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Plakatmotiv: Lola rennt (1998)

Großartiges Handwerk, überraschende
Wendungen, gute Besetzung

Titel Lola rennt
Drehbuch Tom Tykwer
Regie Tom Tykwer, Deutschland 1998
Darsteller

Franke Potente, Moritz Bleibtreu, Herbert Knaup, Nina Petri, Armin Rohde, Joachim Król, Ludger Pistor, Suzanne von Borsody, Sebastian Schipper, Julia Lindig, Lars Rudolph, Andreas Petri, Klaus Müller, Utz Krause, Beate Finckh, Volkhardt Buff, Heino Ferch, Ute Lubosch, Dora Raddy, Monica Bleibtreu, Peter Pauli, Marc Bischoff u.a.

Genre Action
Filmlänge 81 Minuten
Deutschlandstart
20. August 1998
Inhalt

Berlin. Jetzt. Ein Sommertag, an dem 20 Minuten über Liebe, Leben und Tod entscheiden.

Lola und Manni sind Anfang Zwanzig und ein Liebespaar. Manni jobbt als Geldkurier für einen Autoschieber. Aber heute läuft alles schief. In der U-Bahn läuft er Kontrolleuren in die Arme, verliert seine Plastiktüte mit 100.000 Mark. In 20 Minuten will sein Boss das Geld abholen. Verzweifelt ruft Manni Lola an. Was soll er tun? Wenn er das Geld nicht auftreibt, wird er sterben.

Lolas Hirn rast: 20 Minuten, um 100.000 Mark zu besorgen. 20 Minuten, um Mannis Leben zu retten. Sie hat eine Idee. Sie stürzt aus dem Haus. Läuft los. Durch die Straßen Berlins. Lola rennt – um ihr Leben, um Mannis Leben, um ihre Liebe, um irgendwie und irgendwo Geld aufzutreiben …

Was zu sagen wäre

Das ist eine Überraschung: Tom Tykwer kann auch rasant erzählen. Mit seinem Debüt Die tödliche Maria (1993) und mit Winterschläfer (1997) hat er gezeigt, dass er das Filmhandwerk liebt. Er spielt mit Bildern, Montage und Farben. Aber der Inhalt beider Filme tröpfelte dahin. Gesprochen wurde wenig, die Protagonisten hatten wenig Spielraum und wenig zu tun.

Anders in "Lola rennt". Hier ist alles Dynamik. Und verspieltes Handwerk. Ähnlich wie Oliver Stone in Natural Born Killers setzt Tykwer alle Trägermedien ein, nutzt Film, Video, Digitalfotografie, Farb- und Schwarz-Weiß-Bilder sowie Zeichentricksequenzen, um sein Jahrmarktkarussell zu entfesseln.

Die zugrunde liegende Geschichte ist simpel: Lola muss binnen 20 Minuten 100.000 D-Mark auftreiben, andernfalls ist ihr Freund Manni wenige Minuten später ein toter Mann. Also rennt Lola los, um bei ihrem Vater, einem Bankdirektor, die benötigte Summe zu erbetteln.

Die Geschichte über der Geschichte erzählt davon, wie Zufälle unser Leben beeinflussen. Tykwer erzählt die Geschichte, wie Lola die 100.000 D-Mark aufzutreiben versucht, dreimal hintereinander und jedes Mal gibt es kleine Abweichungen, die Auswirkungen auf das Leben anderer haben. Ein Radfahrer, der Lola sein Bike verkaufen will, wird, nachdem sie abgelehnt hat, überfallen, schwer verletzt und Plakatmotiv: Lola rennt (1998) heiratet später seine Krankenpflegerin. Als Lola im zweiten Durchgang dem Radler vorwirft, er habe das Bike ja selbst gestohlen, lebt er bald auf der Straße und stirbt an einem Goldenen Schuss.

Die Kette der leichten Abweichungen potenziert die Veränderungen aller in dem Jagd-auf-100.000-D-Mark-Stück. Auch Lolas Vater, der Bankier mit heimlichem Verhältnis bleibt nicht ungeschoren, eine Mutter mit Kinderwagen gewinnt im Lotto, nachdem sie in der erste Runde zur Kindsräuberin geworden war, und der Obdachlose, der in der S-Bahn Mannis Tüte mit dem vielen Geld gefunden hat, verliert die Tüte und bekommt eine Pistole – Ende hier offen.

"Lola rennt" setzt einen Akzent im deutschen Kino, das droht, sich in Romantischen Komödchen zu verlieren. Schnell geschnitten, mit Comicbildern gemischt vertraut Tykwer auf den mündigen Zuschauer, deutet an, statt länglich zu erklären was bisher geschah. Seine Zeitsprünge zurück an den Anfang sind klar und übersichtlich – elegantes Handwerk, akzentuiert mit seiner Lieblingsfarbe Rot. Schon in Die tödliche Maria und Winterschläfer waren Rot und Grün dominierende Farben. Lola jetzt rennt mit knallroter Frisur und hellgrüner Hose durch die Stadt, ein greller Farbklecks im Stadtbild, der das Comichafte im Charakter unterstreicht.

Alle Figuren bleiben ohne großen Hintergrund, wir erfahren das was nötig ist. Wie Lola, Tochter eines Bankiers, und Manni, Kleinganove, zusammengekommen sind? Egal. Jeden Ballast, ob Schwere Kindheit, kaputte Beziehung oder Jobsituation lässt Tykwer außen vor, konzentriert sich auf die Bewegung des Films, die getrieben wird von einem Technostück, das im Verlauf des Films in vielen Variationen gespielt wird und ihn dauernd unter Feuer hält; bald überträgt sich der Rhythmus auf die Zuschauer im Kinosessel.

Lola wird gespielt von Franka Potente ("Die drei Mädels von der Tankstelle" –1997; Nach Fünf im Urwald –1995), die vor der Kamera einen harten Job zu erledigen hatte. Auch wenn immer wieder geschnitten wird, absolviert Potente jede Menge Läufe, die sie als Lola gerne auf sich nimmt. Denn Lola ist eine Frau zum Pferdestehlen, auf sie ist Verlass. Als Manni in Not gerät, letztlich, weil Lola der Motorroller geklaut worden ist, lamentiert sie nicht lange herum, sondern rennt los, um Hilfe zu bekommen. Der feste Zusammenhalt der beiden – Lola und Manni –, Lolas Verlässlichkeit und Optimismus sind ein starker Anker in diesem MTV-Style-Drama.

Moritz Bleibtreu ist Manni (Knockin' on Heaven's Door – 1997; Stadtgespräch –1995). Manni ist ein kleiner Ganove mit Ambitionen. Warum er das ist, spielt keine Rolle. Die moralisch fragwürdige Position braucht nicht hinterfragt zu werden – säße er als Bürokaufmann hinter einem Schreibtisch, würde die Geschichte ja nicht funktionieren. Manni, der Gauner, ist ein grundsympathischer Kerl, dem man unwillkürlich die Daumen drückt, sogar, als er in seiner Not den Supermarkt gegenüber überfällt. Dass sowas funktioniert, hat 1960 schon Jean Luc Godard in Außer Atem mit Jean-Paul Belmondo gezeigt.

In Klein- und Kleinstrollen treten Leute auf, die in Tykwers früheren Filmen ihre ersten größeren Kinorollen hatten. Heino Ferch (Winterschläfer) ist der Mafioso, der Manni gegebenenfalls ans Leben will und hat nur zwei sehr kurze, stumme Auftritte. Nina Petri (Die tödliche Maria) spielt ein Mitglied des Bankvorstands, die ein Verhältnis mit Lolas Vater hat, Joachim Król (Die tödliche Maria) gibt den bedauernswerten, vom Glück verlassenen Obdachlosen. Tykwer hat sich in der deutschen Filmszene ein Standing geschaffen, das die Leute kommen lässt, wenn er ruft.

<Nachtrag2003>“Lola rennt“ war der erfolgsreichste deutsche Film 1998 und ebnete Franka Potente einen Weg nach Hollywood, wo sie 2001 mit „Blow” debütiert.</Nachtrag2003>

Wertung: 11 von 11 D-Mark
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