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Plakatmotiv: Sinn und Sinnlichkeit (1995)

Ein farbenprächtiges Porträt
einer sehr fremden Gesellschaft

Titel Sinn und Sinnlichkeit
(Sense and Sensibility)
Drehbuch Emma Thompson
nach dem gleichnamigen Roman von Jane Austen
Regie Ang Lee, USA, UK 1995
Darsteller

Emma Thompson, Kate Winslet, Hugh Grant, Alan Rickman, Greg Wise, Gemma Jones, Myriam François-Cerrah, Tom Wilkinson, James Fleet, Harriet Walter, Robert Hardy, Elizabeth Spriggs, Imogen Stubbs, Imelda Staunton, Hugh Laurie, Richard Lumsden, James Fleet, Emilie François, Ian Brimble, Isabelle Amyes, Alexander John u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 136 Minuten
Deutschlandstart
7. März 1996
Inhalt

Als ihr Vater stirbt, sind die Tage der Schwestern Elinor und Marianne Dashwood auf ihrem herrschaftlichen Anwesen Norland Park in der südenglischen Grafschaft Sussex gezählt. Neuer Hausherr wird ihr Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters. Dessen hochmütige Frau Fanny will das Anwesen mit niemandem teilen. Elinor und Marianne ziehen bald mit ihrer Mutter und der jüngsten Schwester Margaret in eine andere Grafschaft, wo ihnen Sir John Middleton, ein wohlmeinender Cousin der Mutter, ein Cottage auf seinem Landsitz Barton Park zur Verfügung stellt. Ihre finanziellen Mittel sind nun sehr beschränkt.

Auch in Liebesdingen gibt's Probleme: Während Elinor wegen ihrer Zurückhaltung ihrem Angebeteten Edward Ferrars nicht so recht näher kommt, verfällt die impulsive Marianne dem Draufgänger Willoughby …

Was zu sagen wäre

Das Leben der Frauen im frühen 19. Jahrhundert war kein Zuckerschlecken. Sie waren komplett abhängig von den Männern um sie herum. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, aber was das bedeutet, wie sich das auswirkt, können wir schön in Ang Lees "Sinn und Sinnlichkeit" nachvollziehen. Hier werden drei Frauen aus ihrem Haus geworfen – natürlich mit aller britischen Noblesse und Höflichkeit – weil das sehr große Haus mit Grundstück durch mehrere Erben nicht zerteilt werden soll. Weil die beiden Schwestern Elinor und Marianne nicht auf der unteren Stufe der Klassengesellschaft stehen, in der die Frauen alle als Dienstmägde oder Köchinnen arbeiten, um zu überleben, ist ihnen das Arbeiten gesellschaftlich nicht erlaubt. Sie sitzen also in ihrem kleinen Cottage auf dem Land und warten auf attraktive Männer, die sie heiraten. In der Zwischenzeit sticken sie und tauschen bei Tee am Nachmittag den neueste Tratsch über die weitläufige Nachbarschaft aus.

Regisseur Ang Lee, gebürtiger Taiwaner, bei uns bekannt geworden mit Das Hochzeitsbankett (1993) und Eat Drink Man Woman (1994), besuchte in seinen bisherigen Filmen Familien und deren Strukturen. Es sind kluge Gesellschaftsportraits im asiatischen Raum. Er schaut also mit dem Blick von Außen auf die sehr vergangenen Welt der englischen Klassiker-Ikone Jane Austen. Die Familie in dieser Geschichte beschränkt sich auf drei Frauen und ein junges Mädchen – Mutter und drei Töchter – die darum kämpfen müssen, in der brutalen englischen Klassengesellschaft nicht unter die Räder zu kommen. Lee zeigt ein Welt aus üppig grünen Landschaften, großen Landsitzen und prunkvoll ausgestatteten Ballsälen, wie wir es zuletzt in den Merchant-Ivory Filmen Was vom Tage übrig blieb (1993) und Wiedersehen in Howard's End (1994) präsentiert bekommen haben. Wieder spielt Emma Thompson die Hauptrolle (Junior – 1994; "Im Namen des Vaters" – 1993; Was vom Tage übrig blieb – 1993; Viel Lärm um nichts – 1993; Peter's Friends – 1992; Wiedersehen in Howards End – 1992; Schatten der Vergangenheit – 1991) und ursprünglich sollte Kenneth Branagh die Regie übernehmen. Er und Thompson, die auch das Drehbuch für "Sinn und Sinnlichkeit" geschrieben hat, haben sich allerdings gerade erst getrennt, deshalb nahm die Produzentin Lindsay Doran von diesem Engagement Abstand, so kam Ang Lee ins Spiel. Das war vielleicht ein filmgeschichtlicher Glücksfall. nicht, dass nicht auch Branagh einen sehr lebendigen Film aus diesem ur-englischen Stoff gemacht hätte. Aber Lees Blick von Außen bleibt sachlich, seine Filmmusik (Patrick Doyle) zurückhaltend.

Im Zentrum der Geschichte stehen die beiden älteren Schwestern Elinor und Marianne. Elinor, gespielt von Emma Thompson, ist die, die sich emotional immer unter Kontrolle hat, den Part der vernünftigen Schwester, die die Dinge durchblickt, spielt. Marianne, die jüngere Schwester, gespielt von Kate Winslet ("Knightskater – Ritter auf Rollerblades" – 1995; "Heavenly Creatures" – 1994), hingegen trägt ihr Herz auf der Zunge, lebt ihren Gefühlshaushalt derart aus, dass es auf einem festlichen Ball der Londoner Society beinahe zu einem Eklat kommt. Dass sie unter Herzeleid wegen des jungen Draufgängers Mr. Willoughby leidet, weiß bald die ganze bessere Gesellschaft. Dass Elinor zur gleichen Zeit unendlich traurig ist, weil ihr heimlich verehrter Mr. Edward mit einer anderen verlobt ist, erfährt niemand.

Ang Lee entfaltet einen Kosmos, der bevölkert ist von Menschen, die in Windungen sprechen, in Stanzen formulieren und aneinander vorbei sprechen. Weil die Etikette verlangt, über gewisse Dinge nicht zu sprechen, besonders nicht über Angelegenheiten der Herzen. Es geht darum, eine gute Partie abzugeben und zu ehelichen, damit nach Möglichkeit in Stand und Ansehen zu steigen. Wenn da eine Frau sich von einem jüngst Enterbten abwendet und lieber dessen nicht enterbten Bruder ehelicht, ist traurig für den betroffenen, aber gesellschaftlich vollkommen okay. Dieses Schicksal trifft Mr. Edward, den Hugh Grant mit verstolperter Unbeholfenheit spielt, die erklärt, warum er gerade zu einem Schauspielstar der 90er Jahre wächst (Neun Monate – 1995; Der Engländer der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam – 1995; Vier Hochzeiten und ein Todesfall – 1994; Was vom Tage übrig blieb – 1993; Bitter Moon – 1992; "Der Biss der Schlangenfrau" – 1988; "Maurice" – 1987). Grant entwickelt sich zum Antihelden des zeitgenössischen Kinos – kein Schläger im Unterhemd, kein muskelbepackter Rambo, sondern ein eleganter, unsicherer, den Damen den Hof machender Galan und Prototyp des Mannes im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Mehr als zwei Stunden lang Beamten uns der Film in eine andere Welt, die mit unserer heutigen nicht viele Schnittpunkte hat; es braucht im Kinosessel tatsächlich Zeit, um die Regeln und emotionalen Codes dieser Gesellschaft von englischen Aliens zu verstehen. Mehr als zwei Stunden nimmt Ang Lee sich Zeit in seinem Film, um die Geschichte zu erzählen, wie zwei Schwestern durch emotionale Irrungen und gesellschaftliche Wirrungen schließlich doch noch unter die Haube gebracht werden. Ein farbenprächtiges, üppiges Gesellschaftsporträt.

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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