Buchcover: Stieg Larsson - Verdammnis
Starke Charaktere in bekannt
dunkler Gesellschaft
Titel Verdammnis
(Flickan som lekte med Elden)
Autor Stieg Larsson, Schweden 2006
aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn
Verlag Heyne
Ausgabe Taschenbuch, 751 Seiten
Genre Krimi
Inhalt

Ein ehrgeiziger junger Journalist bietet Mikael Blomkvist für sein Magazin „Millennium“ eine Story an, die skandalöser nicht sein könnte. Amts- und Würdenträger der schwedischen Gesellschaft vergehen sich an jungen russischen Frauen, die gewaltsam ins Land geschafft und zur Prostitution gezwungen werden.

Als sich Lisbeth Salander in die Recherchen einschaltet, stößt sie auf ein besonders pikantes Detail: Nils Bjurman, ihr ehemaliger Betreuer, scheint in den Mädchenhandel involviert zu sein. Wenig später werden der Journalist und Nils Bjurman tot aufgefunden. Die Tatwaffe trägt Lisbeths Fingerabdrücke. Sie wird an den Pranger gestellt und flüchtet.

Nur Mikael Blomkvist glaubt an ihre Unschuld und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Seine Nachforschungen führen in Lisbeths Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die ihn bald das Fürchten lehrt …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Verdammnis

Auch hier wieder: Stieg Larsson lässt sich Zeit, bis er den Faden seiner Geschichte wieder aufnimmt. Zuerst einmal lässt er Lisbeth Salander ausführlich Urlaub in der Karibik machen. Wir erfahren verdutzt, dass die sozial ungelenke, mürrisch-schweigsame Punk-Göre sich ihre Brüste vergrößern lässt und lernen bei einem Tornado eindrücklich die Empathie der Figur sowie ihr Gut-Böse-Denken kennen. Das ist wichtig, um in den folgenden 600 Seiten immer und ohne Zweifel an die Unschuld der Frau glauben zu können. Wir, die Leser, wissen ja, wie sie tickt. Ich kann mich gut mit ihr identifizieren. Mürrisch? Wortkarg? „Die Welt gegen mich“? Kenne ich! Larsson hat ein weit verbreitetes menschliches Gefühl in eine überraschend vielseitige Romanfigur gegossen.

Ein künstlerisch wertvoller Literat wird Larsson dabei nicht. Man merkt ihm seine journalistischen Wurzeln an. Seine nach Tagebuchart in Von-Bis-Termin-Kapitel gegliederten Bücher sind angehäuft mit „Und dann“ Erzählungen. Da geht die Heldin zunächst in die Bar und trinkt einen Frapuccino und liest zwei Stunden Zeitung und dann geht sie eine Stunde spazieren und dann geht sie ins 7-Eleven und kauft eine Wochenration Pan-Pizza sowie Fertiggerichte und dann bringt sie ihre Einkäufe nach Hause und setzt sie sich an ihr Power-Book und recherchiert sieben Stunden auf fremden Festplatten. Und während ich mich frage, ob Larsson für all die aufdringlich auftauchenden Produktnamen wohl bezahlt wird, sind 100 Seiten rum und die Spannung nach wie vor hoch.

Larsson hat seinen Figurenkosmos erweitert, lässt weniger Zeit verstreichen, um die Personen einzuführen, stürzt sich statt dessen auf die dunkle Seite der (schwedischen) Gesellschaft. Kaum eine liebevolle Sexszene, von denen es im ersten Band noch wimmelte. Statt dessen erleben wir erzwungenen Sex mit Minderjährigen, ausgeübt von Leuten, die alt, erfolgreich, sadistisch und feige sind. Das sind Momente, in denen ich mich frage, ob eigentlich wirklich solche Menschen existieren; bis ich beim Zeitunglesen auf die Panorama-Seite vorstoße, auf denen es von Erwachsenen wimmelt, die Kindern Übles antun. Dass nun jeder Krimi – ob Fernsehen, Kino oder Buch – immer Kinderschänder als Täter aufweist oder Schändung als Motiv für spätere Morde und die Schändungen und Morde meistens von Vertretern aus der gehobenen Gesellschaft kommen, finde ich ähnlich befremdlich, wie einst den Umstand, dass der Mörder „immer der Gärtner“ sei.

Es sind in erster Linie die Figuren, die mich fesseln. Die gesellschaftspolitischen Verwerfungen verfolgen mich seit meiner eigenen Kindheit – schon Raymond Chandler und Dashiell Hammett haben ja gerne die White-Collar-Respektsfiguren enttarnt. Ich habe in der Nacht, als ich „Verdammnis“ durch hatte, noch mit Band 3 begonnen.

„Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ heißt der Originaltitel von „Verdammnis“ übersetzt.

Ich habe „Verdammnis“ gelesen von Samstag, den 29. Januar bis Sonntag, 6. Februar 2011.