IMDB

Plakatmotiv: Joker: Folie à Deux (2024)

Ein Film ohne Handlung, ohne
Geschichte und ohne Seele

Titel Joker: Folie à Deux
(Joker: Folie à Deux)
Drehbuch Todd Phillips & Scott Silver
mit Charakteren von Bob Kane & Bill Finger & Jerry Robinson
Regie Todd Phillips, USA, Kanada 2024
Darsteller

Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp, Glenn Fleshler, Leigh Gill, Josh Pais, Rocco Luna, Marc Maron, Sondra James, Murphy Guyer, Douglas Hodge u.a.

Genre Musical, Drama
Filmlänge 138 Minuten
Deutschlandstart
3. Oktober 2024
Inhalt

Nach den fünf Morden, die er begangen hat, ist Arthur Fleck/Joker im Arkham State Hospital, einer psychiatrischen Anstalt für die schlimmsten Verbrecher von Gotham City, gelandet. Dort sitzt er nun seine Zeit ab, bis der Prozess gegen ihn vor Gericht eröffnet wird.

Seine Anwältin bemüht sich darum, ihren Fall rund um die vermeintlich gespaltene Persönlichkeit ihres Mandanten aufzubauen, um ihn für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. In der Zwischenzeit bekommt Arthur wegen guter Führung die Möglichkeit, in Arkham an einem Musikprogramm teilzunehmen, wo er die rebellische Lee kennen und lieben lernt. Plakatmotiv: Joker: Folie à Deux (2024) Während sich die beiden gemeinsam in musikalische Fantasien flüchten, motiviert sie ihn, seine Joker-Persona wieder voll und ganz nach außen zu kehren – mit verheerenden Folgen …

Was zu sagen wäre

Als Du Murray Franklin dann erschossen hast, habe ich zum ersten Mal gedacht, Ich bin nicht allein!“ So geht es immer noch vielen Menschen in Gotham City, seit Arthur Fleck vor zwei Jahren TV-Star Franklin und vier weitere Männer ermordet hat – dass er auch seine Mutter tötete, ist der Polizei durchgerutscht. Viele menschen fühlen sich Fleck verbunden, seiner Wut, seinem Zorn, seiner Enttäuschung über die Gesellschaft, die sie einfach ausgespuckt hat. Die Fans von Arthur Fleck mit ihren Clownsmasken bleiben indes Staffage am Bildrand. Sie tauchen mal in einer Totale vor dem Gerichtsgebäude auf und kurz im Finale. Kennenlernen tun wir sie nicht, die offenbar ebenso Verlorenen. Die Welt bleibt in diesem Film außen vor, der sich zu einem Kammerspiel zwischen Anstalt und Gerichtssaal entwickelt.

Fleck sitzt seit zwei Jahren in Arkham und wartet auf seinen Prozess, in dem es darum gehen soll, ob er vollumfänglich für seine Taten verantwortlich ist, oder ob dieser Joker sowas wie eine gespaltene Persönlichkeit darstellt, für die Fleck nicht verantwortlich gemacht werden kann. Hier zeigen sich die Grenzen auf, wenn Filmemacher versuchen, ursprünglich für Comics erdachte Charaktere für ein tiefenpsychologisches Porträt zu verwenden. Im ersten Joker-Film ging der Versuch noch auf. Da war es – 2019, die erste Amtszeit von US-Präsident Donald Trump stand in grotesker Blüte – eine interessante Variation, dass erst die kalte Gesellschaft den verrückten Killerclown hervorbringt, den wir bislang meist als reinen Irren erleben, mit dem man nicht reden kann. Plakatmotiv: Joker: Folie à Deux (2024) Dieser Joker wollte reden, die ganze Zeit, mit Behörden, Ämtern, Medikamentenausgabestellen. Aber keiner wollte mit ihm reden. Dazu war das auch grandios von Joaquin Phoenix gespielt (Napoleon – 2023; Inherent Vice - Natürliche Mängel – 2014; Her – 2013; Walk the Line – 2005; The Village – Das Dorf – 2004; Signs – Zeichen – 2002; Gladiator – 2000; The Yards – Im Hinterhof der Macht – 2000; U-Turn – Kein Weg zurück – 1997). Aber damals hatten er und sein Joker auch wenigstens noch was zu tun.

In "Joker: Folie à deux" stehen Zeit und Film still. Arthur Fleck sitzt also in dieser irren Anstalt, die die Comicleser und Gamer in unterschiedlichster Ausprägung seit Jahrzehnten als die Hölle auf Erden kennen, die hier aussieht, wie das Sanatorium aus Einer flog über das Kuckucksnest, das seit damals, 1975, nicht mehr geputzt oder renoviert worden ist. Und hier wird Arthur Fleck gemobbt von gemeinen Wärtern, die ihn schlechte Witze erzählen lassen, ihn auslachen und das mit einer Zigarette belohnen, und von den anderen Insassen, die ihn meiden, die Angst vor dem Verrückten haben. Fleck ist ein großer Schmerzensmann, der seinen ausgemergelten Körper immer wieder ins Hohlkreuz biegt, Zigarettenqualm inhaliert. Und dann anfängt, übers Showbusiness und Entertainment zu singen.

Daran ist Lee schuld, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Von Lee stammt das Zitat am Anfang dieses Textes. Sie hat sich in Arkham einweisen lassen, weil sie den Joker kennenlernen möchte. Es funkt zwischen beiden und fortan geht jeder mittellange Dialog in Gesang über. Lee, eigentlich Harleen Quinzel, die sich im Comic und anderen Filmen aus dem DC-Universum in die mörderische Harlequeen entpuppt, ist im Film nur die Platzhalterin für die Fangemeinde vor dem Gerichtsgebäude; sie darf die Bewunderung für den Clown, der aus Verzweiflung zum Killer wurde und den niemand als Menschen anerkennen will, durchdeklinieren.

All das baut sich in einer zähen Dramaturgie auf. Irgendwann wird klar: Das wird kein zweiter Der-Joker-geht-auf-Kill-Tour-Film. Es läuft auf den Showdown zwischen Arthur Fleck/Joker und dem Urteil der Geschworenen hinaus. Aber bis es soweit ist – Spieldauer 2 Stunden, 18 Minuten – versucht uns Todd Phillips, die Psyche seines Titelhelden näher zu bringen. Da ist nur keine mehr. Das, was es über den zweidimensionalen Comiccharakter hinaus zu erzählen gibt, hat der Vorgängerfilm getan. Hier müssen wir uns im Kinosessel damit begnügen, Arthur Fleck beim Gequälten-Arthur-Fleck-Sein zuzugucken. Da gibt Lady Gaga als Lee schon sowas wie den Hoffnungsschimmer auf Mehr (House of Gucci – 2021; A Star is born – 2018; Sin City 2: A Dame to Kill For – 2014; Machete Kills – 2013; Men in Black 3 – 2012). Sie hat ein Gesicht, für das Kameraleute dankbar sind. Plakatmotiv: Joker: Folie à Deux (2024) In der wenigen Handlung sind ihre großen Augen der glaubhafte See, in dem der einsame, verzweifelte Arthur mit bebendem Herzen versinkt.

Eine Geschichte wird daraus aber nicht mehr. Die Handlung steht ohnehin die meiste Zeit still. Todd Phillips tut gerade so, als habe er den Topos des gelangweilten, nach blutigen Sensationen gierenden Publikums erfunden, weswegen er das seinen Zuschauern jetzt in zwei langen Filmen, in denen Applaus für Mord und Totschlag eine tragende Rolle spielen, erklären muss. Dabei stammt das Konzept von Brot und Spielen aus dem alten Rom. Und Kinofilme, die sich kritisch mit den Medien und Publikum auseinandersetzen gibt es seit den 50er Jahren. Das heißt nicht, dass man auf dieses Thema nicht immer wieder schauen kann. Donald Trump hat ja dann auch noch eine zweite Amtszeit angetreten und gibt seinen Wählern jetzt Brot und Spiele. Aber dann sollte der Film auch was zu erzählen haben. Dieser hat das nicht, ergeht sich stattdessen in Bildern von gequälten Seelen und Gesangseinlagen, bei denen nicht deutlich wird, ob der Gesang einen Dialog weiterführt, oder ob Arthur und Lee mal eben in ihre Fantasien abdriften.

Am Ende hat sich keine der Hauptfiguren inhaltlich entwickelt. Es bleiben Comicfiguren. Fleck bleibt der verschmähte, einsame Schmerzensmann im Hohlkreuz. Lee ein besseres Killer-Groupie und die brutalen Wärter brutale Wärter. Die einzigen Menschen, die eine Entwicklung durchmachen, sind die, die bei einer großen Explosion, die Todd Phillips wie einen Deus ex Machina über seinen Film wirft, ums Leben kommen. Diese Explosion kommt nirgendwo her und führt nirgendwo hin, aber sie weckt die Zuschauer wieder auf, die auf der Suche nach einem Sinn in dem Stillstand wegzudämmern drohten.

Der Titel des Films "Folie à deux" bedeutet übersetzt so viel wie „Wahnsinn zu zweit“ und ist Ausdruck für eine psychotische Störung, bei der sich nahestehende Personen gemeinsame, wahnhafte Vorstellungen entwickeln.

Wertung: 2 von 8 €uro
IMDB