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Plakatmotiv: Wunderschön (2022)

Eine dysfunktionale Gesellschaft
findet über viele Umwege zu sich

Titel Wunderschön
Drehbuch Monika Fäßler & Karoline Herfurth & Lena Stahl
Regie Karoline Herfurth, Deutschland 2022
Darsteller

Nora Tschirner, Martina Gedeck, Emilia Schüle, Karoline Herfurth, Dilara Aylin Ziem, Joachim Król, Friedrich Mücke, Maximilian Brückner, Ben Litwinschuh, Luna Arwen Krüger, Melika Foroutan, Andrea Eckert, Milo Eisenblätter, Anima Schwinn, Victor Kadam, Wanda Reinhardt, Noah Kraus, Amira Demirkiran, Louis Boyer, Thelma Buabeng, René Geisler, Diego Wallraff, Paul Walther, Marlene Burow, Fabian Joest Passamonte, Zoe Saibou, Marla Marie Rose, Rudi Hill, Christian David Gebert, Sylvia Schulze, Gaia Pisauro, Carolin Karnuth, Coco Carjell, Sarah Bauerett, Elzemarieke De Vos, Elisabeth Jahn, Mona Pirzad, Zoe Fordjuor, Maria Burghardt, Gisela Aderhold, Eve Borchardt, Benjamin Sadler u.a.

Genre Komödie, Drama, Romantik
Filmlänge 132 Minuten
Deutschlandstart
3. Februar 2022
Inhalt

Egal, ob Jung oder Alt, mann oder Frau – einem Idealbild eifert beinahe jeder nach. Mütter, Töchter, Männer, Alt und Jung stecken im permanenten Optimierungswahn:

  • Da ist Frauke, die sich „kurz vor der 60“ nicht mehr begehrenswert findet, während ihr pensionierter Mann Wolfi ohne Arbeit nicht weiß, wohin mit sich.
  • Ihre Tochter Julie will als Model endlich den Durchbruch schaffen und versucht verbissen, ihren Körper in das Schönheitsideal der Branche zu pressen.
  • Das verfolgt wiederum Schülerin Leyla, die überzeugt ist, mit Julies Aussehen ein besseres Leben führen zu können, und selbst keinen Bezug zu sich findet.
  • Auch Julies Schwägerin Sonja hat mit ihrem Körper zu kämpfen, der nach zwei Schwangerschaften zum Ausdruck einer Lebenskrise wird. Ihr Mann Milan hat dabei nicht im Blick, welchen Druck sie sich als junge Mutter auferlegt.
  • Das ist wiederum für Sonjas beste Freundin Vicky keine große Überraschung, ist sie doch überzeugt davon, dass Frauen und Männer nicht und niemals gleichberechtigt auf Augenhöhe zusammenfinden werden, zumindest nicht in der Liebe. Ihr neuer Kollege Franz würde sie allerdings gern vom Gegenteil überzeugen …
Was zu sagen wäre

Ja, die Welt ist keine schöne. Zumindest nicht die Menschen, die in ihr leben. Sie langweilen einander, finden einander nicht schlank genug, fühlen sich auf die Abstellbank des Lebens versetzt. Und als wäre das nicht schon alles schlimm genug, gibt es auch noch die Menschen, die für all das verantwortlich gemacht werden, also für das gelangweilt sein, das Abgeschoben fühlen und das zu dick finden.

Die Gesellschaft, die Karoline Herfurth in ihrem dritten Kinofilm ("Sweethearts" – 2019; SMS für Dich – 2016) vor uns ausrollt, ist wahrlich die Hölle. Niemand ist glücklich; bis auf den einen Ehemann, der gerade befördert worden ist. Dessen Ehefrau allerdings, die mit dem zweiten Kind daheim sitzt, sieht ihr eigenes Leben nun davonschwimmen. Sie ist da halt so reingerutscht. Wie so viele Frauen, die mit einem netten, aufgeschlossenen Partner da halt so rein rutschen. Plötzlich verdient er gut, kann die Familie ausreichend ernähren und damit jede Diskussion über Ich-will-die-Kinder-nicht-allein-versorgen-und-auch-wieder-arbeiten im Kein ersticken. Es sei denn, Friedrich Mücke spielt den Ehemann und Herfurth selbst die verzweifelte Ehefrau. Dann schauen wir dem Drama erstmal gerne zu, weil beide das ohne Übertreibung und Pathos als ganz normalen Alltag spielen. Es ist nicht neu, was da passiert; so oder ähnlich haben uns das zahllose Alice-Schwarzer-Anklagen und woke Feuilletontexte schon nahe gebracht – auch der ein oder andere Kinofilm von Doris Dörre schon Mitte der 1980er Jahre – aber es ist nachvollziehbar, was da passiert. Es geht zu Herzen, wenn schleichend die Innere Schönheit hinter eingebildet äußerlicher Unvollkommenheit verschwindet.

Oder Frauke, die Mutter des eben Beförderten (Friedrich Mücke, siehe oben), die geglaubt hat, dass, wenn ihr Mann Wolfi jetzt in Pension ist, das Leben nochmal richtig losgeht. Der aber spaziert jeden Tag zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz, fühlt sich maximal nicht gebraucht und hat keine Erwartungen an den Rest des Lebens. Wolfi ist in der Gewohnheit erstarrt: 40 Jahre morgens Küsschen auf die Wange, dann ins Büro, Abends Abendbrot und noch einen Film im Fernsehen. Es ist ihm lästig, sich jetzt einen neuen Lebensinhalt zu suchen und so, wie Joachim Król (Der Junge muss an die frische Luft – 2018; Der Krieger und die Kaiserin – 2000; ¿Bin ich schön? – 1998; Lola rennt – 1998; Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief – 1997; "Das Superweib" – 1996; "Keiner liebt mich" – 1994; Der bewegte Mann – 1994; "Wir können auch anders…" – 1993) Wolfi spielt, hatte der auch früher schon keine Lust, sich einen Lebensinhalt zu gestalten; für ihn scheint immer schon klar gewesen zu sein Küsschen, Büro, Abendbrot, Spielfilm. Währenddessen steht seine Frau, Frauke, vor dem Spiegel und unterzieht sich kritischen Blicken, probiert Lippenstift, Lidschatten und wischt alles wieder ab. Aber vielleicht die Wand im Wohnzimmer? Die könnte man doch mal rausreißen. Martina Gedeck (Nachtzug nach Lissabon – 2013; Das Leben der Anderen – 2006; Bella Martha – 2001; Grüne Wüste – 2001; Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief – 1997; Stadtgespräch – 1995; Der bewegte Mann – 1994; "Tiger, Löwe, Panther" – 1989) macht aus dieser leicht am Klischee nagenden Figur eine dreidimensionale, sich vorsichtig ins Leben tastende Frau, für die noch lange nicht Schluss ist.

Es gibt da auch noch die dürre Julie, Tochter von Frauke und Wolfi, die von einer Karriere als Model träumt und dabei ein erbärmliches Leben zwischen Lauchgemüse und Erbrechen führt, weil sie mit 25 niemand mehr vor der Kamera haben will. Emilia Schüle spielt hier gegen ihr Image der süßen Prinzessin an, das ihr die Regisseure gerne aufbürden. Den Meckie, den sie sich im Film rasiert, hat sie eine Zeitlang auch auf den Roten Teppichen dieser Republik zur Schau gestellt. Bei ihr liegt die verpönte Reporterfrage nahe: "Wieviel Emilia steckt in der Rolle der Julie?“ Ihr Charakter ist vorgezeichnet, die Augenringe, die sie ab der ersten Szene hat, verbieten ein Leben auf den Hochglanzcovern in aller Welt und also wird sie zusammenbrechen und von einem kleinen blonden Mädchen, das in der blauen Mülltonne im Hof ihrer toten Mutter nachspürt, und sonst keine Familienverhältnisse zu haben scheint – ein Engel? – gerettet werden. Julie hat dann auch die Erkenntnis, von der dieser Episodenfilm erzählt: „Wenn es uns einfach egaler wäre, wie wir aussehen. Was würden wir mit all der frei gewordenen Energie und all der Lebenszeit anfangen? Wahrscheinlich würden wir nicht unsere Träume verändern. Sondern die Welt.

Soweit, so ein bisschen kitschig.

Zusammengehalten wird der Film von seinem Buffo, der Clownsfigur, die noch die dramatischste Oper aufgelockert hat. Hier heißt er Vicky und wird von Nora Tschirner sehr noratschirnerartig gespielt. Als Lehrerin versucht sie ihrer Klasse gerade beizubringen, dass der Mensch nicht nur aus Aussehen besteht, während sie sich gleichzeitig den Avancen des neuen Sportlehrers erwehrt, den sie aber eigentlich ganz sexy, ja sogar süß findet und, weil der nichts von einem One-Night-Stand hält, also verabredet „Zweimal Sex, einmal Abendessen“. Diese beiden sind am dicksten in lustige Klischees verpackt, sind aber auch eher dazu da, die einzelnen Dramen zu kommentieren; er als modisch emotionaler Liebhaber, der auf Gleichberechtigung auch des Mannes pocht, sie als Lehrerin in der Schule, in der ein dickes Mädchen von allen gemobbt wird und dann, aufgrund der Sachen, die Lehrerin Vicky so sagt, im Baseball Erfüllung und die Liebe eines stattlichen Sportlers findet.

Ja, die Menschen sind schlecht und am besten hat man mit all dem nichts zu tun und zieht sich von ihnen zurück. Karoline Herfurth hat mit "Wunderschön" eine luftig leichte Zustandsbeschreibung der gestressten Gesellschaft, in der wir leben, gemacht. Sie kommt ohne Aha-Erlebnis oder Neuigkeiten aus und findet in der Form des Episodenfilms, der es erlaubt, statt eines großen, schwer zu formulierenden dramaturgischen Bogens, viele witzige Szenen aneinanderzureihen, die einfachste Form, den Finger auf die Wunde zu legen; uns wieder aufmerksam zu machen auf den Menschen neben uns.

Wertung: 5 von 8 €uro
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