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Plakatmotiv: Die schönen Wilden (1975)

Eine fröhlich bunte Aussteigerfantasie mit
hysterischen Männern und nervtötenden Frauen

Titel Die schönen Wilden
(Le Sauvage)
Drehbuch Jean-Paul Rappeneau & Élisabeth Rappeneau & Jean-Loup Dabadie
Regie Jean-Paul Rappeneau, Frankreich, Italien 1975
Darsteller

Yves Montand, Catherine Deneuve, Luigi Vannucchi, Tony Roberts, Bobo Lewis, Dana Wynter, Gabriel Cattand, Vernon Dobtcheff, Luis Gerardo Tovar, Geoffrey Carey, Toni Maestri, Rina Franchetti, Luisa Maris, Aurora Maris, Carlo Plattner u.a.

Genre Abenteue, Komödie
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
16. Januar 1976
Inhalt

Kurz vor ihrer Hochzeit mit Vittorio flieht Nelly vor ihm. Auf der Flucht durch Caracas trifft sie einen Franzosen namens Martin, der ihr netterweise ein Flugticket von Venezuela nach Paris spendiert. Er will nach diesem Treffen sein friedliches Leben auf einer einsamen Insel fortsetzen, er ahnt aber nicht, dass er Nelly nicht zum letzten Mal gesehen hat.

Denn Nelly hat ein wertvolles Gemälde von Toulouse Lautrec in der Tasche, das sie eben ihrem Ex-Boss von der Wand im Büro geklaut hat, was zur Folge hat, dass jetzt ein heißblütiger italienischer Ex-Verlobter und ein um sein mehrere hunderttausend Dollar wertes Gemälde bangender Ex-Chef hinter ihr her sind. Außerdem verhindert dieses Gemälde, dass Nelly an Bord des Flugzeuges gelassen wird, sie also in Caracas immer noch die beiden Männer auf den Fersen hat und es fertig bringt, einen Piloten dazu zu überreden, sie mit seinem Kleinflugzeug auf Martins Insel zu bringen.

Es ist eine traumhafte Insel mit einem schönen Haus. In das in den kommenden Wochen große Unruhe einkehrt …

Was zu sagen wäre

Es kann der sanfteste Mann nicht in Frieden leben, wenn die blonde Frau ihn nicht lässt. Wenn man sich das in diesem Film geschilderte Leben draußen in der Welt ansieht, möchte man nichts lieber, als auch auf so eine kleine Insel mit hübschem Häuschen zu flüchten. Die Welt da draußen ist getrieben von Menschen, die in Vorstandssitzungen Zahlenkolonnen herunterbeten, an deren Ende ein Plus zu stehen hat. Bevölkert ist sie von hysterischen Männern, die auf ihr Recht auf eine Frau oder ein Gemälde pochen und dafür Verkehrsregeln außer Kraft setzen und Menschenleben gefährden.

Nelly ist ein Produkt dieser Welt. Mehr weiß man nicht über sie. Aber sie ist eine auffallend attraktive Frau mit langem, seidigem Haar und augenscheinlich gewöhnt, allein deshalb zu bekommen, was sie will. Auch Martin ist Produkt der hysterischen Zivilisation. Er ist vor ihr geflohen auf diese Insel; unerkannt, glaubt er. Dabei hat seine New Yorker Ehefrau, die an diesem Tisch mit den Zahlenkolonnenmännern sitzt, ihn jederzeit genau im Auge, lässt ihm seine Pseudofreiheit, weil er so kreativer für das Unternehmen ist, dem er entflohen ist. Er kreiert Parfums. Und ahnt nicht, dass seine Kreationen ebenso wie sein Gemüse, dass er auf dem Markt in der Stadt verkauft, immer von seiner Frau aufgekauft werden.

Das ist aber eigentlich gar nicht so wichtig. Diese Geschichte hält keinem Glaubwürdigkeits-Check stand und will das auch gar nicht. Es ist ein Film, den Jean-Paul Rappeneau geschrieben und inszeniert hat (Musketier mit Hieb und Stich – 1971). Eine Aussteigerfantasie, eine Komödie über einen Mann, der sein Paradies gefunden hat, und dieses Paradies ist ein Paradies, weil es keine Eva gibt. Und dann springt Nelly in dieses Leben und das Paradies entweicht. Nelly wird gespielt von Catherine Deneuve (Das Geheimnis der falschen Braut – 1969; Belle de Jour – 1967; Ekel – 1965). Und die geht mir auf die Nerven. Nicht, weil sie schlecht spielt, im Gegenteil. dass sie mir auf die Nerven geht, ist ein Zeichen dafür, dass sie gut spielt in dieser Fantasie, in der auch Nelly eine buchstäblich unglaubliche Figur ist.

Mit aufdringlicher Attitüde zwingt sie Martin, der sie gar nicht kennt, der nur zufällig in ihr Leben gestolpert ist, immer wieder, ihr zu helfen – als lebe Nelly in einer Welt, in der es selbstverständlich ist, dass einer Frau geholfen wird, wenn sie nur blond und schön genug ist. Egal, wie gefährlich diese Hilfe ist, denn da sind ja noch die beiden geifernden Kerle, die Nelly ans Leder, beziehungsweise zurück haben wollen. Catherine Deneuve spielt das Klischee einer blonden Schönheit: keine erkennbare Ausbildung, kein eigenes Leben, immer gepolstert von wohlhabenden Männern. Sie kennt es nicht anders. Ihr schwarzes Spiegelbild ist Jessie, Martins amerikanische Ehefrau, die mit ihrem Mann offenbar eher eine Geschäftsbeziehung gelebt hat. Sie hat schwarzes Haar, streng onduliert, und das Leben im Griff – auch ihren Mann, was der zwar nicht einmal ahnt. Aber im Kinosessel verstehe ich, warum Martin vor ihr und dem wirtschaftlich erfolgreichen Geschäft geflohen ist. Man kann diesen Martin, den Yves Montand wunderbar knautschig und zunehmend verzweifelt spielt ("Der unsichtbare Aufstand" – 1972; Cesar und Rosalie – 1972; Vier im roten Kreis – 1970; Stoßtrupp Gold – 1970; "Grand Prix" – 1966; Brennt Paris? – 1966; Machen wir's in Liebe – 1960; Lohn der Angst – 1953), jedenfalls verstehen, dass er Frauen nicht in seine Nähe lassen möchte.

Aber das Paradies kann nicht ewiglich währen, die Fantasie muss platzen. Und sie platzt, als er dann doch mit Nelly schläft. Danach spürt er Romantisches in sich, während sie sich zurück zieht und die geifernden Männer vom Festland den Rest besorgen. Dass die Geschichte ein versöhnliches Ende nimmt, hat mit der französischen Haltung zu tun. Hollywood könnte diesen Film nicht machen. Dort würde die Geschichte unter ihren Widersprüchen zerbrechen. In Frankreich, dem Klischee-Land der Klischee-Liebe geht das. Da geht der sich lange unabhängig wähnende Mann durch tiefste Krisen, um am Ende seine Traumfrau in den Arm zu schließen. Und wir im Kinosessel freuen uns.

Wertung: 8 von 9 D-Mark
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