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Plakatmotiv: Der große Diktator (1940)

Ein Diktator tanzt mit einer Weltkugel
und stolpert über die Liebe eines Friseurs

Titel Der große Diktator
(The Great Dictator)
Drehbuch Charles Chaplin
Regie Charles Chaplin, USA 1940
Darsteller

Charles Chaplin, Paulette Goddard, Jack Oakie, Reginald Gardiner, Henry Daniell, Billy Gilbert, Grace Hayle, Carter DeHaven, Maurice Moscovitch, Emma Dunn, Bernard Gorcey, Paul Weigel, Chester Conklin, Esther Michelson, Hank Mann u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 125 Minuten
Deutschlandstart
26. August 1958
Website charliechaplin.com
Inhalt

In der Endphase des Ersten Weltkriegs kämpft ein kleiner jüdischer Friseur auf tomanischer Seite sowohl gegen den Feind als auch gegen die Tücken der Technik. Er rettet dem Piloten Schultz das Leben, wird aber bei einem Flugzeugabsturz so schwer verletzt, dass er sein Gedächtnis verliert und jahrelang im Krankenhaus bleiben muss.

Zwanzig Jahre später: Der Diktator Adenoid Hynkel herrscht im Staat Tomanien und bereitet hinter dem Rücken des Herrschers von Bakteria namens Benzino Napoloni die Invasion des Nachbarlandes Osterlitsch vor. Sein eigentlicher Traum ist es, die Welt zu beherrschen.

Mit seinen Sturmtruppen terrorisiert Hynkel das von Juden und Andersdenkenden bewohnte Ghetto. Auch der aus dem Krankenhaus heimgekehrte jüdische Friseur und die Wäscherin Hannah, zwischen denen sich zarte Bande anbahnen, werden bedroht. Doch gerade als die Sturmtruppen den Friseur wegen seines Widerstands lynchen wollen, kommt zufällig Schultz, inzwischen Kommandeur der Sturmtruppen, vorbei und erkennt in ihm den Soldaten wieder, der ihm im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet hat. Schultz sorgt dafür, dass das Ghetto trotz Hynkels Hasstiraden gegen die Juden weitestgehend von Übergriffen verschont wird.

Als Hynkel das Geld für die Aufrüstung ausgeht, stellt er vorübergehend die Unterdrückung der Juden ein, um vom jüdischen Bankier Epstein einen Kredit zu erhalten. Als dieser ihm den Kredit verweigert, erklärt der Diktator die Juden wieder zu seinen Feinden. Kommandeur Schultz tritt gegen diesen Entschluss ein und wird deshalb von Hynkel in ein Konzentrationslager eingewiesen. Schultz kann jedoch fliehen und bei seinem Freund im Ghetto untertauchen. Der Diktator geht unterdessen ein Bündnis mit dem ebenfalls faschistisch regierten Land Bakteria und dessen Diktator Napoloni ein, welches ihn vor einer Intervention von Seiten Napolonis im Falle der Besetzung Osterlichs schützen soll.

Bei einer Razzia im Ghetto werden Schultz und der Friseur entdeckt und in ein KZ an der Grenze zu Osterlich gebracht. Ihnen gelingt die Flucht. Beide tragen Uniformen. Wegen der Ähnlichkeit des jüdischen Friseurs mit dem Diktator Hynkel kommt es zu einer Verwechslung. Der echte Hynkel, der in der Nähe allein auf Entenjagd ist, um damit den geplanten Einmarsch in Osterlich zu verschleiern, wird für den geflohenen Friseur gehalten und eingesperrt, und der Friseur hält an seiner Stelle die auch im Radio übertragene Rede vor dem Volk des gerade besetzten Osterlich …

Was zu sagen wäre

Ihr seid der Herrscher der Welt, Euer Exzellenz“, säuselt Propagandachef Garbitsch, die Graue Eminenz im Reich, seinem Führer ins Ohr, bis auch der, der bislang eigentlich erst einmal den kleinen Nachbarn Osterlich besetzen will, davon träumt – der Weltherrschaft. Er schickt Garbitsch aus dem Saal, tänzelt zu einer großen Weltkugel, die neben dem Schreibtisch steht und geht eine Art Pas de deux mit ihr ein. Diktator Hynkel tanzt Ballett mit der Welt, er spielt mit ihr, hat sie in der Hand, er lässt sie schweben, hoch und quer, er dreht sich mit ihr. Dann platzt sie mit lautem Knall. Ein leerer Traum, den der Diktator da träumt und der gleich gefolgt wird von einer Szene mit der zweiten Hauptfigur des Films, dem Friseur.

Gleich nach dem Tanz mit der Welt tanzt der Friseur zu den rhythmischen Klängen eines ungarischen Tanzes im Radio eine Rasur. Zum Takt und Tempi der Melodie, seift er ein, schärft die Klingen, wedelt Luft, rasiert. Beides mal sehen wir – sowohl als Diktator Hynkel als auch als Friseur – Charles Chaplin, Drehbuchautor, Regisseur und doppelter Hauptdarsteller in Personalunion, der in dieser Szenenabfolge seine hohe, beeindruckende Qualität als Clown unter Beweis stellt (Moderne Zeiten – 1936; Goldrausch – 1925; The Kid – Der Vagabund und das Kind – 1921). Zu einem guten Clown gehört die Melancholie, die in diesen Szenen ebenso zum Tragen kommt wie der unzerbrechliche Stolz des Jetzt erst Recht.

Chaplin dreht eine Satire auf Adolf Hitler und das Dritte Reich, das hier nicht Deutschland heißt, sondern Tomanien. Er spart nicht mit gewalttätigen Ausschreitungen tomanischer SS-Truppen. Er zeigt Juden im Ghetto, einem idyllisch verkitschten Ghetto allerdings, und lässt den Diktator in einer abgehackt zackig klingenden Kunstsprache das Ende von Redefreiheit und Demokratie erklären und die Notwendigkeit, die Juden zu vernichten, ausrufen. Er erspart den Zuschauern die Schrecken im Bild, die Schrecken zwischen den Bildern aber, den Schrecken dessen, was da im weit entfernten Europa sich gerade auftürmt, verschweigt er nicht. Und doch muss in "The Great Diktator" sehr oft gelacht werden. Über Chaplin fantastische Körperbeherrschung. Über Slapstick und Situationskomik auf höchstem Niveau.

Charles Chaplin dreht diesen Film 1940, als in den USA noch weit über 90 Prozent der Bevölkerung mit einem Krieg gegen einen Diktator im fernen Europa nichts zu tun haben wollten (das änderte sich bekanntlich erst im Dezember 1941, als Japan den US-Militärstützpunkt Pearl Harbor bombardierte). In Chaplin Film ist viel von Konzentrationslagern die Rede, deren Existenz in den USA bekannt war, die im Film allerdings eher nach Strafgefangenenlagern aussehen; also so, wie man wohl dachte, dass sie auch in Realität etwa aussehen. Chaplin ist der erste Regisseur, der den Naziterror in einer Komödie verpackt und verarbeitet. Er zeigt, dass das geht. Allerdings hat er das Glück der Unwissenheit. Offenbar hatte er gut über Hitler und seinen Naziterror recherchiert, kratzt bei Vielem aber nur an der Oberfläche der tatsächlichen Grausamkeiten. In seine Biografie schreibt er dazu später: „Hätte ich von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte Der große Diktator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können.

Eine wirkliche Geschichte erzählt der Film nicht. Hynkels Drang, beim Nachbarn Osterlich einzufallen, womit er seinem Verbündeten, Diktator Napaloni von Bakteria, auf die Füße treten würde, ist ein Handlungsfaden, der nur gewebt wird, um herrliche Gags zu bauen. Die Ankunft Napalonis per Zug in der tomanischen Hauptstadt, bei der Zug mal vor- dann wieder zurückrollt, während Hynkel und seine Schergen versuchen, den Roten Teppich an der richtigen Stelle auszurollen; wenn später der eitle, aber talentierte Selbstdarsteller Hynkel, der statt Akten Spiegel in seinem Büroschrank hat, in denen er demagogisch die Mimik für seine Reden einstudiert, und Napaloni, der Hynkel in eitler Arroganz nicht nachsteht, sich ein Geltungsbedürfnisbefriedigungsduell liefern, indem sie sich auf Friseurstühlen unter die Saaldecke pumpen (bis Hynkels Friseurstuhl in sich zusammenfällt), ist das eine präzise beobachtete Strategie der Braunhemden des Dritten Reichs. In der faschistischen Propaganda wurde der Größenunterschied des relativ kleinen Diktators Mussolini – Vorbild für Napaloni – zu seinem nur wenig größeren deutschen Gegenstück Hitler durch Tricks mit Bildachsen, Perspektiven, Höhenunterschieden bei Sitzflächen und dergleichen mehr kaschiert. Chaplin zelebriert diese chauvinistische Phobie des Kleinen Mannes und kehrt sie in ihr Gegenteil. Sein Film heißt nicht aus Mangel an Ideen "Great Dictator" – „great“ wie groß oder großartig.

Auch die Liebesgeschichte des Friseurs zu dem Wäschemädchen Hannah folgt keiner zwingenden Dramaturgie. Sie ist das Perlenkettchen, an dem sich all die Figuren aufreihen, die das normale, das menschliche Leben und Miteinander darstellen und die beizeiten als Schicksalsfiguren benötigt werden. Außerdem kann Chaplin hier seiner klassischen Trampfigur freien Lauf lassen, die diese weidlich nutzt, nicht nur bei der erwähnten Ungarischen Tanz-Rasur. Auch, wenn er etwa versucht, eine Münze verschwinden zu lassen, die er in seinem Pudding findet, welche bedeutet, dass er sich für die Widerstandskämpfer opfern soll, und dann immer eine neue Münze in seinem Pudding findet, darin steckt die hohe Kunst des Timings – nicht aber einer Dramaturgie.

Chaplins Film ist ein Auswiegen der Frage, wie weit einer allein gegen eine Übermacht etwas ausrichten kann. Kann er nicht, sagt die Gemeinde im Ghetto, nur gemeinsam sind wir stark. Dem stellt sich der kleine Mann am Ende aber entgegen, wenn er sich, wenn auch mit viel Glück und Zufallsdusel, an die Spitze gekämpft hat und der Menschheit die Freiheit verspricht! Hier wird Chaplin dann persönlich, wendet sich direkt an seine Zuschauer im Kinosaal, hält als Friseur, von dem der Machtapparat glaubt, er sei Diktator Hynkel, eine flammende Rede für Freiheit und Menschenrechte für Christen, Juden, Moslems, Weiße, Schwarze, Rote, Gelbe gleichermaßen, eine Rede, die vor Humanität, Freiheitspathos und Friedensglauben nur so bebt. Das klingt nach Jetzt habe ich Euch zwei Stunden fröhlich und spannend unterhalten. Jetzt hört mir noch mal ein paar Minuten zu!

Diese Rede macht den Film – bis dahin dramatische Komödie, oder komisches Drama mit Slapstick – unscharf, lässt die Intention verschwimmen. Aber den Film als Ganzes kann sie, zumal je älter er wird und visionärer er dasteht, nicht kaputt machen.

Wertung: 6 von 6 D-Mark
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