Buchcover: Stephen King – Cujo (1981)

Ein aggressiver Bernhardiner sorgt für
Klaustrophobie im glühend heißen Auto

Titel Cujo
(Cujo)
Autor Stephen King, USA 1981
aus dem Amerikanischen von Harro Christensen
Verlag Bastei Lübbe
Ausgabe Paperback, 316 Seiten
Genre Drama, Horror
Website stephenking.com
Inhalt

Castle Rock im südlichen Maine. Hier versuchen Vic und Donna Trenton für sich und ihren vierjährigen Sohn Tad, ein Leben aufzubauen, nachdem Vic eine große Werbeagentur in New York zugunsten seiner Selbständigkeit verlassen hat. Donna trauert der lebendigen Zeit in New York immer noch nach, ist oft einsam, wenn ihr Mann beruflich unterwegs und ihr Sohn im Kindergarten ist. Die Ehe steckt in einer Krise, als Vic auf eine längere Geschäftsreise muss.

Es ist ein ungewöhnlich heißer Sommer in Castle Rock und weil ihr Auto zickt, beschließt Donna, ihn zu Joe Cambers Werkstatt am Rande der Stadt zu bringen. Camber lebt dort mit seiner Frau Charity und dem gemeinsamen Sohn Brett – die beiden sind auf Verwandtschaftsbesuch in Connecticut. Als Donna mit Tad auf der Rückbank auf das leere Werkstattgrundstück fährt, steht plötzlich Cujo vor ihr.

Cujo ist ein zweihundert Pfund schwerer Bernhardiner. Er war immer ein liebevoller, knuffiger, aufmerksamer und kein dummer Hund. Eines Tages jagt Cujo ein Wildkaninchen, das sich in einem versteckten Erdloch in Sicherheit bringt. In blindem Jagdeifer will der Hund seine Beute verfolgen und scheucht einige mit Tollwut infizierte Fledermäuse auf.

Die Veränderung ist schleichend, fällt erst niemandem auf. Und als Cujo jetzt auf dem verlassenen Grundstück vor Donnas Wagen steht, völlig verdreckt mit Schaum im Mund, ist es zu spät, noch etwas zu bemerken. Donna und Tad stehen in ihrem alten Auto mitten auf dem Hof bei über 30 Grad Außenhitze allein und ohne Hilfe einem Monstrum gegenüber …

Was zu sagen wäre
Cujo

Das Buch beginnt mit den Worten „Es war einmal …“ wie ein Märchen. Und wir lernen einen kleinen Jungen kennen, der sehr populäre Ängste mit sich herumträgt. Spätestens mit Steven Spielbergs Poltergeist (1982) haben Clowns und Teddybären als Schreckensfiguren Einzug in die Kinderzimmer gehalten. In "Cujo" fürchtet sich der kleine Tad in der Dunkelheit seines Zimmers vor etwas im Schrank, was bei näherem Hinsehen ein Paar Hemden am Bügel und ein paar Decken sind, oder scheinen. Stephen King beschreibt die Ängst des Kindes so lebendig, dass wir eine Zeitlang nicht wissen, ob da nicht doch noch was anderes rauskommen kann aus dem Schrank. Vor allem aber ist die Szene dafür da, dass die Eltern ihrem Jungen erklären können: „Es gibt keine Ungeheuer!

Denn die gibt es natürlich doch. Nur anders. eher so, wie sie auf dem Klappentext beschrieben sind: zweihundert Pfund schwer, mit Tollwut infiziert. Es ist ein ehedem herzensguter Bernhardiner, dem Stephen King nach dem großen, blutigen Finale, in dem Hirnmasse spritzt, Hoden reißen und Augen platzen, noch einen extra großen Kranz flicht. Es ist ein Hund, der sogar denken kann. King lässt uns teilhaben, was Cujo in manchen Momenten empfindet über „den Mann“, „die Frau“, „den Jungen“, wie er mit zunehmender Raserei Stimmen, Automotoren oder nur den fauligen Geruch des Wassers für seinen schmerzenden Zustand verantwortlich macht, bevor er zuschlägt. Alles andere wäre unfair dem Hund gegenüber, denn King lässt uns an den Gedanken aller Figuren teilhaben.

Im Zentrum stehen zwei beinahe spiegelbildliche Familien. Hier die Familie Trenton – Donna, Vic und Sohn Thaddeus, genannt Tad – die aus New York ins beschauliche Castle Rock gekommen sind, um hier eine familientaugliche Existenz aufzubauen. Vic hat zusammen mit einem Freund eine Werbefirma gegründet, die sich noch etablieren muss, was abseits der großen Metropolen Boston und New York schwer ist, zumal, wenn gerade der Hauptkunde abzuspringen droht. Die Ehe der Trentons wackelt, Donna vermisst New York, bald stellt sich heraus, dass sie gerade eine Affaire mit dem örtlichen Möbelschreiber beendet, was der ihr ordentlich übel nehmen wird.

Dann ist das die Familie Camber – Joe, Martha und Sohn Brett, dem der Hund Cujo gehört. Die Chambers leben von der Hand in den Mund, von dem, was Vater Joe in seiner Autowerkstatt erwirtschaftet, wenn er nicht gerade mit seinem Nachbarn den Alkoholvorrat der Stadt leer trinkt. Martha leidet unter ihrem trinkenden, Schlägen nicht abgeneigten Mann, der ihr alles verbietet, sogar den Besuch bei ihrer Schwester. Verzweifelt versucht sie Brett eine Lebensperspektive abseits des gewalttätigen Lebens seines Vaters aufzuzeigen, aber der findet Dad schon ziemlich cool.

All das erfahren wir ausführlich, weil King jeder Figur ausführlich Platz in seinem buch einräumt. Wir lernen die Charaktere ausführlich kennen, eingangs sogar die alte Ewie, älteste Einwohnerin Castle Rocks, die zwar keine größere Rolle spielt, sich aber mit Wetterprognosen auskennt, also führt King sie in einem ausführlichen Dialog mit dem Postboten ein, der uns einerseits auf heiße Tage vorbereitet, „dass es den heißesten Sommer seit dreißig Jahren geben würde. Am Anfang heiß und am Ende heiß, schrie sie mit lederner Lunge in die schläfrige Mittagsstille, und in der Mitte heiß“, uns andererseits das städtisch gesellschaftliche Umfeld der Trentons und Cambers näher bringt. nach wenigen Seiten ist aus dem leeren zunächst Castle Rock ein lebendiger Kosmos mit klassisch skurrilen Einwohnern geworden, in dem sich auch bald der freundliche Bernhardiner beim Hasen jagen mit Tollwut infiziert. Das merkt niemand. Die Cambers wohnen ganz außerhalb am Ende der Straße, da, wo es früher zur alten Müllkippe ging und heute nirgendwo mehr hin; das ist Cujo Revier.

Den ersten Toten hinterlässt Cujo, der Titelheld des Romans, erst nach rund 120 Seiten. Bis dahin hat uns der Roman sehr abwechslungsreich durch die dramatischen Höhen und Tiefen der beiden Familien geführt, bei den uns King sein offenbar großes Verständnis für menschliche Abgründe, Schwächen und Absonderlichkeiten beweist. Zwischendrin erleben wir den langsamen Verfall des anfangs so freundlichen Hundes.

Unauffällig schiebt King seine Charaktere auf dem Schachbrett seiner Erzählung herum, bis der grausame Höhepunkt unausweichlich ist: Bei strahlender Sonne mit über 30 Grad im Schatten rollt Donna Trenton mit ihrem vierjährigen Sohn Tad auf den für sie überraschend verwaisten Hof der Camber-Werkstatt, als der Motor ihres Ford Pinto, dessentwegen sie hergekommen ist, endgültig den Geist aufgibt. Und der mittlerweile schlammig, schmutzig stinkende, tollwütige Koloss das erste Mal angreift. Mutter und Sohn sind in ihrem brutheißen Auto gefangen, Hilfe ist nicht in Sicht, der Junge wird hysterisch und das Ganze zieht sich über zwei Tage und zwei Nächte.

Bisweilen ist das beim Lesen kaum zu ertragen, so dicht beschreibt King das Dilemma im und um das Auto, dass mir im Lesesessel buchstäblich der Schweiß ausbricht. Es ist nicht immer gelungen, wenn King noch einer Nebenfigur eine ausführliche Biografie schenkt und noch eine Nebenhandlung einzieht; manchmal hat das etwas Wahnhaftes, als dürfe er nur ja nichts zu erzählen vergessen. Eher gewollt als gekonnt wirkt auch Kings Versuch, das eingebildete Schreckgespenst aus dem Schrank des kleinen Jungen immer wieder irgendwie in Zusammenhang mit dem polternden Bernhardiner zu bringen, selbst Donna und Vic sehen im Schrank plötzlich glühende Augen, Vorzeichen auf Monströses – als würde ein tollwütiger Berhardiner als Storytreiber nicht völlig ausreichen.

Aber das sind nur kurzzeitige Bremser im Lesefluss. Jetzt, auf dem glühend heißen Hof vor der Werkstatt, erweist es sich als Glücksfall, dass King erstmal 120 unterhaltsame Seiten mit menschlicher Fehlbarkeit gefüllt hatte, denn so kann er uns jetzt Pausen gönnen, indem er Mutter und Sohn in ihrem Schicksal zurücklässt und mit uns zu den anderen Mitgliedern der beiden Familien springt – Vater Vic, der in Boston versucht, seinen Großkunden bei der Stange zu halten und sich sorgt, weil er seine Frau nichts ans Telefon bekommt, Brett, der sich Sorgen um seinen Hund Cujo macht, der zuletzt einen kränkelnden Eindruck machte, Martha, die in Connecticut endlich einen Ausweg aus ihrer höllischen Ehe mit Joe zu erkennen glaubt – die sich in ihren unterschiedlichen Beschäftigungen langsam aber zunehmend und aus unterschiedlichen Gründen wieder dem heimischen Castle Rock und einem dortigen Hund zuwenden. Was bei uns Lesern die Hoffnung hält, dass doch bitte irgendeiner noch rechtzeitig auf dem Camber-Hof vorbeikommt, um Donna und den kleinen Tad zu retten.

Für die regionale Presse in Maine, so steht es im Buch, ist dieses Drama, das uns im Lesesessel zehn abgebissene Fingernägel gekostet hat, nur drei Tage interessant und dann verschwindet es wieder aus den Schlagzeilen. Und tatsächlich ist zwar das Monster besiegt, aber der Schrecken, der Existenzkampf für die beiden Familien damit keineswegs beendet. Das Leben geht auch bei Stephen King weiter. Und das ist nicht immer schön.

Ein spannendes Leseerlebnis, das sich zuerst irritierend viel Zeit mit vermeintlich Nebensächlichem lässt und dann effektvoll die Schlinge zuzieht, dass wir das Buch erst wieder aus der Hand legen wollen, wenn wir wissen, ob Donna und Tad das Monster überwunden haben.

Ich habe "Cujo" zwischen dem 12. und dem 14. August 1983 gelesen.
Ich habe "Cujo" noch einmal zwischen dem 25. und 27. August 2025 gelesen.