Helena wäre nie auf den Gedanken gekommen, Fred auf ihre Party einzuladen. Plötzlich war der blonde Punk im Smoking da.
Genauso plötzlich war er allerdings auch wieder verschwunden. Und mit ihm Papiere, die ihren schwerreichen, aber nicht ganz sauberen Ehemann schwer belasten könnten. Ihr Auto findet man wenig später schrottreif mitten in einem Metroeingang wieder.
Telefonisch fordert er 50 Millionen Francs für die Papiere – oder eine Nacht mit Héléna; die fühlt sich – irgendwie – geschmeichelt. Während er in den Katakomben des weitläufigen Pariser U-Bahn Systems wartet, macht Fred die Bekanntschaft eines Häufchens subversiver, skurriler Typen, die sich in den dunklen Gängen eingenistet haben, und deren Leben vor den nächtlichen Absperrgittern der U-Bahnhöfe endet. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie sich mit Handtaschenraub oder Blumenverkäufen, sehr zum Unmut der für Sicherheit sorgenden Bahnhofspolizisten, einer illustren Truppe überzeichneter Versager, die ihnen stets auf den Fersen ist, aber doch immer einen Moment zu spät kommt.
Bald auch verliert sich Héléna, des ewigen Wartens auf dem Bahnsteig müde, in den dunklen Gängen des Pariser Untergrunds und trifft auf Fred. Mit der Waffe in der Hand versucht sie, die Angelegenheit auf ihre Art zu lösen und Fred zur Herausgabe der Papiere zu zwingen …
Luc Besson, Autor und Regisseur, erzählt eine verschachtelte Geschichte – so einfach, wie sich das da oben liest, ist der Film nicht strukturiert. Das klingt toll: geheimnisvoll. Filmisch innovativ. Das innovativst an diesem Film ist der Film, der keine Story hat.
Luc Besson orientiert sich an seinen großen Vorbildern aus dem neonbeleuchteten US-Großkino. Die schnoddrige Erzählhaltung sowie die gekachelten Großstadt- und Metro-Designs liefern Besson das … pubertär Erwachsene. Harold Faltermeyers Score für Beverly Hills Cop steht Pate für den gleichen Klang hier. Die französische Nouvelle Vague das Echo des europäischen, des französischen Kinos auf die Schwarze Serie ist – jene US-Filme mit Humphrey Bogart, Glen Ford oder Robert Mitchum; und Jean Paul Belmondo ist ihr Held. Jetzt wiederholt sich das Spiel: Der Franzose Besson holt sich das visuell Beste aus der US-Welt und verknüpft das mit einer No-Story-Dramaturgie des französischen Schwarz-Weiß-Kinos – der Vergleich zu A bout de Souffle – Außer Atem ist gewagt und nur an dem ein oder anderen Haar herbeigezogen; aber ähnlich wie bei Godard treibt auch die Story hier ziellos einem Ende mit Revolverkugel entgegen. Die geklauten Papiere sind da nur der MacGuffin, der die Figuren in Bewegung setzt.
Besson hat in verschiedenen Interviews erläutert, dass er sich „ausdrücklich“ für eine Handlung in der Pariser Metro entschieden habe, da dieser Ort für ihn „einen stark surrealen Charakter“ habe. Der Film ist ein Sammelsurium von Impressionen aus der Welt der Métro – mit echten Typen, genervten Kellnern, müden Polizisten und Kreinkriminellen, die da unten leben, als würden sie in den Suburbs leben – nichts wird hier als besonders andersartig dargestellt, alles wirkt auf alltägliche Weise normal. Bis auf Isabelle Adjani.
Adjani ist eine schöne Frau, die Kamera liebt ihre Augen. Adjani kann auf der Leinwand unglaublich intensiv spielen. In ihrer Vita stehen Filmauftritte für die Ewigkeit (Ein mörderischer Sommer – 1983; Das Auge – 1983; Nosferatu: Phantom der Nacht – 1979; Driver – 1978; Der Mieter – 1976; Die Geschichte der Adele H. – 1975; "Die Ohrfeige" – 1974). Es ist aber schade, dass ihr ihre Regisseure häufig stets zu verfallen scheinen und eben nur diese Augen haben wollen. Nahezu ihren ganzen Auftritt absolviert Adjani (auch hier wieder) mit einem leicht verwunderten Gesichtsausdruck – große Augen, halb geöffneter Mund (mit großen Lippen). Wenn Besson sie dann doch mal von der Kette lässt – in den letzten zwanzig Minuten – explodiert dieses Gesicht plötzlich zu einem lebendigen Wesen mit Mimik, Seele und Emotion. Christophe Lambert (Greystoke - Die Legende von Tarzan, Herr der Affen – 1984) als Punk ist charmant, der ziellosen Figur aber hilflos ausgeliefert – was genau will dieser Fred eigentlich? Das Geld scheint es nicht zu sein, die Frau irgendwie schon, aber auf eine Art, die aufgesetzt ist, einen wirklichen Grund, eine Sehnsucht erkenne ich nur, weil er ein Foto von ihr in der Tasche hat.
"Subway" ist das nette Experiment eines jungen Regisseurs, der viel Wert auf die Optik, weniger Wert auf die Story legt – das erstaunt nicht: Besson kommt vom Musikvideo. Für sein Kino zeigt das eine Richtung in Bildgewaltige an, dem die Dramaturgie mit zunehmender Professionalität folgen wird.