Ein ehrgeiziger junger Journalist bietet Mikael Blomkvist für sein Magazin „Millennium“ eine Story an, die skandalöser nicht sein könnte. Amts- und Würdenträger der schwedischen Gesellschaft vergehen sich an jungen russischen Frauen, die gewaltsam ins Land geschafft und zur Prostitution gezwungen werden.
Als sich Lisbeth Salander in die Recherchen einschaltet, stößt sie auf ein besonders pikantes Detail: Nils Bjurman, ihr ehemaliger Betreuer, scheint in den Mädchenhandel involviert zu sein. Wenig später werden der Journalist und Nils Bjurman tot aufgefunden. Die Tatwaffe trägt Lisbeths Fingerabdrücke. Sie wird an den Pranger gestellt und flüchtet.
Nur Mikael Blomkvist glaubt an ihre Unschuld und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Seine Nachforschungen führen in Lisbeths Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die ihn bald das Fürchten lehrt …
aus dem Klappentext
Auch hier wieder: Stieg Larsson lässt sich Zeit, bis er den Faden seiner Geschichte wieder aufnimmt. Zuerst einmal lässt er Lisbeth Salander ausführlich Urlaub in der Karibik machen. Wir erfahren verdutzt, dass die sozial ungelenke, mürrisch-schweigsame Punk-Göre sich ihre Brüste vergrößern lässt und lernen bei einem Tornado eindrücklich die Empathie der Figur sowie ihr Gut-Böse-Denken kennen. Das ist wichtig, um in den folgenden 600 Seiten immer und ohne Zweifel an die Unschuld der Frau glauben zu können. Wir, die Leser, wissen ja, wie sie tickt. Ich kann mich gut mit ihr identifizieren. Mürrisch? Wortkarg? „Die Welt gegen mich“? Kenne ich! Larsson hat ein weit verbreitetes menschliches Gefühl in eine überraschend vielseitige Romanfigur gegossen.
Ein künstlerisch wertvoller Literat wird Larsson dabei nicht. Man merkt ihm seine journalistischen Wurzeln an. Seine nach Tagebuchart in Von-Bis-Termin-Kapitel gegliederten Bücher sind angehäuft mit „Und dann“ Erzählungen. Da geht die Heldin zunächst in die Bar und trinkt einen Frapuccino und liest zwei Stunden Zeitung und dann geht sie eine Stunde spazieren und dann geht sie ins 7-Eleven und kauft eine Wochenration Pan-Pizza sowie Fertiggerichte und dann bringt sie ihre Einkäufe nach Hause und setzt sie sich an ihr Power-Book und recherchiert sieben Stunden auf fremden Festplatten. Und während ich mich frage, ob Larsson für all die aufdringlich auftauchenden Produktnamen wohl bezahlt wird, sind 100 Seiten rum und die Spannung nach wie vor hoch.
Larsson hat seinen Figurenkosmos erweitert, lässt weniger Zeit verstreichen, um die Personen einzuführen, stürzt sich statt dessen auf die dunkle Seite der (schwedischen) Gesellschaft. Kaum eine liebevolle Sexszene, von denen es im ersten Band noch wimmelte. Statt dessen erleben wir erzwungenen Sex mit Minderjährigen, ausgeübt von Leuten, die alt, erfolgreich, sadistisch und feige sind. Das sind Momente, in denen ich mich frage, ob eigentlich wirklich solche Menschen existieren; bis ich beim Zeitunglesen auf die Panorama-Seite vorstoße, auf denen es von Erwachsenen wimmelt, die Kindern Übles antun. Dass nun jeder Krimi – ob Fernsehen, Kino oder Buch – immer Kinderschänder als Täter aufweist oder Schändung als Motiv für spätere Morde und die Schändungen und Morde meistens von Vertretern aus der gehobenen Gesellschaft kommen, finde ich ähnlich befremdlich, wie einst den Umstand, dass der Mörder „immer der Gärtner“ sei.
Es sind in erster Linie die Figuren, die mich fesseln. Die gesellschaftspolitischen Verwerfungen verfolgen mich seit meiner eigenen Kindheit – schon Raymond Chandler und Dashiell Hammett haben ja gerne die White-Collar-Respektsfiguren enttarnt. Ich habe in der Nacht, als ich „Verdammnis“ durch hatte, noch mit Band 3 begonnen.
„Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ heißt der Originaltitel von „Verdammnis“ übersetzt.
Ich habe „Verdammnis“ gelesen von Samstag, den 29. Januar bis Sonntag, 6. Februar 2011.
Die Millennium-Trilogie
- 2005: Verblendung
- 2006: Verdammnis
- 2007: Vergebung
Der Autor:
Stieg Larssons Eltern waren beide neunzehn Jahre alt, als er geboren wurde. Er wuchs bei seinen Großeltern in einem kleinen Dorf in der Provinz Västerbotten in Nordschweden auf, das später in seinem ersten Kriminalroman aus der Millennium-Trilogie vorkommt. Erst mit acht Jahren kam Larsson zurück zu seinen Eltern.
Nach Aussage seines Freundes und Biographen Kurdo Baksi sah Larsson im Alter von 14 Jahren zu, wie seine Freunde ein Mädchen vergewaltigten, schritt jedoch nicht dagegen ein. Fortan widmete er, von diesem Schuldgefühl belastet, sein Leben dem Kampf gegen gesellschaftliche Missstände. Auch kann dieses Erlebnis als Motiv für seine Romane gesehen werden.
Nach dem Besuch des Gymnasiums und mehreren Jahren in wechselnden Jobs (u. a. bei der schwedischen Post) wurde Stieg Larsson 1979 bei der schwedischen Nachrichtenagentur TT (Tidningarnas Telegrambyrå) angestellt. Er arbeitete dort die nächsten 19 Jahre hauptsächlich in der graphischen Abteilung, verfasste aber auch Essays, kleinere Artikel und Buchkritiken. Seit 1982 war er als Skandinavienkorrespondent für die britische antifaschistische Zeitung Searchlight Magazine tätig. 1991 veröffentlichte er zusammen mit Anna-Lena Lodenius das Buch „Extremhögern“, das sich mit dem schwedischen Rechtsradikalismus befasst. Im Jahre 1995, als sieben Menschen von Rechtsextremisten ermordet wurden, gründete er die Expo-Stiftung, zu der auch das gleichnamige Magazin gehört. Seitdem war er Herausgeber des antifaschistischen Magazins Expo.
Larsson galt als einer der weltweit führenden Experten für anti-demokratische, rechtsextreme und neonazistische Bewegungen. Auch war er freiberuflich als Kriminalschriftsteller tätig. Kurz vor seinem Tod hat er drei Kriminalromane um den Journalisten Mikael Blomkvist und die skurrile Hackerin Lisbeth Salander fertiggestellt. Für seinen Autorennamen änderte Larsson seinen Vornamen von Stig in Stieg, um Verwechslungen mit dem Drehbuchautor und Regisseur Stig Larsson zu vermeiden.
Stieg Larsson starb 2004 an den Folgen eines Herzinfarktes.