Der harmlose Musiker François Perrin gerät ohne sein Wissen in das Kreuzfeuer sich befeindender Agenten, als er am Flughafen als angeblicher Spion identifiziert wird, weil er einen braunen und einen schwarzen Schuh trägt.
Seine Wohnung wird bald Ziel eines gewaltigen Lauschangriffs und eines tödlichen Agentenkrieges. Nur einer bekommt davon nichts mit: Der ahnungslose Perrin, dessen normales Leben natürlich doppelt verdächtig wirkt …
Mit Hingabe öffnet der Agent im fremden Appartement eine Matrjoschka-Puppe nach der anderen. Er öffnet die erste Puppe, holt die nächste heraus, steckt die erste zusammen, stellt sie beiseite, öffnet die gerade entnommene, holt aus ihr die nächste Figur heraus, steckt die vorherige Figur wieder zusammen und platziert sie sorgfältig neben der ersten. Woraufhin er die dritte, eben entnommene Figur öffnet. Und so weiter. Die Arbeit des Geheimdienstes besticht durch ihre zwingende Exaktheit. Nichts darf übersehen werden, nichts dem Zufall überlassen bleiben.
Deswegen sind Geheimdienste in der Bevölkerung ebenso gefürchtet wie bewundert. Deswegen funktionieren Abenteuer wie die eines James Bond. Jedenfalls im Kino. Wo sie Menschen benutzen, wie Angebote im Supermarkt.
Unter der Regie von Yves Robert ist das im Prinzip auch nicht anders. Nur dreht der Sinn und Zweck solcher Perfektion auf den Kopf. Im Mittelpunkt seines Films steht ein harmloser Herr Durchschnitt, Geiger in einem Symphonieorchester mit buschigem Blondhaar und eines blöden Tages angetan mit zwei unterschiedlichen Schuhen, einem braunen und einem schwarzen. So gerät er in den Fokus des französischen Geheimdienstes, der in diesem Film gerade in zwei Parteien zerfällt. Da ist der scharfsinnige, kühl agierende Chef Le Colonel Louis Marie Alphonse Toulouse mit seinem Assistenten. Und da ist des Colonels Adjutant, der Colonel anstelle des Colonels werden möchte und deshalb eine Intrige gegen diesen spinnt. Um eben diese Intrige auffliegen zu lassen, entwirft der Colonel ein Komplott, in dessen Mittelpunkt eben jener Herr Durchschnitt steht; der natürlich nichts ahnt oder bemerkt von dem, was da um ihn herum abgeht. Er hat genug damit zu tun, sich die Harfe spielende Ehefrau seines Pauke spielenden Freundes Maurice vom Körper zu halten, die ihn, den Geiger, viel schärfer findet, als ihren Maurice.
Yves Robert variiert das Spiel des unschuldig Verdächtigten, das unter der Regie von Alfred Hitchcock große Blüten getrieben hat, denken wir an Der Mann, der zuviel wusste oder Der unsichtbare Dritte. Anders als dort James Stewart oder Cary Grant aber bekommt der Unschuldige hier in keiner Sekunde mit, was passiert, er ist zwar Objekt des Komplotts, steht im Zentrum einer Intrige, wird aber nie hinein gezogen; selbst, als die atemberaubende Christine ihn verführt – Mireille Darc (Borsalino – 1970) als zum Klischee aufgedonnerte blonde Mata Hari – ist der liebenswürdige Tollpatsch immer nur bei sich und seiner Musik. Pierre Richard (Alexander, der Lebenskünstler – 1968) verleiht der Titelfigur freundliche Naivität und natürliche Unschuld.
Die Schlapphüte beißen sich an so einem die Zähne aus. Die Männer, die hinter jedem Satz einen geheimen Code vermuten, scheitern an der naiven Unschuld des Musikers. Je länger der blonde Geiger die Überwachung (die er gar nicht wahrnimmt) scheinbar ignoriert, je mehr Zeit er mit Alltag verbringt, statt irgendwelche stummen Briefkästen zu befallen oder zu leeren, desto mehr sind die Agenten überzeugt, es mit einem ganz ausgeschlafenen Profi der Gegenseite zu tun zu haben: „Was ist das denn?“ „Das ist das Mikrofon im Lokus.“ „Stell's leiser.“ „Wenn ich's leiser stelle, kriegen wir die Feinheiten nicht mit und wer weiß, was der da treibt.“ „Das ist doch nicht korrekt. So spült doch kein normaler Mensch.“ Und dann brüllt der entnervte Geheimdienstvize in sein Mikrofon: „Was spült er denn im Klo? Aber er muss doch irgendeinen Grund für seine Spülerei im Lokus haben!“ Unterm Strich ist es ein Film über lauter Männer, denen es an Durchblick mangelt.
Die Arbeit der Geheimen bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das reale Leben. Weil nämlich die Überwacher alles so laut mithören, hört Maurice, der auf seinem Rennrad zufällig hinter dem Überwachungswagen herfährt, wie seine Frau gerade ein Schäferstündchen – „Mach mir den Hengst!“ – mit einem gewissen François hat, und in der Folge mehr und mehr seinen Verstand verliert. Daraus macht Yves Robert eine wunderbare Nebenhandlung, die den charmanten Humor dieser Geheimdienstposse unterstreicht.
<Nachtrag1998>Erst der große Erfolg des Films in Deutschland machte Pierre Richard in seinem Heimatland Frankreich populär und ermöglichte seine internationale Karriere. Eine Fortsetzung war gar nicht beabsichtigt, aber als der Film in Deutschland so gut lief, entschied Gaumont, Der große Blonde kehrt zurück zu produzieren.
1985 dreht Stan Dragoti eine Neuverfilmung mit dem Titel Der Verrückte mit dem Geigenkasten (aka: "Der Mann mit dem einen roten Schuh"). Die Hauptrolle übernimmt Tom Hanks.
Pierre Richard wurde nach dem Erfolg des Films auf das komödiantische Fach festgelegt, wie er in einem Zeitungsinterview 2008 beklagte.</Nachtrag1998>
Die Fortsetzung: Der große Blonde kehrt zurück (1974)