Nachdem Captain America bei einem Einsatz in Mexiko dem skrupellosen Söldner Sidewinder und dessen Serpent Society das Handwerk legt, wird er zum Dank zusammen mit seinem Mitstreiter Joaquin Torres ins Weiße Haus eingeladen. Doch einfache, freundschaftliche Meetings scheint es für ihn nicht zu geben.
Der gerade erst ins Amt gewählte US-Präsident Thaddeus Ross will mit Captain Hilfe ein neues Avengers-Team aufstellen, denn am Horizont droht ein weltumspannender Konflikt um ein neues, wertvolles Metall: Adamantium, in die Welt gekommen durch die Eternals, die vor einigen Jahren die Erde vor den Celestials bewahrt haben. Während Captain America noch zögert, auf das Angebot einzusteigen, wird auf den Präsidenten ein Attentat verübt, für das Caps väterlicher Freund Isaiah Bradley verantwortlich gemacht wird, ein früher Vertreter des Supersoldaten-Programms, aus dem später Steve Rogers als der erste Captain America hervorging.
Während Sam Wilson, aka Captain America, nach Antworten sucht, schaukelt sich die globale Krise zu einem Scharmützel zwischen den USA und Japan im Indischen Ozean hoch.
Im Hintergrund zieht jemand die Fäden, der dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Tabletten mit hohem Anteil an Gammastrahlung untergeschoben hat …
Die Welt steckt in einer globalen Krise, der US-Präsident hat ein Geheimnis und seine Emotionen nicht unter Kontrolle, Attentäter lassen auf eine Verschwörung im Weißen Haus schließen und der Titelheld steckt in einer Identitätskrise. Zur Auflockerung schmuggelt die Serpent Society, eine kriminelle Organisation aus den Captain America-Comics, Adamantium durch Mexico. Das sind eigentlich Ingredenzien für einen ordentlichen Captain America-Film.
Es ist aber kein guter Captain America-Film. Es ist überhaupt kein guter Film. Er ist Stückwerk, ursprünglich entworfen in der Prä-Coronazeit, dann in Testscreenings zerpflückt worden, was Nach-, bzw. Neudrehs erforderte und im Ergebnis ist nun alles weg, was nach einer Geschichte aussehen soll. Kurz blitzen mal spannende Zweifel und dadurch die Erinnerung an Captain America – Winter Soldier (2014) auf, in dem Robert Redford als zwielichtiger Politiker ein falsches Spiel spielte; hier könnte das Harrison Ford (Indiana Jones und das Rad des Schicksals – 2023; "Ruf der Wildnis" – 2020; Star Wars: Episode IX - Der Aufstieg Skywalkers – 2019; Blade Runner 2049 – 2017) als Präsident mit mangelnder Impulskontrolle werden, der die Seiten schneller wechselt als das Unterhemd. Aber nein. Außer, dass der bunte Titelheld sich dauernd in CGI-Schlachten prügelt, passiert auf der Leinwand nichts. Potenzielle rote Fäden werden ignoriert.
Die Stiefel des Helden sind groß
Ein Faden etwa sind die Selbstzweifel des neuen Captain, nachdem Steve Rogers in den Honeymoon geritten ist. Erst raunzt der US-Präsident Sam Wilson an, er sei nicht Steve Rogers. Aha, denkt man, weiß ich? Aber mit Steve Rogers konnte dieser Thaddeus Ross ja auch schon nicht umgehen; was will er damit also sagen? Später gibt es eine Szene, in der plötzlich der Winter Soldier neben Sam steht und dem mehrere Minuten lang erklärt, was für ein großartiger, tapferer Held Sam doch sei, was der mit einem schnoddrigen Oneliner quittiert und dann sehr erleichtert zum Finale schreitet. Das sieht aus, wie Teil einer größeren Erzählung, die diesen jüngsten Film aus dem MARVEL Cinematic Universe (MCU), das seit einigen Jahren kriselt, mal getragen haben könnte; aber die Nabelschau eines Helden war den MARVEL-Bossen vielleicht zu gewagt (und ist, wer weiß?, vielleicht auch in einem der Testscreenings durchgefallen). Das Selbstzweifel-Thema versandet auf dem Niveau einer mittelprächtigen Netflixserie.
Der Faden hätte auch ein aufziehender Weltkonflikt mit einem labilen US-Präsidenten um das Adamantium werden können, das fair unter allen Ländern der Welt verteilt werden soll, die dann aber nur von Indien, Frankreich, den USA und Japan vertreten werden – Japan, das in der realen Welt in den zurückliegenden Jahren eng an die Seite der USA gerückt ist, ersetzt hier offensichtlich den chinesischen Nachbarn, mit dem es sich die Disneystudios nicht verderben wollen – China ist ein zu großer Absatzmarkt für Hollywood. Dieser Weltkonflikt mit Japan eskaliert in einer unspannend inszenierten Schlacht im und über dem Indischen Ozean, in dem der zur Insel versteinerte Celestial nach Jahren wieder eine Rolle spielt, der 2021 in den Eternals die Erde bei seiner Geburt eigentlich hätte zerplatzen lassen sollen und seither in den Fußnoten des MCU verschwunden war.
Plötzlich tauchen Figuren aus der Urzeit des MCU auf
Die internationale Adamantiumkrise versandet im Film, denn plötzlich hat Thaddeus Ross, der es trotz skandalöser Vergangenheit geschafft hat, erst kürzlich zum Präsidenten gewählt worden zu sein, dieses Problem, dass ihm die Emotionen durchgehen. Er hat nämlich ein Geheimnis, das die Zuschauer weit in die Vergangenheit zieht, bis zum allerersten Film aus dem MCU – Der unglaubliche Hulk (2008). Da tauchte ein Wissenschaftler mit Gamma-Expertise auf, Mr. Blue, der jetzt in fragwürdiger Verkettung mit General Ross steht, der ihn ausgenutzt, verraten und in einem Horrorknast vergraben hat.
Die MCU-historischen Hintergründe muss man nicht kennen; sie spielen keine entscheidende Rolle für den Film. Sie machen aber aufmerksam auf einen Punkt, der hier auf die Spitze getrieben wird. Der Film liefert dem Zuschauer andauernd Factsheets, Nerdwissen, eine Art Selbstvergewisserung der MARVEL-Studios, sich doch noch im MCU zu befinden, das längst unübersichtliche Strukturen angenommen hat, in denen auch schon mal ein gerade erst installierter Superschurke, der eine Ära begründen sollte, einfach verschwindet (so geschehen mit Kang, dem Eroberer, aus dem dritten Ant-Man-Film). In einer Nachrichtensendung zu Beginn des Films werden nochmal ausführlich die Ereignisse aus dem Hulk-Film von 2008 erläutert und Thaddeus Ross' Verwicklungen darin angerissen. Aus der Streamingserie "The Falcon and the Winter Soldier" wird Isaiah Bradley in den Film gehievt, der dem Titelhelden als väterlicher Freund dient, ebenso wie Danny Ramirez den neuen Sidekick Joaquin Torres geben soll. Damit wird der Film auf Gefälligkeit geschliffen: Heutzutage haben Helden ein ihm zuarbeitendes Team. Das sind die Zuschauer aus den Streamingserien so gewöhnt.
Ein Superheld ohne Ausstrahlung
Es gibt also jetzt einen Mentor und einen Sidekick, der in der Art eines kleinen Bruders alberne Sprüche macht und sich dauernd in Schwierigkeiten bringt. Ein bisschen hilft das dem Film sogar. Damit hat Anthony Mackie zumindest eine etwas glaubwürdige Motivation. Als den Film tragender Charakter taugt er nicht. Sein Captain America ist angesichts solcher charakterlich schwierigen – also reisvollen – Vorgänger wie Steve Rogers oder Tony Stark kein Kinoheld; über Mattscheibenniveau kommt er nicht raus. Er hat diesen schicken Flugapparat, den ikonischen Schild und irgendwoher das Geld, um sich teuerste State-of-the-Art-Computer in einem rätselhaften Hauptquartier und ewige Updates leisten zu können, aber keine Seele. Er ist da, als wir ihn im Film kennenlernen und immer noch da, als sich der Vorhang schließt. Entwickelt hat er sich nicht groß, seine Selbstzweifel, ob ihm die Captain America-Stiefel nicht doch zu groß sind, hat er nicht erkennbar abgelegt.
Ein Leben neben dem Kostüm hat der Titelheld nicht, unterhält lose Kontakte zu einer Freundin im Secret Service, die ihn mit Infos aus dem Weißen Haus versorgt, die aber inhaltsleer bleibt, weil neben ihr noch eine Sicherheitsberaterin des Präsidenten eingeführt werden muss, die kurzzeitig autoritär auftrumpft, sich dann auf Sam Wilsons Seite schlägt und die man als israelische Superheldin aus den MARVEL-Comics kennen kann; gespielt wird sie von Shira Haas, die sich in der Hauptrolle der TV-Serie "Unorthodox" einen Namen gemacht hat. Vielleicht steckt in ihr eine Entwicklung für Folgefilme im MCU? Dieselbe Entwicklung hat einst Scarlett Johansson als Black Widow ab Iron Man 2 (2010) genommen. "Brave New World" ist voller solcher Versatzstücke aus Vorgängerfilmen, ohne ihnen Neues hinzuzufügen.
Der orange und der rote Wüterich im Oval Office
Das Zusammenspiel von Realität und Film ist natürlich Zufall, wenn auch ein – je nachdem, wie man auf die Welt blickt – witziger oder erschreckender. Vielleicht haben die MARVEL-Bosse auf den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten geschielt, als sie Thaddeus Ross als Wutbürger im Weißen Haus planten. Dass der 45. auch der 47. werden würde, war damals noch unklar. Jetzt allerdings ist Donald Trump mit der orangenen Haut zurück im echten Oval Office und wütet im Kino-Oval-Office ein Koloss mit roter Haut.
Betrachtet man Filme als Produkte ihrer Zeit, passt "Captain America: Brave New World" gut in die seine. Im Film ist der Präsident ist ein Wüterich, der Film ist verheddert in den Storylines aus Streamingserien und Kinofilmen, bietet keine Orientierung und ist, wenn man es auf den Punkt bringt, egal. Die Krise, in der das einst so clevere und erfolgreiche MCU steckt, gründet tief. Vielleicht sollten sich die Macher auf den Produzentensesseln weniger von Testscreenings und Algorithmen aus der Streamingauswertung irritieren lassen und statt dessen wieder mit gewandten Geschichtenerzählern ins Risiko gehen. Am vorliegenden Film haben fünf Autoren gearbeitet. Wahrscheinlich hatte jeder eine andere Idee.
Captain America im Kino
- Captain America – The First Avenger (2011)
- Captain America – The Winter Soldier (2014)
- Captain America – Civil War (2016)
- Captain America: Brave New World (2025)
Übersicht: Helden im Comic, Helden auf der Leinwand