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Plakatmotiv: Das Wiegenlied vom Totschlag (1970)

Ein Western, der
in zwei Teile zerfällt

Titel Das Wiegenlied vom Totschlag
(Soldier Blue)
Drehbuch John Gay
nach dem Roman "Arrow in the Sun" von Theodore V. Olsen
Regie Ralph Nelson, USA 1970
Darsteller

Candice Bergen, Peter Strauss, Donald Pleasence, John Anderson, Jorge Rivero, Dana Elcar, Bob Carraway, Martin West, James Hampton, Mort Mills, Jorge Russek, Aurora Clavel, Ralph Nelson u.a.

Genre Western, Drama
Filmlänge 115 Minuten
Deutschlandstart
4. März 1971
Inhalt

Colorado, im Jahr 1864: Eine Kavallerieeinheit der Nordstaaten transportiert neben einer Truhe voll Gold noch ein zweites wertvolles Gut: Cresta Marybelle Lee war mit einem Mitglied der Einheit verlobt, bis sie vor zwei Jahren von den Cheyenne entführt wurde. Nun ist sie entkommen.

Die übermüdeten und frustrierten Soldaten werden von einem Kriegstrupp der Cheyenne angegriffen. Nur zwei Überlebende überstehen den Angriff: Cresta und der junge Soldat Honus Gant. Auf der Suche nach Hilfe taumeln die beiden durch Wildnis und Wüste, müssen dabei lernen, miteinander auszukommen und geraten in eine blutige Auseinandersetzung mit dem Waffenhändler Cumber. Plakatmotiv (US): Soldier Blue (1970) Dabei überzeugt Cresta Honus mehr und mehr davon, dass die Lebensart der Indianer nicht schlechter und moralisch sogar überlegen gegenüber der der Weißen ist.

Als Honus und Cresta schließlich einen Armeestützpunkt erreichen, wird gerade der Rachefeldzug gegen die Cheyenne vorbereitet. Die beiden müssen hilflos einem Massaker zusehen, bei dem die Armee auch Frauen und Kinder nicht verschont. …

Was zu sagen wäre

Wenn die Kavallerie im Finale zum Angriff bläst, galoppiert die ganze Truppe über eine am Boden liegende US-Flagge – US-Blauröcke zertrampeln ihre eigene Flagge. Es ist Sinnbild für das, was nun passiert. Die Soldaten kümmern sich nicht um die weiße Flagge, die der Häuptling des Dorfes wedelt. Die Blauröcke sind auf Blut aus, massakrieren alle Dorfbewohner, vergewaltigen Frauen, hacken Kindern Gliedmaßen ab. Es ist eine blutspritzende Orgie aus Gewalt weißem Überlegenheitsgefühl. Der General wird seine Männer am Ende loben, dass sie wieder ein Stück Land sicher gemacht und für mehr Menschlichkeit gesorgt haben.

Das blutige Finale steht in krassem Gegensatz zum ganzen Film davor, der auch mit einem Massaker beginnt. Diesmal ermorden Cheyenne 22 Blauröcke. Auch diese Tat ist brutal. Aber weniger brutal inszeniert, zumal haben die Soldaten Gewehre und können sich wehren. Und die Cheyenne haben ein, nunja, nachvollziehbares Motiv: Sie wollen die Geldkiste erbeuten, die die Soldaten mit sich führen, um von dem Geld neue Gewehre zu kaufen. Die Soldaten beim finalen Massaker haben kein nachvollziehbares Motiv. Sie haben mindestens einen Blutrausch. Zwei Menschen haben den anfänglichen Angriff der Cheyenne überlebt, ein junger Soldat und Cresta Marybelle Lee, eine junge Frau, die die vergangenen zwei Jahre bei den Cheyenne gelebt hat. In der nächsten Filmstunde stolpern die beiden durch die Wüste, streiten sich, helfen sich, kuscheln miteinander gegen die Kälte in der Nacht, sie bekommen Ärger mit ein paar Kiowas und versuchen, etwas zu essen zu finden. Plakatmotiv (US): Soldier Blue (1970) Ihn stört ihre rüde Ausdrucksweise, sie stört seine Spießigkeit. Er kann sich ihre Erscheinung nicht entziehen.

Es ist schon ein Bild für Posterdrucke: Candice Bergen (Kanonenboot am Yangtse-Kiang – 1966) mit leuchtend blondem Haar und zitronengelbem Kleid stolpert durch die Wildnis, hat aber bei den Cheyenne die Überlebenstricks gelernt, die jetzt auch dem jungen Soldaten zugute kommen. Je länger sie ums Überleben kämpfen, desto mehr reißt ihr zitronengelbes Kleid kaputt, bis es mehr zeigt als verdeckt und sich Cresta aus einem großen Stück Tuch ein neues Kleid mit ihrem Messer schneidet, das nun noch mehr Einblick gewährt und den armen Soldat Honus beinah um den Verstand bringt. Währenddessen haben beide noch einem Waffenhändler seine Waffen zerstört, was in der Folge dazu führt, dass die Cheyenne im finalen Massaker keine Waffen haben, mit denen sie sich wehren könnten.

Die eine Stunde mit dem sich kabbelnden und kuschelnden Paar in der Wüste weist Charme und Witz auf. Auch, wenn beide natürlich Überlebende eines mörderischen Überfall bleiben, erinnert manche Szene an Screwball Comedies. Elemente, die Anfang und Ende fehlen. Umso schockierender wirkt das finale Massaker, dass eine Steigerung seiner Schockwirkung aber wahrlich nicht benötigt. Der Film zerfällt in zwei Teile. Hier eine romantische Tändelei, die ohne Ziel bleibt, dort eine wütende Klage gegen Greuel von US-Militärs.

Als der Film 1970 in die Kinos kommt, ist der US-Krieg in Vietnam in vollem Gange. Noch in frischer Erinnerung ist das Massaker von Mỹ Lai im März 1968, bei dem US-Soldaten 504 Zivilisten in dem Dorf Mỹ Lai töteten. "Das Wiegenlied vom Totschlag" kann als erste filmische Aufarbeitung der Geschehnisse von 1968 interpretiert werden und beruft sich dabei selbst auf ein anderes historisch verbürgtes Massaker. Die Geschichte des Films ist angelehnt an das "Sand-Creek-Massaker", das Kavalleristen der amerikanischen Nordstaaten 1864 an den Einwohnern einer Siedlung von Cheyenne- und Arapaho-Indianern im Colorado-Territorium verübten. Die Nacherzählung des Massakers ist offenbar das Motiv für diesen Film, dessen fiktive Geschichte drumrum statt eines roten Fadens lauter lose Enden im Abspann zurücklässt und nicht die filmische Tiefe erzeugt, die der detaillierten Darstellung im Finale moralisch gewachsen wäre.

Wertung: 4 von 8 D-Mark
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