Rozzum 7134 ist ein Roboter. Sie wurde als Unterstützung für eine futuristische urbane Welt entwickelt, doch nun hat sie Schiffbruch erlitten und ist auf einer einsamen Insel gestrandet.
Hier ist sie ihrer Aufgabe beraubt. Sie ist programmiert, Menschen zu helfen, ihnen Arbeit abzunehmen. Aber auf der Insel leben keine Menschen. Und die hier lebenden Tiere haben wahlweise Angst vor dem monströsen Ding, oder zerpflücken es in ihre Einzelteile. Selbst als sich Rozzum 7134 die Sprache der pelzigen und gefiederten Insulaner aneignet, ändert dies nichts an ihrem angespannten Verhältnis.
Doch als der Roboter ein verwaistes Gänseküken findet, bekommt ihr Dasein eine Berechtigung. Rozzum 7134 kümmert sich aufopferungsvoll um ihr Ziehkind, versucht ihm beizubringen, Nahrung zu finden, zu schwimmen und zu fliegen. Unterstützung findet sie in dem listigen Fuchs Fink, der die Lust, die schmackhafte kleine Gans einfach zu fressen, bald verliert. Denn Fink, den auf der Insel alle hassen – oder verspeisen wollen – findet in "Roz" den ersten Freund seines Lebens.
Gemeinsam bereiten sie die auf den Namen "Brightbill" getaufte Zwerggans, die von ihresgleichen auf der Insel gehänselt wird, weil sie so klein ist, auf den bevorstehenden Vogelzug vor. Nur wer an diesem teilnimmt, hat die Chance, den harten Winter zu überstehen …
Was ist der Sinn des Lebens? Was ist Deine Bestimmung? Und wer bestimmt überhaupt, was Deine Bestimmung sein soll? In diesem ungewöhnlich animierten Abenteuerfilm steckt eine Menge Philosophie, ein bisschen Kitsch. Und ein grober Fehler, dem aber schon Peter Brown in seiner Romanvorlage erlegen ist.
In den ersten Momenten wirkt der Film von Chris Sanders (Die Croods – 2013; "Drachenzähmen leicht gemacht" – 2010; Lilo & Stitch – 2002) wie nicht ordentlich gerendert. Wir sind so an die bunten Pixar-Animationsexplosionen und deren Epigonen gewöhnt, dass Filme, die nicht so designt sind, uns fremd erscheinen. Sanders, der als Drehbuchautor schon lange im Geschäft ist, schon an Disneys Die Schöne und das Biest (1991), Aladdin (1992), Der König der Löwen (1994) oder Mulan (1998) gearbeitet hat, hat seine Künstler angewiesen, den Film in einer Mischung aus französischem Impressionismus und japanischem Anime zu gestalten. So absurd sich das liest, so schön ist das Ergebnis. Das Drama um den Roboter, der seinen Platz in der Welt sucht, besteht aus zauberhaften Gemälden und fantasievollen Kunstwerken.
Damit mutet der Film seinem Zuschauer durchaus etwas zu, denn die Ausgangssituation ist der Story entsprechend ähnlich fremdartig, wie das orientierungsbedürftige Design: Da steht ein Roboter, der mit freundlicher, weiblicher Stimme Aufgaben verlangt und das röhren eines Elchs bekommt. Weil er also keine Antwort auf seine Hilfsangebote bekommt, statt dessen von den Wesen mit der unidentifizierbaren Sprache ordentlich malträtiert wird, folgt er seiner Zweitprogrammierung und will ein Signal an seine Erbauer senden, auf dass die ihn wieder abholen; aber irgendwas hindert ihn immer daran – bis er in ein Vogelnest stürzt, die Vogelmutter dabei tötet und ein einzelnes Ei birgt, aus dem alsbald das Gänseküken schlüpft, das den weiteren Lauf der Dinge beeinflusst.
Auftritt: eine gestresste Opossum-Mutter von sieben vorlauten Opossum-Kindern, die immerhin weiß, dass es sich bei dem für den Roboter unerklärlich anhänglichen Feder-Ding um eine Gans handelt und Tipps zur grundsätzlichen Erziehung geben kann. Auftritt: der geschmeidige Fuchs, der seinen zynischen Lieber-fressen-als-gefressen-werden-Lebenswandel nur als Schutzmantel gegen seine Einsamkeit pflegt. Auftritt: nacheinander immer neue Tiere, die sich im Wald nur als Jägertier und Beutetier aus dem Weg gehen.
Sie alle geben dem Roboter das, was er braucht: Aufgaben. Einen Daseinszweck. Denn einer kleinen Gans Essen, Schwimmen und Fliegen beizubringen, ist schon anspruchsvoll, nach Rückgriff auf Datenbanken und Beobachtungen des Vogelflugs aber machbar. Bis Brightbill dahinter kommt, dass offenbar der Roboter für den Verlust der Mutter verantwortlich ist und nun nichts mehr von ihr wissen will. Der Roboter hat im Original die Stimme von Lupita Nyong’o (Black Panther: Wakanda Forever – 2022; The 355 – 2022; Star Wars – Episode IX: Der Aufstieg Skywalkers – 2019; Black Panther – 2018; Star Wars – Episode VIII: Die letzten Jedi – 2017; Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht – 2015; Non-Stop – 2014; 12 Years a Slave – 2013), wird also weiblich gelesen; in der deutschen Synchronfassung übernimmt diese Aufgabe bemerkenswert souverän die für dieses Fach ungeübte Tagesschau-Ikone Judith Rakers.
An dieser Stelle des Films dachte ich plötzlich an die frühen Pixar-Filme, die in ihrer inneren Konsequenz so bewundernswert sind. Pixars Ratte Ratatouille bleibt immer eine Ratte, auch als Feinschmecker bleibt sie ihren Instinkten treu. Pixars Wall•E bleibt als Roboter immer in seiner Programmierung. Roboter "Roz" verlässt ihre Programmierung, entwickelt ein animalisches Herz, ein echtes Gefühl – erst für den knuddligen Federball, später auch für Fuchs Fink, und hält große Reden an die Tiere im Wald, wonach man in manchen Situationen seine Programmierung überwinden und zueinander finden müsse, um gemeinsam zu überleben; der alt gewordene Zyniker im Kinosessel sieht die Tiere schon, wie sie gemeinsam der anstehenden Gefahr getrotzt haben und sich anschließend wieder dem Kreislauf des Lebens gemäß gegenseitig jagen und fressen. Auch das aber – versprechen sie – werden sie nicht mehr tun. Und also, was? Verhungern?
Dieser innere Bruch in der erzählten Welt, in der nun Instinkt getriebene Tiere künftig einander achten (to be woke) und Roboter eine Seele entwickeln, ist wohl schon in der Buchvorlage angelegt, also nicht originär dem Drehbuch anzukreiden. In ihren frühen Jahren hätten die noch smarten, ideenreichen, sehr kritischen Pixarbosse das Buch aus ebendiesen Gründen abgelehnt; heute vielleicht nicht mehr. Natürlich ist das hier kein Pixar- sondern ein Dreamworks-Film und natürlich ist jede Erzählung frei darin, nach Herzenslust zu fabulieren.
Es raubt dem Film aber jenes gewisse Quäntchen Charme, das aus einem wunderschön animierten Abenteuermärchen für Kinder einen animierten, zeitlosen Klassiker des Kinos macht. So sympathisch der Charakter "Roz" in seiner zunächst staksigen, später zunehmend moralischen Zugewandtheit ist, bleibt er halt nur die Figur, die in diesem Märchenfilm für junge Erwachsene für die ernsten Lektionen des Lebens auftritt; darin ist sie ganz und gar austauschbar gegen, na sagen wir, Mary Poppins, Obi-Wan Kenobi oder Hagrid.
Dass, davon abgesehen, der zu klein geratene Brightbill unter Roz' sorgsamer Aufsicht einen riesigen Charakter entwickelt und den mobbenden Gänsekollegen im Schwarm schließlich zeigt, wo der Hammer hängt, und dass Fuchs Fink unter seinem zynischen Fell ein ähnlich großes Herz hat, wie sein Artgenosse aus Disneys Zootopia (2016), bleiben in solchen Filmen gern gesehene Erzählstränge, die sehr zu Herzen gehen.