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Plakatmotiv: Die tödliche Maria (1993)

Der düstere Debütfilm eines
begeisterten Kinohandwerkers

Titel Die tödliche Maria
Drehbuch Tom Tykwer & Christiane Voss
Regie Tom Tykwer, Deutschland 1993
Darsteller
Nina Petri, Katja Studt, Juliane Heinemann, Josef Bierbichler, Peter Franke, Jean Maesér, Joachim Król, Rolf Peter Kahl, Renate Usko, Georg Winterfeld, Tom Spieß, Andreas Petri, Ortwin Spieler, Peter Hommen, Walfriede Schmitt, Astrid Vonhoff, Heidi Klotz, André von Champorcin, Peter Lichtefeld u.a.
Genre Drama, Thriller
Filmlänge 106 Minuten
Deutschlandstart
3. Februar 1994
Inhalt

Maria wird von ihrem gelähmten Vater tyrannisiert und von ihrem Ehemann unterdrückt. Ihre Ehe wird seit Jahren vom immer der gleichen Tagesablauf und den gleichen Lieblosigkeiten überschattet. Doch Maria hat ein Geheimnis: Als sie noch ein kleines Mädchen war, bekam sie von ihrer Kinderfrau eine afrikanische Holzfigur geschenkt, einen Fetisch. Diese Figur ist Marias Vertraute. Ihr erzählt sie von ihren Sorgen, Sehnsüchten und Ängsten, ihr schreibt sie Briefe, die sie in einem Geheimfach aufbewahrt.

Eines Tages wird Marias grauer Alltag durch ein Ereignis verändert: Sie verliebt sich in den Nachbarn Dieter, einen scheuen, liebenswerten Mann. Aber es ist zu spät für einen neuen Anfang. Durch eine Verkettung seltsamer Umstände sterben Vater und Ehemann. Den Leichnam des Ehemanns versteckt Maria im unteren Teil der Kommode.

Dieter findet ihn und begreift nun erst das ganze Ausmaß der häuslichen Tragödie …

Was zu sagen wäre

Das Spielfilmdebüt eines jungen Regisseurs, der später ein großer Name in der Filmbranche wurde. Hier hat Tom Tykwer für das Kleine Fernsehspiel des ZDF die Geschichte einer Familienhölle im Dachgeschoss inszeniert.

Maria lebt ein Leben nach Takt: 7 Uhr Wecker klingeln, 7.15 Kaffeewasser kocht, 7.25 Ehemann kommt aus dem Bad, zupft sich die Krawatte, schlägt die Zeitung auf, verlangt Kaffee. Jeden Morgen.
Kaum ist er aus dem Haus, gellt eine Stimme aus dem Obergeschoss: „Maria!!“ Marias Vater, seit einem Schlaganfall an Bett und Rollstuhl gefesselt, erwartet Marias Dienste im Bad und beim Frühstück. Marias Mut-ter ist bei ihrer Geburt gestorben.

Gesprochen wird nicht viel in diesem Film. Wir erfahren nicht, was der Mann arbeitet. Die Ehe wurde von ihrem Vater angebahnt. Sie hat nicht widersprochen. Maria lebt ein Leben auf absurd engen Verhältnissen. Die Wohnung ist mit düsteren Rot-, Grün und Gelbtönen ausgeleuchtet.

Heimlich zwackt sie vom Haushaltsgeld etwas für sich ab, damit ihr Mann es nicht beim Spielen verzockt. Ob sie mit dem Geld was vorhat, erfahren wir nicht. Vielleicht abhauen. Sie versteckt das Geld in einer afrikanischen Holzfigur, die sie als Kind von ihrer Kinderfrau geschenkt bekam und mit der sie – kann man jedem Bild in diesem Film trauen? – eine physische Verbindung hat. Plakatmotiv: Die tödliche Maria (1993) Als der Fetisch in einer Szene ins Aquarium fällt, bricht Maria auf der Straße zusammen und droht zu ertrinken. Als sie viel zu spät nach Hause kommt, hat niemand etwas mitbekommen; und das, obwohl beide Männer in Marias Leben ansonsten deren ständige Abrufbarkeit verlangen.

Tykwer hat den Film 1993 gedreht. Ich sehe ihn 2002 zum ersten Mal, nachdem Tykwer mit Lola rennt (1998) Schlagzeilen gemacht und mit "Der Krieger und die Kaiserin" (2000) und Heaven (2002) international auf sich aufmerksam gemacht hat. Sein Spielfilmdebüt ist weniger Anklage gegen patriarchale Strukturen. Er nutzt solche lediglich für einen handwerklich beeindruckenden Horrorfilm, in dem keine Gespenster oder Untote auftauchen und auch keine Katze hinterm Ofen hervorspringt.

Tykwer arbeitet mit räumlicher Enge, einem ungewöhnlichen Score, den er selbst entwickelt hat, und wenig Dialog. Maria lernt ihren Nachbarn Dieter kennen, aber einen geraden Satz bekommen weder sie noch er hin: „Ich dachte …“ „Ich wollte nicht …“ „Nein, nein …“ Da spürt man noch sehr den Einfluss der Filmhochschulbildung, bei der Erzählen in Bildern gelehrt wird, nicht in Worten. Und in Bildern erzählt der Film viel. Immer wieder bietet Tykwer Großaufnahmen vermeintlich nebensächlicher Details und wie er auf diese Weise den durchgetakteten Alltag Marias erzählt, ohne auf larmoyante Dialoge zu setzen, das ist schon ein kleines Kunstwerk.

Froh können wir über den Fetisch sein, dem Maria jeden Tag einen Brief schreibt. Auf diese Weise erfahren wir wenigstens etwas über Maria selbst, über ihre Kindheit und ihr Leben im Umfeld des herrischen Vaters. Da fragt man sich dann, warum diese gedemütigte Frau nicht irgendwann abgehauen ist, sich nicht wenigstens zur Wehr gesetzt hat.

Es handelts sich bei Maria schwerlich um das realistische Porträt einer Frau Anfang 40. Maria dient dem jungen Regisseur als eine Art MacGuffin, mit der er seine geheimnisvolle Geschichte erzählen kann, die auch in einem düsteren Schloss in den Karpaten spielen könnte. Er schafft beeindruckende Bilder, entwirft mit zahlreichen Überblendungen eine Welt zwischen Realität und Traum, in der man nicht immer seinen Augen trauen sollte.

Tykwer ist begeistert vom Handwerk des Filmemachens, weniger vom Geschichten erzählen.

Wertung: 3 von 10 D-Mark
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