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Plakatmotiv: Das Leben der Anderen (2006)

Ein intensives Drama um
Menschen und Mächtige

Titel Das Leben der Anderen
Drehbuch Florian Henckel von Donnersmarck
Regie Florian Henckel von Donnersmarck, D., Fr. 2006
Darsteller

Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Volkmar Kleinert, Matthias Brenner, Charly Hübner, Herbert Knaup, Bastian Trost, Marie Gruber, Volker Michalowski, Werner Daehn, Martin Brambach u.a.

Genre Drama
Filmlänge 137 Minuten
Deutschlandstart
23. März 2006
Inhalt

Ost-Berlin, November 1984. Der Stasi-Hauptmann Wiesler erhält den Auftrag, den erfolgreichen Schriftsteller Georg Dreymann und dessen Lebensgefährtin, die bekannte Theaterschauspielerin Christa-Maria Sieland auszuspionieren. Wiesler soll herausfinden, ob der Dramatiker wirklich so politisch loyal ist, wie er vorgibt. 

Was als kühl kalkulierter, karrierefördernder Spitzeldienst geplant war, stürzt Wiesler zusehends in einen schweren moralischen Konflikt: Durch die Beschäftigung mit dem Leben dieser "anderen" Menschen, mit Kunst und Literatur, lernt er Werte wie freies Reden und Denken kennen, die ihm bislang fremd waren. Zumal er herausfindet, dass es bei der Aktion eigentlich gar nicht so sehr um die Loyalität Dreymans zum Staat, sondern um seine schöne Freundin Christa-Maria geht, an der auch andere Männer Interesse haben.

Trotz seiner Selbstzweifel sind die Mechanismen des Systems nicht mehr zu stoppen: Wieslers Existenz wird dabei ebenso zerstört wie die Beziehung zwischen Dreymann und Sieland. Als im Jahr 1989 die Mauer fällt, beginnt ein anderes Leben …

Was zu sagen wäre

Der Minister für Kultur, sich seiner absoluten Macht bewusst, grinst breit und sagt dem gefeierten Autor „Sie können das noch so oft in Ihren Stücken behaupten, Dreyman. Ich weiß es besser: Menschen ändern sich nicht.“ Dabei tätschelt er den Hintern von Dreymans Freundin. Thomas Thieme spielt den Minister mit seiner wuchtigen Körperlichkeit. Mit diesem Mann, der im ZK der SED sitzt, also im obersten Entscheidungsgremium der DDR, ist nicht gut Kirschen essen. Keine Szene, in der er nicht bedrohlich wirkt. Er will den gefeierten Autor los werden, weil er dessen Freundin, die schöne Schauspielerin Christa-Maria, endlich besteigen will, wann es ihm passt und nicht nur dann, wenn sie ihren Freund nicht als Ausrede vorschieben kann.

Die hohen Kader der DDR zeichnen sich in diesem Film durch unverblümtes Machtbewusstsein und höfisches Karrierestreben aus. Nie sagt mal einer was über die hehren Ziele des Sozialismus oder das degenerierte Leben im Kapitalismus, aber Sätze wie „Sie werden es bis ganz nach oben schaffen“ oder „Für unser beider Karriere soll das kein Schaden sein“ hingegen fallen andauernd. Florian Henckel von Donnersmarck zeigt uns die Männer eines Unterdrückungsstaates – Frauen sitzen maximal im Vorzimmer oder geistern als „Margot Honnecker“ durch Dialogsätze – als Männer, die doch nur Befehle befolgen oder glatte Typend schlüpfrig wie ein Aal, die sich in diesem System häuslich eingerichtet haben und ihre Macht genüsslich mit ironisch gelupfter Augenbraue zelebrieren; als solcher tut sich Ulrich Tukur als Oberstleutnant Anton Grubitz hervor (Solaris – 2002), der in der Kantine rangniedrige MfS-Mitarbeiter ermuntert, doch einen Honnecker-Witz zu erzählen, und sie im nächsten Moment mit strahlendem Lächeln dafür in den Keller strafversetzt. Grubitz ist der Vorgesetzte des linientreuen Hauptmanns Gerd Wiesler.

Wiesler ist die zentrale Figur dieses Films, denn ihm obliegt es, die These des Kulturministers zu widerlegen. Es ist, als hätte Ulrich Mühe lange auf diese eine Rolle gewartet (Straight Shooter – 1999; Funny Games – 1997; Peanuts – Die Bank zahlt alles – 1996; "Rennschwein Rudi Rüssel" – 1995; "Schtonk" – 1992).

Wir lernen Hauptmann Wiesler als kalten Systemmenschen kennen, der in einem 40 Stunden dauernden Verhör einen Mann dazu bringt, Komplizen einer Republikflucht zu offenbaren. In Schnitt/Gegenschitt ist dieses Verhör Bestandteil einer Vorlesung, die Wiesler im Ministerium für Staatssicherheit hält. Plakatmotiv: Das Leben der Anderen (2006) Er referiert kühl, spricht von Feinden des Sozialismus, die es zu besiegen gilt und notiert penibel jeden Studenten, der kritisch anmutende Frage stellt. Im Verhör präsentiert er sich als höflicher, emphatischer, ruhiger Beamter, der wirkt, als wolle er nur das beste für sein Gegenüber. Im Verlauf des Films wechselt seine Loyalität, er erkennt, dass etwas falsch läuft in diesem Sozialismus, der von Männern wie dem Minister für Kultur verkörpert und getragen wird. Ulrich Mühe ändert kleine Nuancen in seiner Mimik und wandelt sich vor unseren Augen vom kalten Systemmensch zum emphatischen Mitmenschen. Er ist großartig heroisch, gleichzeitig das unscheinbare, aber notwendige Rädchen im Getriebe.

Florian Henckel von Donnersmarck hat 2001 sein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München beendet und sich seitdem auf diesen Film, sein Debüt, vorbereitet. Ihm gelingt etwas Gefährliches sehr gut: Sein Film lässt sich nicht simpel einem Genre zuordnen, ist Politthriller, Melodram, Liebesfilm, psychologische Gesellschaftsstudie, Gewissensdrama und Spionagefilm. Marketingkeuten gefällt sowas gar nicht, weil sie das nicht in griffige Slogans packen können. Der Film aber bleibt auf diese Weise nicht vorhersehbar. Weil wir ihn nicht einordnen können, wissen wir nicht, was als nächstes passiert. Weil Henckel von Donnersmarck immer nah bei seinen Protagonisten bleibt, uns im Zusammenspiel mit der ruhigen, unaufgeregten Arbeit seines Kameramannes Hagen Bogdanski kaum Ausweichmöglichkeiten etwa durch eine Totale bietet, kleben wir im Kinosessel eng an den menschlichen Dramen, die sich auf der Leinwand abspielen – aber dies auch nur, weil der Film so gut besetzt ist. Wir folgen den glaubhaften Charakteren gerne, fiebern mit der brüchigen Liebesgeschichte des Künstlerpaares, zweifeln mit dem einsamen Hauptmann unter seinen Kopfhörern, bangen mit den literarischen Verschwörern.

Florian Henckel von Donnersmarck bietet in mehr als zwei Stunden Film ein stimmiges, spannendes Drama, das zu dem, so bestätigen es die vielen Schauspieler, die aus der früheren DDR stammen – Mühe, Thieme, Volkmar Kleinert, Hans-Uwe Bauer, Charly Hübner, Hinnerk Schönemann – den DDR-Alltag in seiner Breite und Tiefe realistisch abbildet; viele haben auf ihre normale Gage verzichtet, um den Film möglich zu machen, für den Henckel von Donnersmarck nur 1,8 Millionen Euro zur Verfügung hatte. Es gibt Moment in diesem Film, da man an dessen realistischer Darstellung zweifeln mag – Hört niemand das Schreibmaschinengeklapper auf dem Dachboden? – und die ministerielle Gier auf eine Schauspielerin wirkt tatsächlich weit hergeholt. Aber im Kino sind erzählerische Freiheiten durchaus gefragt, so lange das Lebensgefühl der gezeigten Welt, in diesem Fall: der DDR, stimmt. Der Liedermacher Wolf Biermann, den die DDR 1976 ausgebürgert hatte, ist erstaunt, dass ein junger Westdeutscher „ein dermaßen realistisches Sittenbild der DDR mit einer wahrscheinlich frei erfundenen Story“ geschaffen hat, der ohne schmerzhafte DDR-Sozialisation dennoch mitzureden und zu urteilen in der Lage ist.

Wertung: 7 von 7 €uro
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