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Plakatmotiv: Die Kunst zu lieben (1971)

Witziger Blick auf die Post-68er und
deren große sexuelle Un-Freiheit

Titel Die Kunst zu lieben
(Carnal Knowledge)
Drehbuch Jules Feiffer
Regie Mike Nichols, USA 1971
Darsteller

Jack Nicholson, Candice Bergen, Art Garfunkel, Ann-Margret, Rita Moreno, Cynthia O'Neal, Carol Kane, Ray Cass u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 98 Minuten
Deutschlandstart
17. Februar 1972
Inhalt

Liebe und Sex, das ist das einzige Gesprächsthema zwischen dem draufgängerischen Jonathan und dem schüchternen Sandy. Und dies seit den College-Jahren.

Ein Blick zurück: Sandy zeigt Interesse für die schöne Susan, und Jonathan ermutigt den Freund, ja drängt ihn, sie anzusprechen. Als die beiden schließlich ein Paar sind, teilt Sandy seine Erlebnisse mit seinem Kumpel, so dass auch Jonathan aufmerksam auf Susan wird und sie auf ein Date einlädt. Susan findet ebenfalls Gefallen an Jonathan, der ganz anders zu sein scheint, als er auf den ersten Blick wirkt. Ohne dass die beiden Sandy jemals ein Wort von ihrer Affäre sagen, entwickelt sich ein starkes Gefühl zwischen ihnen. Für Jonathan ist das eine neue Erfahrung, weil er sich einem Mädchen gegenüber noch nie ganz geöffnet hat. Doch er will Susan für sich allein haben.

Eifersüchtig auf den Freund drängt er Susan, Sandy zu verlassen. Sie bringt es jedoch nicht übers Herz. Auch 20 Jahre später erörtern die beiden Männer noch immer ihre Vorlieben, Wünsche und Erfahrungen im Detail …

Was zu sagen wäre

Die wilden, sexuell freizügigen späten 60er Jahre müssen die Männer damals ganz schön durcheinander gebracht haben, weil den Frauen ein paar Dinge klar geworden waren. Als ich diesen Film sehe, ist er schon zehn Jahre alt. Als er nämlich in Deutschland startete, war ich zehn Jahre alt; da haben mich andere Sachen interessiert, als komische Erwachsene, die die ganze Zeit über Sex, Ficken und Schlampen reden.

Da sind zwei Studienfreunde, so gegensätzlich, wie ein Drama das vorsieht. Der eine, Jonathan, ein Maulheld, der über Frauen lästert, weil die „zwei Zentimeter zu wenig“ haben, wahlweise oben oder unten. Der andere, Sandy, ist der schüchterne, brave Typ, der sich nicht traut, eine Frau anzusprechen. Schon während der Titelvorspann läuft, rote Titel auf schwarzem Grund, reden die beiden, beschreiben sich ihre Traumfrauen. Als wir endlich was sehen, betreten wir mit Susan, blonde Haare, blaue Augen, eine Studentenparty, auf der die beiden Jungs sich unterhalten. In der Folge werden sich beide in Susan verlieben und Susan sich in das Weiche in Sandy und in das Harte in Jonathan. Candice Bergen (Das Wiegenlied vom Totschlag – 1970; Kanonenboot am Yangtse-Kiang – 1966) spielt Susan als freundlich lächelnde Frau ohne Eigenschaften; sie will Jura studieren, später, „wenn ich wirklich was zu sagen habe“, Bücher schreiben. Zehn Jahre später haben Susan und Sandy zwei Kinder in einem Haus mit sieben Zimmern, er ist Arzt, sie macht den Haushalt, reicht ihm, wenn er abends heim kommt, den Martini, bevor es Abendbrot gibt, und er schätzt das; von Büchern ist keine Rede mehr. Jonathan hat wechselnde Verhältnisse mit lauter angeblich super aussehenden Frauen, bis er Bobbie kennenlernt, die sich mit Kellnerinnen-Jobs durchschlägt. Jonathan zieht mit ihr zusammen, schwärmt allerdings vor allem von ihren großen Brüsten.

Die Partnerinnen der beiden wechseln noch ein paar Mal, aber glücklich werden sie nicht; als wir sie verlassen, ist Sandy, Anfang 40 mit einer 19-Jährigen zusammen, die ihn endlich verstehe. Jonathan sitzt alleine in einer schrecklich im 70ies-Style eingerichteten Wohnung, die entfernt an Raumschiff Orion erinnert. Plakatmotiv (US): Carola Knowledge (1971) Frauen sind immer noch von Männern abhängig; verdienen sie ihr eigenes Geld, tun sie das als Kellnerin oder Krankenschwester. Bonnie schmeißt ihren Job irgendwann, träumt von Ehe und Kindern, aber Jonathan will seine Freiheit, steht auf dem Standpunkt, sie solle auf ihn warten, wenn er da sei, sei er da, wenn nicht, dann nicht. Schließlich nimmt sie eine Überdosis Tabletten. Ann Margaret (Cincinnati Kid – 1965) erhielt für ihr Spiel einen Golden Globe.

Andererseits ist die klassische Ehe von Susan und Sandy an ihrer Langeweile erstickt. Sandy schwört, sie hätten Rituale vermieden, „es immer wieder in einem anderen Zimmer gemacht“, aber vorher brav die Kleider ausgezogen und zusammengelegt. Irgendwann ist Susan aus dem Film verschwunden. Unkommentiert – was erstaunlich wirkt, weil die beiden im Film alles kommentieren.

Vor allem kommentieren Jonathan und Sandy direkt in die Kamera, durchbrechen die vierte Wand und wenden sich direkt an das Publikum im Kinosessel (oder vor dem Videogerät). Es muss ein dickes Drehbuch gewesen sein, es wird ununterbrochen geredet. Der Film besticht aber durch seine sehr eigene Visualität – was zeigt die Kamera, was lässt sie weg. Das Dreiecksverhältnis zu Beginn, von dem Sandy den ganzen Film lang gar nicht weiß, dass es das gab, wird in schnellen Schnitten erzählt, nicht in lang aufgebauten Situationen. Mike Nichols (Catch 22 – Der böse Trick – 1970; Die Reifeprüfung – 1967; Wer hat Angst vor Virginia Woolf? – 1966) erzählt mit jeder Szene eine neue Entwicklung und beweist für die Filmgeschichte: Der Zuschauer versteht abrupte Zeitsprünge unmittelbar, wenn die Bildsprache ganz klar ist. Eben noch fleht Jonathan auf dem dunklen Universitätscampus Susan an, bei ihm zu bleiben, da sehen wir ihn schon auf seinem Bett in der Studentenbude mit versteinertem Gesicht sitzen, während vor ihm, von der Kamera allerdings kaum zu sehen, Sandy und Susan Gepäck für ihren ersten Campingurlaub packen, wobei ihre Unterschiedlichkeit im Dialog Was muss mit, was braucht ein Camping-Wochenende nicht? nochmal sehr deutlich wird.

Scheitern an der Beziehung tun alle. Die Frauen, denen ohne Mann ein Leben ohne Perspektive winkt und die nur hoffen können, dass ihnen nach der Scheidung eine einklagbare Unterhaltszahlung bleibt. Der Macho, weil die Frauen gelernt haben, Ansprüche zu stellen. Der Weiche, weil es immer schon unmöglich war, mit einem ziellosen Langeweiler ein ganzes Leben verbringen zu müssen. Jack Nicholson (Easy Rider – 1969; Psych-Out – 1968; Der Rabe – Duell der Zauberer – 1963; Kleiner Laden voller Schrecken – 1960) und Art Garfunkel glänzen als ungleiche Männer, beruflich erfolgreich, die privat ihr Glück nicht mehr finden können. Sie werden zerrieben zwischen der puritanischen Sexualmoral der 50er und der Befreiung davon in den 60er Jahren. Ein in seiner Machart bemerkenswerter Film mit großer visueller Intensität.

Wertung: 8 von 8 D-Mark
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