In der Londoner Unterwelt macht sich Unruhe breit. Ein Unbekannter macht Jagd auf die Bosse. Überall in der Welt. Selbst lebenslang Inhaftierte in einem fernab gelegenen Gefängnis in Sibirien sind vor ihm nicht sicher. Die Medien nennen den Mann: The Hunter.
Der Hunter selbst nennt sich Kraven, eine Kurzform seines Familiennamens Kravinoff. Damals hieß er Sergei und stand mit seinem Halbbruder Dmitri unter der strengen Faust seines Vaters Nikolai, einer der großen Bosse, die ihr Reich mit Härte und Brutalität sichern. Wer Schwäche zeigt, stirbt ist das Credo dieses Mannes. Dmitri geht daran beinahe zugrunde. Nicht so Sergei. In ihm reifen unbekannte Kräfte seit einer gemeinsamen Safari in Tansania.
Dort soll ein besonders gerissener Löwe, eine Legende unter den Tieren, endlich zur Strecke gebracht werden. Aber als sich ihm die Gelegenheit bietet, schießt Sergei nicht – irgendwas in den Augen des Löwen hält ihn ab. Statt dessen reißt dieser den Jungen zu Boden und bringt ihn zu einem Mädchen namens Calypso, die ihn mit einem Serum ihrer Großmutter heilt und Rettung ruft, wobei sie die Tarotkarte "Die Kraft" bei ihm lässt. Das Blut des Löwen hat sich mit Sergeis gemischt und zusammen mit dem Serum entwickelt Sergeis Körper animalische Instinkte und Kräfte. Als sein Vater Nikolai später enthüllt, dass er den Löwen getötet hat, um seinen Söhnen eine Lektion zu erteilen, flieht Sergei angewidert in die russische Taiga; ein Naturschutzgebiet, das seiner Mutter gehörte, bis sie sich selbst tötete.
Seither ist Sergei Kraven und auf der Jagd. Aber einer der großen Unterweltbosse ist mehr als er scheint: Aleksei wurde einst von Nikolai ausgelacht wegen seiner körperlichen Schwäche. Daraufhin begab der sich in Behandlung bei einem New Yorker Arzt, der mit verbotenen Mitteln experimentierte. Die Folge: Heute nennt Aleksei sich Rhino.
Und Rhino will Rache an Nikolai und macht folglich Jagd auf dessen Söhne …
Die Idee, den großen Jäger aus den MARVEL-Comics auf die Leinwand zu bringen, gibt es schon, seit Sam Raimi die ersten Spider-Man-Filme machte. Hat dann immer nicht geklappt aus den unterschiedlichsten Gründen. Mal fehlte die passende Story, mal fehlten die Rechte, dann fand sich kein geeigneter Darsteller. Angeblich waren Männer wie Brad Pitt, Keanu Reeves, John David Washington und Adam Driver in der Besetzungstrommel.
Jetzt ist es also Aaron Taylor-Johnson geworden (The Fall Guy – 2024; Bullet Train – 2022; "The King's Man: The Beginning" – 2021; Tenet – 2020; Nocturnal Animals – 2016; Avengers: Age of Ultron – 2015; Godzilla – 2014; Savages – 2012; Kick-Ass – 2010), der Mann, der neben anderen Namen als nächster James Bond gehandelt wird – und der nebenan in Disneys Marvel Cinematic Universe einen Kurzauftritt als Pietro Maximoff, aka Quicksilver hatte.
Dramaturgisch arbeitet sich der Film am klassischen Vater-Sohn-Konflikt ab: Eigensinniger Junge löst sich aus der Umklammerung eines übermächtigen Vaters, aber das Schicksal treibt beide wieder aufeinander. Der Titelheld ist kein strahlender Retter hilfloser Großmütter. Er ist ein Killer, einer „mit einem Codex“, heißt: Er tötet nur die, die es auch verdient haben. Es lebe die Selbstjustiz; die Zeiten, in denen das zu aufgeregten Diskussionen in der Republik führte, sind vorbei. Kraven ist ein einsamer Killer. Er lebt in der Tundra, hat einen innigen Draht zu den wilden Tieren und irgendwann sowas wie eine Partnerin. Die Londoner Anwältin Calypso war vor 16 Jahren verwickelt in das Werden des jungen Sergei zu dem Hunter von heute, sie verabreichte ihm das Serum, nachdem der Löwe ihn überfallen hatte. Beide Charaktere stammen aus Spider-Man-Comics aus dem Jahr 1963. Da war er der Wilde, der in Spider-Man das ultimative Jagdsubjekt erkannte, und sie war eine karibische Hexe.
Von beidem ist im Film nicht viel geblieben. Auch als Killer bleibt Kraven die positive Bezugsperson im Film – die anderen sind ja schließlich russische Mafiosi – und Calypsos höllische Magie beschränkt sich auf ein Serum ihrer Großmutter. Das ist dramaturgisch ein zu großes Gewicht: Der ewige Schurke mit dem Codex ist kein Schurke, aber auch kein Held. Die Hexe ist Anwältin, die mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Nicht Gut, nicht Böse. Comics brauchen aber die klare Zuordnung, sonst zündet die Fantasie im Kopf der Zuschauer/Leser nicht. Das hat auch Madame Web schon nicht funktioniert, die Anfang des Jahres ins Kino kam. In "Kraven" entwickelt sich ein ansehnlicher Abenteuerfilm mit allerlei Kampfsportszenen, Hubschrauber-Action und weiteren Charakteren aus dem Spideyverse, auf die die SONY-Studios exklusiv Zugriff haben. Einer der Unterweltbosse entpuppt sich als die lebende Dampframme Rhino, als Cliffhanger des Films wird das Chamäleon eingeführt, alles Figuren, gegen die Spider-Man seit seiner Frühzeit immer wieder antreten musste.
Spider-Man indes taucht in diesem Film nicht auf. Spinnen schon. In einer Szene, in der Kraven halluziniert, wird er von grünen Spinnen befallen. aber aus dieser misslichen Lage wird er bald gerettet und kurz darauf sind dann die Mafiabosse und anderen Übeltäter kunstvoll aus dem Weg geräumt – und auch des Hunters Vaterkomplex ist besiegt.
Praktisch betrachtet trägt keine der Hauptfiguren einen ganzen Film. Der Vater-Sohn-Komplex ist wortgleich aus vielen, vielen anderen Filmen abgeschrieben und hält diese Geschichte gerade so über Wasser. Es war ein unterhaltsamer Nachmittag im Kino. Aber eine Fortsetzung, in der dann weitere Gegner aus den frühen Spider-Man-Comics gegeneinander antreten, erwarte ich nicht mit fieberndem Herzen.
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