Judd Altman ertappt seine Ehefrau in flagranti bei einer Beziehung zu seinem Chef Wade Boulanger und trennt sich daraufhin von ihr. In der schwierigen Zeit der Trennung erreicht ihn die Nachricht, dass sein Vater verstorben ist.
Bei der Beerdigung des Vaters erfahren die vier erwachsenen Geschwister Judd, Wendy, Phillip und Paul Altman von ihrer Mutter Hillary vom vermeintlich letzten Wunsch ihres Vaters, der sich eine siebentägige jüdische Totenwache (Schiv’a) der Familie gewünscht hat. Widerwillig stimmen die Geschwister zu und müssen sich jetzt eine ganze Woche unter einem Dach gegenseitig ertragen – in Gesellschaft ihrer gluckenhaften Mutter, etlicher Ehe-, Ex- und Wunschpartner. Niemand kann sich hier verstecken im Gegenteil: Es ist Zeit, die Vergangenheit und die problematischen Verwandtschaftsbeziehungen aufzuarbeiten. …
Was wäre eine Familie ohne innere Brüche? Familienfilme (und -Romane) sind ähnlich wie Kleinstadtkosmos-Filme (und -Romane) zeitgenössische Gesellschaftsportraits. Hier werden alle aktuellen Probleme duschdekliniert in dem festen Wissen, dass Familie sich nicht einfach trennen kann – man mag sich aus dem Weg gehen, jahrelang, aber es gibt Termine, da kommt man nicht aneinander vorbei. Zum Beispiel, wenn der Vater stirbt – das „Familienoberhaupt“, an dem sich jede/r abarbeiten kann (und muss), an dem sich jede/r orientiert, der Fixstern, an dem man sich auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert noch ausrichtet – daran ändern alle Genderdebatten nichts, sie werden allerdings geführt in solchen Geschichten.
Deswegen kommen solche Geschichten auch zuverlässig alle paar Jahre ins Kino (Osage County, Moonlight Mile, „Eine ganz normale Familie“, die Ewings und die Carringtons gar in jahrelanger Serie). Das Personal, die Schicksale bleiben über die jahrzehnte ähnlich: ungewollte schwangerschaften, gescheiterte Beziehungen, Geschwister, die die Probleme ihrer anderen Geschwister besser erkennen als ihre eigenen, eine Mutter, die zunächst gluckenhaft/schrullig ist, im Verlauf des Films aber mit einer Überraschung aufwartet – seit einiger Zeit gehört zwingend ein/e Homosexuelle/r – mal heimlich, mal offen – zum Familienstamm – und jeder und jede kommt im Verlauf der zwei Stunden Film dran, kein Schicksal bleibt ausgespart; das macht den Reiz dieser Filme aus.
Während der Sieben verdammt langen Tage lernen wir folgende Vertreter kennen:
– Judd lebt in Scheidung, wird überraschend noch Vater, war zu Schulzeiten mal neun Monate mit
– Annie zusammen, die später Judds
– großen Bruder Paul geheiratet hat, die beide gemeinsam verzweifelt versuchen, ein Baby zu bekommen.
– Judds Schwester Wendy ist bestens vernetzt, kennt alle großen und kleinen Geheimnisse in der Familie, wirkt lebensklug, ist aber an einer Stelle ihres Lebens beim falschen Mann hängen geblieben, der dauernd mit London telefoniert und bald aus dem film verschwindet. Wendy hatte zu Schulzeiten ein Verhältnis mit
– Horry, der mit ihr im Auto einen Unfall hatte und seitdem unter Erinnerungslücken und Jähzorn leidet.
– Mutter Hilary schmeißt Antidepressiva wie Tic-Tac, hat sich die Brüste vergrößern lassen und ist längst neu verliebt – was aber möglichst niemand erfahren soll, was prompt für Konfliktstoff sorgt.
– Philip ist das Sorgenkind der Familie, bringt nichts auf die Reihe, ist verlobt mit seiner (viel älteren) ehemaligen Psychiaterin und lässt seinen reichlich vorhandenen Charme immer noch erfolgreich bei jeden kurzen rock spielen.
– Penny Moore, kein Familienmitglied, war aber früher mal – erfolglos – in Judd verknallt und sieht nun heute ihre Chance.
Niemand in der Familie freut sich auf die sieben Tage, es gibt Streit, alte Vorwürfe werden aufgefrischt und es braucht einen Joint in der Synagoge, um die Brüder mal kichernd miteinander ins Gespräch zu bringen. Dazwischen vermittelt Wendy, der Tina Fey sympathische, lebenskluge Züge verleiht; da fällt die Drehbuchschwäche, die sie mit diesem völlig unpassenden mann zusammengebracht hat, kaum ins Gewicht, im Gegenteil, die Comedian kann wunderbar ihren Clown von der Leine lassen.
Eine andere Drehbuchschwäche ist die sich anbahnende Romanze zwischen dem frisch getrennten Judd und Penny Moore, die eine Eisbahn betreibt und die Rose Byrne so fröhlich freundlich und strahlend schön gibt, dass ich nicht verstehe, warum sie Single geblieben ist – selbst in der kleinen Stadt. Das wirkt ein wenig konstruiert, vor allem, wenn Judd nach einigen Liebeswirren ihr seine stammelnd also nun aber doch und endgültig seine Liebe gesteht indem er behauptet, er habe fälschlicherweise immer das perfekte Leben gewollt, aber jetzt habe er die Liebe gefunden und die müsse bitteschön auch kompliziert sein – dass Penny an irgendeiner Stelle sonderlich kompliziert gewesen sei, ist nicht zu erkennen. Aber die Szene führt in eine Romanze auf der Eisbahn – wie zu besten Teenager-Film-Zeiten – inklusive des Cyndi-Lauper-Hits „Time After Time“ und das ist dann einfach eine schöne Filmromanzen-Szene – ein bisschen Sahnekitsch auf die Ensembletorte … ist nicht so schlimm, ist eh klar, dass die beiden sich am Ende irgendwie kriegen.
Ummantelt nämlich werden diese Drehbuchschwächen von einer klasse Ensembleleistung, in der jeder Raum zu glänzen bekommt und tatsächlich auch jede und jeder glänzt.
– Jason Batement (Kill the Boss – 2011; Paul – Ein Alien auf der Flucht – 2011; Umständlich verliebt – 2010; Up in the Air – 2009; State of Play – Stand der Dinge – 2009; Hancock – 2008; Operation: Kingdom – 2007) ist hinter seinem Bart mitleidserregend und gleichzeitig der vernünftige Geist unter den Geschwistern.
– Tina Fey immer unter Strom und keiner der Brüder kann ihr was vorgaukeln – die perfekte große Schwester.
– Corey Stoll (Das Bourne Vermächtnis – 2012; Midnight in Paris – 2011; Salt – 2010) hat die undankbarste Aufgabe: der älteste Bruder, den alle blöd finden, der Vaters Laden übernehmen soll, dessen Frau ihn zum Kind drängt und den erst der Joint klein kriegt.
– Adam Driver (Gefühlt Mitte Zwanzig – 2014; Spuren – 2013; Inside Llewyn Davis – 2013; Lincoln – 2012; J. Edgar – 2011) ist großartig als Junge im Körper eines Mannes; sollte jemand auf die Idee kommen, Big neu zu verfilmen, ich würde Adam Driver für die Tom-Hanks-Rolle casten.
– Jane Fonda ist Jane Fonda, Vollblutkomödiantin, der ihre Erfahrung einen schillernden, souveränen Auftritt schenkt (Der Butler – 2013; Der elektrische Reiter – 1979; Das China-Syndrom – 1979; "Coming Home" – 1978; "Klute" – 1971; "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" – 1969; Barbarella – 1968; Barfuß im Park – 1967; "Cat Ballou – Hängen sollst Du in Wyoming" – 1965).
Ich könnte diesen Geschwistern dieser dysfunktionalen Familie stundenlang zugucken.