cousins den Rauswurf durch falsche Anschuldigungen forciert habe.
Der große Industrielle, der László Toth den richtungsweisenden Auftrag erteilt, ein der verstorbenen Industriellen-Mutter gewidmetes Kulturzentrum zu entwerfen, ist ein Machtmensch mit überraschend auftretenden sexuellen Neigungen, sehr reich, mit riesigem Haus, aber Qualität erkennt er erst, wenn er im Klatschblatt "Look" erklärt bekommt, was Qualität ist. Guy Pearce spielt ihn als Schwätzer, der sich seine Meinung jeden Tag von einem anderen Unterling erklären lässt (Bloodshot – 2020; Domino – 2019; Alien: Covenant – 2017; Iron Man 3 – 2013; Lockout – 2012; "Tödliches Kommando – The Hurt Locker" – 2008; The Time Machine – 2002; Monte Cristo – 2002; Memento – 2000; Rules – Sekunden der Entscheidung – 2000; L.A. Confidential – 1997; Priscilla – Königin der Wüste – 1994).
Zwischen diesen beiden Polen, hier der geflohene jüdische Architekt, dort der stinkreiche US-Snob, spielt sich die Geschichte ab, die aber keine Lauflänge von dreieinhalb Stunden rechtfertigt, wahrscheinlich wäre zwei Stunden noch zu viel. Dazu gesellt sich Erzsébet, die Gattin des Architekten, die durch die Mangelernährung im Konzentrationslager an Osteoporose leidet und im Rollstuhl sitzt. Auch ihre durch Studium erworbene Qualifikation wird in den USA nicht anerkannt, sie schreibt nun Frauenkolumnen über die Qualität von Lippenstiften. Diese Ungerechtigkeit, die Flüchtlingen in der Fremde widerfährt, kennen wir aus der täglichen Zeitungslektüre aus dem eigenen Land – auch in Deutschland werden Ausbildungen Geflüchteter nicht in jedem Fall anerkannt. Das ist tragisch, hat aber Gründe und im Film ist diese tragische Ungerechtigkeit nach insgesamt zehn Minuten ausreichend geschildert; auch das Drama einer Immigranten-Familie trägt nicht mehr als 90 Minuten.
Im feierlichen Finale – also in jenem Ziel, welches wichtig ist, ohne dass der Weg dorthin von Interesse sei – offenbart sich, dass László Toth deshalb so stur auf seinen beklemmenden Entwürfen, um die im Film immer wieder Auseinandersetzungen wegen der Kosten entbrennen, beharrt hat. Weil er hiermit seine Gefühle im Nazi-Terror in Architektur übersetzt hat. Wäre schön, wenn das im Verlauf des Films eine Rolle gespielt hätte.
Was mir der Film in seinen dreieinhalb Vistavision-Stunden eigentlich erzählen, nahebringen, aufblättern will, bleibt mir verschlossen.