Charlie arbeitet in einer Fabrik am Fließband. Weil er mit dem unmenschlichen Arbeitstempo nicht mithalten kann, wird er entlassen. Auf der Straße gerät er in eine Demonstration und wird prompt als vermeintlicher Rädelsführer verhaftet.
Als Charlie aus dem Gefängnis freikommt, trifft er ein Straßenmädchen und verliebt sich. Aber auch ihr droht das Zuchthaus, weil sie Brot gestohlen hat …
Woran erkennt man ein Kunstwerk? Daran, dass es zeitlos wirkt. Charles Chaplin hat diesen Film 1936 gedreht, wenige Jahre nach der großen Depression, auf die sich diese Geschichte bezieht. In Deutschland kam der Film Mitte der 1950er Jahre an, und ich habe "Modern Times" erstmals Mitte der 1970er Jahre gesehen, da war ich so ungefähr 15. Ich wusste damals nichts von Armut und Keine-Chance-haben.
Ich guckte eher auf die lustigen Momente. Das muss mir nicht peinlich sein, denn ich war durch "Väter der Klamotte" im ZDF so konditioniert, dass diese grau-weißen Stummfilme mit Pianobegleitung in erster Linie lustig waren – schon, weil die Figuren sich ja immer zu schnell bewegten; von handgekurbelten Kameras, die nicht konstant 24 Bilder pro Sekunde aufnehmen konnten, wusste ich damals auch noch nichts. Chaplin-Slapstick wurde in seine Einzelteile zerlegt und dann in komplett neuen Zusammenhang gebastelt. Chaplins Drama spielte in diesen Zusammenschnitten keine Rolle – Hauptsache: lustig!
Immer aber, wenn ich den Film später wieder sah – und das war in den folgenden Jahrzehnten oft – , war mir klar: Chaplin beschreibt ewige Zustände. Ob in den 70ern, den 80ern, den 90ern, ob im 21. Jahrhundert oder 1936 … Chaplins Geschichte des Arbeiters, der schlicht von einem Heim für sich und seine Familie träumt, aber von wirtschaftlichen Zwängen von diesem Traum abgehalten wird, ist immer aktuell. 1936 saß die Great Depression den Amerikanern in den Knochen, die Nachwehen dieser ewigen Chancenlosigkeit, weil die Industrialisierung menschliche Arbeitskräfte überflüssig machte – Maschinen besorgten den größeren Output. Heute ist vielleicht die Abhängigkeit des Menschen von der Maschine, die seelenlos den Arbeitstakt beim Schraubendrehen vorgibt, nicht mehr so präsent; heute ist es die Konkurrenz zwischen Roboter und menschlicher Arbeitskraft – aber das Drama des Sich-das-Leben-und-Wohnen-kaum-leisten-zu-können ist für den Arbeiter heute dasselbe.
"Modern Times" kritisiert den durch die Industrialisierung hervorgerufenen Verlust von Individualität durch Zeitdruck und monotone, durch Maschinen geprägte Arbeitsabläufe. Die Arbeiter in der Fabrik werden als abgestumpft dargestellt, lediglich Charlie reagiert mit Sensibilität auf das Geschehen in der dargestellten Arbeits- und Umwelt, die sich auch in der Liebesgeschichte ausdrückt.
Die Maschinen und deren Bediener wirken sicher nicht zufällig wie nahe Verwandte der Maschinen aus Fritz Langs Metropolis (1927) und nicht nur durch ihre Größe als bedrohlich. Sie saugen hungrig auf Walzen und Laufbändern neben Material auch Menschen in ihr Räderwerk ein und drohen, die Arbeiter zu zerstampfen und zu zermalmen. Nur mit Glück kann man ihnen wieder entgehen und wird dann buchstäblich ausgespuckt.
Der Mensch galt bestenfalls als Versuchsmaterial. Im Film kommt in einer Essenspause ein Ingenieurteam an Charlies Fließband und möchte eine neuartige Erfindung testen. Es handelt sich dabei um eine Maschine, die einen Arbeiter automatisiert füttern soll. Dadurch soll Pausenzeit eingespart werden. Charlie wird als Testperson auserkoren. Anfangs läuft die Fütterungsapparatur noch wie vorgesehen, wird aber plötzlich unkontrollierbar schnell und zeigt gefährliche Fehlfunktionen, wodurch Charlie von dem Automaten malträtiert wird. Das beschreibt das wirtschaftliche Streben nach mehr Effizienz eines jeden einzelnen Arbeiters – nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Chaplins Komik, die natürlich weit mehr ist, als Väter-der-Klamotte-Slapstick.
Heute, Mitte der 10er Jahre des 21. Jahrhunderts, reden alle über Künstliche Intelligenz, darüber, dass Roboter uns die Arbeit wegnehmen. Dazwischen gab es Braunkohlekumpel, die nicht mehr gebraucht werden und und und. Das alles erzählt Chaplin, nein: visioniert Chaplin in den ersten zehn Minuten seines Films aus dem Jahr 1936. Wenn er von der modernen Technik, die ihn, den Arbeiter, willen- und charakterlos gemacht hat, buchstäblich verschlungen wird. Wenn er aus dem System fällt, weil er doch einfach nur helfen will.
Hebt er eine Anhängerfahne vom Boden auf, die ein Transporter verloren hat, landet er als vermeintlicher Rädelsführer von Kommunisten im Gefängnis. Hilft er als Nachtwächter hungernden Arbeitslosen, ist am Ende er das Opfer, weil er seinen Job vernachlässigt hat, obwohl er menschlich richtig gehandelt hat. Schaut man sich den Film im Sommer 2019 an, in dem über Künstliche Intelligenz und die Entbehrlichkeit des Menschen diskutiert wird, stellt man fest: Wenig bis Nichts hat sich in der Wirtschaftswelt seit 1936 verändert; der Mensch ist Teil einer Schafherde (wie sie zu Beginn von Chaplins Film metaphorisch eingeführt wird), die allein wirtschaftlichen Interessen dient, nicht aber der eigenen Lebensgestaltung.
Das Häuschen im Grünen mit Frau und Kindern, das der Tramp hier mit Paulette Goddard anstrebt, ist nicht vorgesehen.
Chaplins Film ist ein Kunstwerk und also unangenehm. Dass sich in über 80 Jahren – seit 1936 – die Zwänge in der Arbeitswelt, des Kapitalismus', der Wirtschaft, heute in dem Begriff "Globalisierung" zusammengefasst, nicht wirklich verändert haben – heute abgefedert durch Gewerkschaften, Tarifverträge, 40-Stunden-Woche und gelben Krankenschein – ist erschreckend.
Dann ist da aber noch der große Clown. Okay, die Botschaft, die Chaplin verbreitet, ist universell, aber nur bedingt visionär. Chaplin hatte sein Zeitalter im Kopf, er konnte nicht wissen, was heute ist; diese Art Vision können erst wir tatsächlich heute erkennen. Chaplin selbst rekurriert auf die große Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und bereichert sie mit großartiger Körperbeherrschung, wie nur ein Clown sie hinbekommt. Da gerät er als Kellner mit einem Tablett mit Gebratener Ente und Tellern und Getränken auf eine überfüllte Tanzfläche und kämpft sich einen sehr harten Weg durch die Tänzer zu seinem Kunden, ohne etwas fallen zu lassen.
Auf Baustellen, im Gefängnis, auf der Straße hat er immer wieder mit der Tücke des Objekts zu kämpfen, die ihn in Schwierigkeiten bringt, aber auch in die Arme des Mädchens dirigiert, dem Paulette Godard beinharten Überlebenswillen zuspricht.
Neben der gesellschaftskritischen Attitüde, die in einer Stunde hätte abgehandelt werden können, beweist Chaplin, dass er einen Träger für diese Attitüde beherrscht. Dieser Träger heißt Slapstick. "Modern Times" ist voll von wunderbaren Slapstick-Nummern.
Chaplin zur Film-Idee: „Dann erinnerte ich mich an ein Gespräch, das ich mit einem intelligenten jungen Reporter geführt hatte. Er erzählte mir vom Fließbandsystem, das in Detroit in den Fabriken angewendet wurde. Es war eine erschütternde Geschichte, wie die Großindustrie gesunde junge Männer aus der Landwirtschaft abwarb, die nach 4 oder 5 Jahren am Fließband geistig und körperlich zusammenbrachen. Dieses Gespräch gab mir die Idee für Modern Times.“
Das "Movie College Team" bewertet Moderne Zeiten als späten Stummfilm und Chaplin als „größten Nachzügler“. Moderne Zeiten gilt als Satire auf den Tonfilm: Toneffekte werden lediglich zu dramaturgischen Zwecken eingesetzt. Zu hören sind Geräusche von Maschinen, unwillkürliche Körpergeräusche und medial vermittelte Aussagen wie die Anweisungen des Betriebsleiters aus dem Lautsprecher und die auf Schallplatte aufgenommene Vorstellung der Essmaschine. Zu hören ist auch der Gesangsvortrag des Protagonisten. Dieser ist allerdings völlig unverständlich; dem zu hörenden Kauderwelsch wird lediglich durch ausdrucksstarke Gestik ein Sinn verliehen.
Noch 1936 ist Chaplins Befürchtung spürbar, Sprechfilme würden die Fähigkeit zur Pantomime zerstören, die er als Grundlage der Filmkunst ansah. Folglich wird jede nicht über Apparate vermittelte Kommunikation in Moderne Zeiten (wie im Stummfilm) pantomimisch dargestellt, was besonders bei der Präsentation der Essmaschine witzig wirkt, da deren Erfinder den auf Schallplatte abgespielten Werbetext, der die Maschine dem Direktor erklären soll, auch direkt sprechen könnte; stattdessen unterstreicht er pantomimisch seine eigenen Worte, getreu der hörbaren Aussage, dass eine praktische Vorführung die Funktionsweise der Maschine besser zeigen könne als alle Worte.
Dadurch, dass gesprochener Text nur dann hörbar ist, wenn er über Apparate vermittelt wird, entsteht der Eindruck, dass nur diejenigen „etwas zu sagen haben“, die die Verfügungsgewalt über die Apparate innehaben. Nicht-Besitzer von Apparaten hingegen bleiben ungehört.
Die Kinofilme von Charles Chaplin
Sir Charles Spencer „Charlie Chaplin jr.“, KBE, (* 16. April 1889 vermutlich in London; † 25. Dezember 1977 in Corsier-sur-Vevey, Schweiz) war ein britischer Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor, Schnittmeister, Komponist, Filmproduzent und Komiker.
Chaplin gilt als erster Weltstar des Kinos und zählt zu den einflussreichsten Komikern der Filmgeschichte. Seine bekannteste Rolle ist die des "Tramps". Die von ihm erfundene Figur mit Zweifingerschnurrbart (auch Chaplinbart genannt), übergroßer Hose und Schuhen, enger Jacke, Bambusstock in der Hand und zu kleiner Melone auf dem Kopf, mit den Manieren und der Würde eines Gentleman, wurde zu einer Filmikone. Charakteristisch für seine Filme wurde die enge Verbindung zwischen Slapstick-Komödie und ernsten bis tragischen Elementen. Das American Film Institute wählte Chaplin auf Platz 10 der größten männlichen amerikanischen Filmlegenden
- The Kid – Der Vagabund und das Kind (1921)
A Woman of Paris – Die Nächte einer schönen Frau (1923) - The Gold Rush – Goldrausch (1925)
- The Circus – Der Zirkus (1928)
- City Lights – Lichter der Großstadt (1931)
- Modern Times – Moderne Zeiten (1936)
- The Great Dictator – Der Große Diktator (1940)
- Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris (1947)
- Limelight – Rampenlicht (1952)
- A King in New York – Ein König in New York (1957)
- A Countess from Hong Kong – Die Gräfin von Hongkong (1967)