Buchcover: Stieg Larsson - Verblendung
ein Bestseller, so nasskalt
wie der schwedische Winter
Titel Verblendung
(Män som hatar kvinnor)
Autor Stieg Larsson, Schweden 2005
aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn
Verlag Heyne
Ausgabe Taschenbuch, 688 Seiten
Genre Krimi
Inhalt
Der Journalist Mikael Blomkvist ist nach einem Bericht, in dem er den schwedischen Wirtschaftsmogul Wennerström schwerer Wirtschaftsvergehen beschuldigte, von diesem wegen Verleumdung und angeblich falscher Recherche angezeigt und schließlich vom Gericht verurteilt worden. Nach der Verkündung dieses Urteils möchte Blomkvist der medialen Aufmerksamkeit in Stockholm entgehen und nimmt vom inzwischen im Ruhestand befindlichen Großindustriellen Henrik Vanger den Auftrag an, eine Chronik über die Familiengeschichte der Familie Vanger zu schreiben.

In Wirklichkeit will Vanger Blomkvists Aufmerksamkeit auf die Enkelin seines Bruders, Harriet Vanger, lenken, die im Sommer 1966 auf bisher nicht geklärte Weise verschwunden ist. Insgeheim hegt Vanger die Hoffnung, Blomkvist möge die Hintergründe des Verschwindens des Mädchens aufdecken. Blomkvist lernt die hochintelligente, aber für unzurechnungsfähig erklärte Hackerin Lisbeth Salander kennen, die gelegentlich als Ermittlerin für eine private Sicherheitsfirma arbeitet.

Gemeinsam gelingt es Blomkvist und Salander Harriet Vanger aufzuspüren …

Was zu sagen wäre
Verblendung

„Verblendung” ist der erste Band einer dreibändigen Reihe von Kriminalromanen des schwedischen Autors Stieg Larsson, die zwischen 2005 und 2007 postum unter dem Titel „Millennium-Trilogie” veröffentlicht worden sind. Der Thriller erschien 2005 auf schwedisch unter dem Titel „Män som hatar kvinnor” (dt. „Männer, die Frauen hassen”) und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Weltweit wurden über 31 Millionen Exemplare der Trilogie verkauft. Zweite Hälfte der Nuller-Jahre stieß man überall – im Feuilleton, am Kiosk, in Magazinen, in Kneipengesprächen – auf die Trilogie und ihre Geschichte und auf die spezielle Heldin und auf den tragischen Tod des Autors Stieg Larsson. Politisch brisant, hieß es, seien die Romane, unglaublich brutal, dabei mitreißend und klassische Page-turner. Alle drei Teile wurden in Schweden verfilmt, der vorliegende Roman, „Verblendung” in Hollywood im Jahr 2010 ein zweites Mal – mit Daniel Craig (James Bond) als Blomkvist unter der Regie von David Fincher.

Es fängt lebendig an, zieht dann eine etwas zähe Spur, als ausführlich die Familiengeschichte der Industriellen-Dynastie Vanger erläutert wird (und ich Angst habe, dass ich all die Namen, Fakten und Verwandschaftsgrade womöglich dauernd im Kopf parat haben muss – was ich nicht muss) und gibt dann richtig Gas. Anders als erwartet dominieren nicht brutale Szenen das Tableau, wie das bei vielen Skandinavien-Krimis aus dieser Zeit der Fall ist. Hier ziehen die Charaktere, allen voran die punkige, rotzige Lisbeth Salander, die als sozialer Krüppel mit Autismus-Syndrom auftritt: Piercings, ungewaschen, abgewetzte Lederjacke, sexuell promisk, fotografisches Gedächtnis, geniale Rechercheurin, Auge für die Funktionalität jeder Systeme. Auch Mikael Blomkvist hebt sich angenehm ab von den immer wieder auftretenden einsamen Wölfen, die durch vergleichbare Krimis huschen.

Aber das heißt nicht, dass „Männer, die Frauen hassen“ ein Kindergeburtstag ist. Stieg Larsson schreibt keine brutalen Szenen. Stieg Larsson beschreibt eine brutale Welt. Das gesamte Setting seines Romans ist so nasskalt wie ein schwedischer Winterabend im Norden. Seine Hauptfiguren haben Dinge erlebt, sind in einer Umgebung aufgewachsen, die man sich lieber nicht in allen Einzelheiten ausmalen mag. Darin liegt Larssons Fertigkeit: Gerade so viel zu sagen, um sich alles haarklein ausmalen zu können … es aber eigentlich nicht zu wollen.

Die Beschreibung der Welt in „Verblendung“ ist nicht zynisch. Sie ist geprägt durch Hoffnungslosigkeit – die Welt als harter Ort, bevölkert von schwachen Menschen, fehlbaren Menschen, fleischlichen Menschen, grausamen Menschen. Sein Kosmos ist bevölkert von Menschen, wie wir sie jeden Tag um uns haben. Der Starke überlebt. Das hat einige Seiten lang das enervierende Moment des „schon wieder ein grausames Sexualdelik in ferner Vergangenheit“. Das grausame-Sexualdelikt-in-ferner-Vergangenheit hat Konjunktur – die Erzählungen, literarisch wie filmisch, der Nullerjahre des 21. Jahrhunderts sind bevölkert von Männern und Frauen, die als Kind vom Vater-Onkel-Kaplan-Kindergärtnerin-Putzfrau missbraucht wurden und deshalb heute andere missbrauchen, morden, sich selbst töten oder sonstwie gestört sind. Aber Larsson hält sich hier nur diesen einen Moment auf und erweitert den Kosmos seiner Erzählung dann explosionsartig, als der eigentliche Fall – der Fall „Harriet“ – schon 170 Seiten vor Schluss weitgehend geklärt ist.

Die Story entwickelt sich stringent und zwar vor allem über alte Fotos, die Blomkvist nach und nach ans Licht holt. Szenen, in denen er über diese Fotos den Tag recherchiert, als Harriet verschwand, sind geniales Kino im Kopf, die in der Verfilmung von 2009 bedauerlicherweise einer 08/15-Inszenierung zum Opfer fallen. David Fincher hat es 2011 besser gemacht, als er Stieg Larssons ersten Teil der Millennium-Trilogie verfilmte – mit den Mitteln einer Multi-Millionen-Dollar schweren Hollywoodproduktion.

Ich habe „Verblendung“ gelsen von Sonntag, 16. Januar bis Samstag, 29. Januar 2011.