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Plakatmotiv: 55 Tage in Peking (1963)

Mit Aufwand verfilmte Geschichte über
eigenwillige Kolonisationsvorstellungen

Titel 55 Tage in Peking
(55 Days at Peking)
Drehbuch Philip Yordan & Bernard Gordon & Robert Hamer
Regie Nicholas Ray (+ Guy Green + Andrew Marton), USA 1963
Darsteller

Charlton Heston, Ava Gardner, David Niven, Flora Robson, John Ireland, Harry Andrews, Leo Genn, Robert Helpmann, Kurt Kasznar, Philippe Leroy, Paul Lukas, Elizabeth Sellars, Massimo Serato, Jacques Sernas, Jerome Thor, Geoffrey Bayldon, Joseph Fürst, Walter Gotell u.a.

Genre Abenteuer, Drama, Action
Filmlänge 154 Minuten
Deutschlandstart
20. September 1963
Inhalt

Peking, der 20. Juni 1900. Der Geheimbund der Boxer ermordet den deutschen Botschafter und fordert den Abzug aller im Land befindlichen Ausländer. Unter der Führung des Botschafters Robertson und des Majors Lewis verschanzen sich einige hundert Europäer im Diplomatenviertel Pekings.

In einem nahezu aussichtslosen Verteidigungskrieg versuchen sie der tausendfachen Übermacht der Boxer bis zum Eintreffen der nahenden Befreiungsarmee zu trotzen …

Was zu sagen wäre

Wegen dieses Films waren nahezu in ganz Spanien die Chinarestaurants eine Zeit lang geschlossen. Weil aus politischen Gründen nicht in Peking direkt gedreht werden konnte, war die Produktion nach Madrid in Spanien gesiedelt – auf einer Fläche von 243.000 Quadratmetern wurde eine Replikation der Stadt Peking aus der Zeit um 1900 aufgebaut – und nun brauchte man vor Ort ein Heer chinesischer Statisten, was zu dem Kuriosum führte, dass für die Dauer der Dreharbeiten die meisten Chinarestaurants in Spanien mangels Personal schließen mussten.

Der Aufwand klingt etwas verrückt, aber "55 Days at Peking" verstand sich als Großproduktion, eine im Stile von Die zehn Gebote (1956) oder Ben Hur (1959), beide ebenfalls mit Charlton Heston in der Hauptrolle, der hier nun allerdings nicht mit Sandalen auftritt. Aber auch dieser Film bietet seinem Publikum vor dem Vorspann eine dreiminütige Ouvertüre und spendiert eine komponierte Pause mit "Intermission-Dia". Das machten Produzenten damals nur für die großen Überlängefilme.

Die Story selbst ist allerdings nicht annähernd so dramatisch wie die der genannten Sandalenfilme. Sie versucht, den Geist des US-Traumas Alamo nach China zu transferieren. Erzählt wird im Rahmen eines historisch verbürgten Ereignisses das fiktive Drama verschiedener in die Belagerung des Pekinger Gesandtschaftsviertels verwickelten Figuren. Im Jahr 1900 hat die chinesische Bevölkerung, vor allem die Landbevölkerung es satt, von fremden Mächten beherrscht, kujoniert und ausgelaugt zu werden – namentlich handelt es sich da um Japan, Russland, England, Frankreich, USA, Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Königreich Italien. Widerstand formierte sich und zog gegen christliche Missionare und andere Vertreter westlicher Staaten ins Feld. Wegen ihrer speziellen Kunst des Kämpfens nannten die Westler sie "Boxer". Der Aufstand gipfelte in jenen 55 Tagen, in denen "Boxer", inoffiziell unterstützt vom chinesischen Militär, die Gesandtschaft belagerten, während sich die Kompanien der Vereinigten Acht Staaten schwer taten, bis nach Peking vorzustoßen. Der äußere Rahmen, die Belagerung und Aussichtslosigkeit in der Gesandtschaft und das Warten auf die Kavallerie, ähnelt besagtem Alamo-Drama und ist ebenso historisch verbürgt. Der Rest ist freie Hollywood-Schreibe.

Der britische Gesandte versucht, die diplomatischen Kanäle offen zu halten und setzt sich damit bei seinen sieben Kollegen in die Nesseln. Ein schneidiger US-Major versteht die ganze Politisiererei nicht und will die Chinesen am liebsten alle hinrichten. Eine russische Baroness, die in der High Society Pekings wegen zu großer Chinesenfreundlichkeit in Verruf geraten ist, mogelt sich durch und wird von der Saula zur Paula. Und sieben Gesandte und diplomatische Beamte, die ganz empört sind, dass sich die Chinesen in ihrem eigenen Land gegen sie auflehnen. Der US-Gesandte bringt es auf den Punkt: „Die Vereinigten Staaten haben keine territorialen Anrechte in China. Sie haben nie welche verlangt und wollen auch keine.“ Deswegen wollen die USA ihre Leute und Truppen abziehen, vor den "Boxern" in Sicherheit bringen. Plakatmotiv: 55 Tage in Peking (1963) Anders als die anderen Staaten, allesamt erfahrene Kolonialisten, die in China offenbar nicht zimperlich gegen die Bevölkerung agieren. Die USA sind zu jener Zeit immer noch mit der Befriedung ihres eigenen Territoriums zwischen New York und Kalifornien beschäftigt, Stichwort: "Indianer", bzw. Native Americans, da versuchen die sieben anderen Staaten (s.o.) Ähnliches in China.

Diese kuriose Verschiebung der Opferperspektive gerät im Film in den Hintergrund. Nicht nur ist die chinesische Kaiserin unfähig, sich zwischen ihrem kriegstreibenden Berater, Prinz Juan, und dem abgeklärten Gleichgewicht-der-Kräfte-Vertreter, General Jung-Lu, zu entscheiden und wird deshalb vom Drehbuch zur klassischen Filmschurkin geformt. Auch möchte Regisseur Nicolas Ray ("König der Könige" – 1961; …denn sie wissen nicht, was sie tun – 1955; Im Schatten des Galgens – 1955; Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen – 1954) ja auch noch ein bisschen Abenteuer und Romantik in seinem Film haben. Also erlebt der schneidige US-Major allerlei gefahrvolle Einsätze außerhalb der schützenden Mauern. Ihn spielt Charlton Heston mit dem selbstsicheren Charme des überzeugten Weltverbesserers (El Cid – 1961; Ben Hur – 1959; König der Freibeuter – 1958; Weites Land – 1958; Im Zeichen des Bösen – 1958; Die zehn Gebote – 1956; Am fernen Horizont – 1955; Pony-Express – 1953). Chinesen, muss er seinen Männern erst erklären, sind nicht dümmer als sie, nur „weil sie unsere Sprache nicht sprechen“; dass Chinesen schon lesen, schreiben, rechnen und Schießpulver herstellen konnten, als die USA noch nicht mal angedacht waren, lässt der Film in dieser Szene unter den Tisch fallen. Auch Frauen sind dem schneidigen Major lästig, vor allem „kluge Frauen“, die mit ihm flirten, ihm widersprechen. <Nachtrag1996>Es kommt dann doch der Moment, in dem der schneidige US-Major einfach zugreift, der klugen Frau einen Kuss aufzwingt und sie diesen leidenschaftlich erwidert – US-Kino, 50er Jahre. Damals war das so. Ich habe den Film 1979 zum ersten Mal gesehen</Nachtrag1996>.

Den diplomatischen Vertreter dieser chinesischen Landnahme, den britischen Gesandten, spielt, als wäre er für solche Rollen geboren worden, David Niven (Der rosarote Panther – 1963; Die Kanonen von Navarone – 1961). Als furchtbar viel beschäftigter Diplomat nimmt er sich Zeit für seine Gattin und deren „Frauenprobleme“, für die Kinder. Und dann, auf professionell autoritär gebürstet, für die weltpolitischen Belange, die von China ausstrahlen. Ava Gardner ist die Frau ("Glut" – 1960; Die barfüßige Gräfin – 1954; Die Ritter der Tafelrunde – 1953; Mogambo – 1953; "Schnee am Kilimandscharo" – 1952). Immer perfekt geschminkt, meistens mit Weichzeichner gefilmt. wenn sie in einer Actionszene ihren Hut verliert, trägt sie in der nächsten ohne weitere Erklärungen einen neuen – mit passendem (neuen) Outfit dazu. Als Figur ist sie moralisch gestrandet. Verheiratet mit einem russischen Offizier hat sie sich einem chinesischen General hingegeben. Das ist ihr großes Geheimnis, weswegen sie in der Pekinger Gesandtschaft verfemt ist. Und dann startet sie als Engel der Krankenstation neu durch, zeigt ihre Opferbereitschaft, jammert nie, klagt niemanden an, ist jetzt also so reingewaschen, dass sie der schneidige US-Major nach Hollywood-Richtlinien an die Hand nehmen dürfte. Aber ach … sie hat einst moralisch (sexuell) gefehlt und so muss Gardners Figur nun jene Buße tun, die solchen Frauen im US-Kino jener Zeit nun einmal auferlegt war. Sie stirbt. Aber den Heldinnentod. Immerhin.

Je länger wir diesem unentschiedenen Treiben in der eingeschlossenen Gesandtschaft zuschauen, desto platter wird der Film. Er hat grandiose Actionszenen mit großen Explosionen und unübersichtlichen Massen an Menschen (die Chinarestaurantbetreiber). Er liefert Suspense mit einer voreiligen Zündschnur. Und er feiert auch die NATO. Der Rahmen des Films mag historisch korrekt sein. Handlung und Dialoge sind es nicht, und wenn dann der Brite und der US-Major darüber sinnieren, dass eine Nation für die andere einstehen müsse und dass, wenn eine der acht Nationen in China angegriffen werde, doch alle angegriffen würden, dann ist das genau jener Beistandspakt, den die Gründungsmitglieder des Nordatlantikpaktes am 4. April 1949 unterzeichneten – 14 Jahre, bevor dieser Film in die Kinos kam.

Der Film bietet ein bisschen exotisches Abenteuerflair, satte Action sowie ein Frauen- und ein Männerbild, das dem der damaligen Zeit entspricht.

 

Wertung: 4 von 7 D-Mark
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