Riley North verliert ihre Familie auf einen Schlag: Ihr Mann und ihre Tochter werden aus einem fahrenden Wagen heraus von Kartell-Mitgliedern erschossen. Riley selbst fällt ins Koma und muss nach ihrem Erwachen versuchen, mit dem Verlust zurechtzukommen.
Wegen korrupter Gesetzeshüter landen die von ihr identifizierten verantwortlichen Mörder jedoch nicht im Gefängnis. Deshalb nimmt Riley ihren Wunsch nach Vergeltung selbst in die Hand, um das Leben derjenigen zu zerstören, die ihr ihren Lebensinhalt genommen haben. Jahrelang trainiert sie ihren Körper und ihren Geist, um anschließend mit Guerilla-Aktionen die Killer ihrer Familie auf ihrem persönlichen Rachefeldzug auszuschalten …
Ein Fotostreifen aus dem Automaten. Zu sehen ist eine feixende Familie, Vater, Mutter, Tochter. Eines der Bilder ist nicht zu erkennen, da ist Blut drüber gespritzt, als der Vater und die Tochter auf den Bildern erschossen wurden. Die Frau, die die Bilder fünf Jahre später betrachtet, ist die Mutter auf den Fotos, die aber mit der fröhlichen Bankangestelten von damals nichts mehr gemein hat.
Ein in Trauer verhärmter Racheengel betrachtet die Bilder seiner ermordeten Liebsten, um damit seine Selbstjustiz vor dem Zuschauer zu rechtfertigen. Das gehört zu den ältesten Überredgungstricks des Kinos. Meistens funktioniert er. Hier funktioniert er. Nicht nur, weil wir dabei waren, als die Fotos entstanden während einer ausgelassenen Jahrmaktstour zum Geburtstag der Tochter, die dann so brutal endete. Er funktioniert auch, weil der Racheengel weder von Charles Bronson noch von Bruce Willis und auch nicht von Liam Neeson gespielt wird. Sondern von Jennifer Garner – eine Frau in der ultimativen Männerrolle. Das ist mal erfrischend. Garner füllt diese Rachefigur locker aus. Nach ihrer Hauptrolle in der J.J.-Abrams-Geheimdienstserie "Alias" und Kampfautritten in Filmen wie Operation: Kingdom (2007) oder Elektra (2005) wissen wir, dass sie eine harte Kämpferin spielen kann. Es ist die Frauenperspektive, die diesem Subgenre des Actionkinos ein paar neue Eindrücke beschert. Einer einstmals freundlichen Hausfrau traut man Gewalt nicht zu. Einer ehemals freundlichen Bankangestellten traut man Mord nicht zu. Eine Frau macht so etwas nicht. Ooops: Riley North wendet Gewalt an, mordet, tut so etwas.
Pierre Morel sitzt auf dem Regiestuhl, da brauchen wir über die Härte und fiebrige Montage des Films nicht überrascht sein. Das hat er schon in 96 Hours (2008) genutzt, als er Liam Neeson auf einen Rachefeldzug gegen einen jugoslawischen Mädchenhändlerin schickte. Ganz wichtig dabei: Die Gangster sind absolut skrupellos, würden ihre unbewaffnete Großmutter erschießen, weil die an der falschen Stelle hustet. Statt Mädchenhändlern sind es hier die mexikanischen Drogenkartelle, die die Bewohner von Los Angeles nach und nach zur Hölle schicken, und dafür von der Vigilantin zur Hölle geschickt werden – neben den käuflichen Cops, dem gekauften Staatsanwalt, dem gekauften Richter. Das Los Angeles in diesem Film ist ein Armutszeugnis für eine Metropole der Ersten Welt. Ganze Straßenzüge sind gesäumt von Zelten, in denen Obdachlose leben. Die Menschen in dieser Stadt sind arbeitslos oder drogenabhängig oder Dealer oder Türsteher oder Polizist, der der Lage immer nur hinterher recherchiert. Die feinen, teuren Villen, die wir sehen, werden von den Bossen der Kartelle bewohnt. Von der spießigen Durchschnittsfamilienwelt der Norths, die wir zu Beginn erleben, als der Film fünf Jahre in der Vergangenheit spielt, sehen wir nichts mehr.
Riley hat sich in dieser Welt der ausgestoßenen, Obdachlosen eingerichtet. In dem Viertel, in dem sie ihren Van vor drei Monaten abgestellt hat, ist die Kriminalitätsrate seither signifikant gesunken. der Van ist voll mit automatischen Waffen, steht unabgeschlossen am Straßenrand. Keiner der drumherum lebenden Obdachlosen würde etwas aus dem Wagen klauen. Statt dessen sprayen sie überlebensgroße Engelbilder der schwer bewaffneten Frau auf die Hauswände, weil die sie beschützt.
Viele reden seit der Wahl Donald Trumps über die Vergessenen, die Zurückgelassenen, über eine Parallelwelt, in der jene von Hillary Clinton als "Klägliche" bezeichneten Menschen leben. In "Peppermint" sehen wir so eine Art Zerrbild unserer Zukunft. Im Film sind es Drogenkartelle, die sich Staatsbeamte kaufen, um ungestört ihre Geschäfte machen zu können, und Polizisten aus dem unteren Mittelstand, die versuchen, den Kopf oben zu halten, und eine dramaturgisch überhöhte, Steuern zahlende Ehefrau und Mutter, die vom korrupten Staat im Stich gelassen wird. Die Realität in der Welt draußen vor dem Kino zeigt, dass diese Welt nicht unerreichbar ist. Wo jeder nur seinem eigenen Vorteil nachjagt, wie auch die Mutter einer Klassenkameradin von Rileys Tochter, die finanziell gut geheiratet hat, kann das demokratische Staatswesen nicht überleben.
Ist das zu hoch gegriffen angesichts eines Rachethrillers, der Selbstjustiz propagiert und an die niederen Instinkte appelliert? Eher nicht. Wäre Bruce Willis der Rächer, winkten wir gelangweilt ab Die Rolle gibt ihm nichts Neues. Aber wenn jetzt schon eine Mutter im Kino alle Zurückhaltung fallen lässt, um ihre Leute zu schützen – und nachdem sie ihre Familie verloren hat, sind es jetzt die Ausgestoßenen der Mittelstandsgesellschaft, die sie beschützt –, denkt man doch noch mal nach.
Drehbuch und Regie entwerfen einen Rachethriller mit allen Klischees. Die Entwicklung Rileys von der Hausfrau zur Einzelkämpferin wird kurz überrissen, bleibt aber schwammig in seinen Erklärungen. Kann die Frau vom Anfang wirklich in den fünf Jahren sich so verändert haben? Auch sie steht mit der dritten Kugel im Körper und nach dem siebten Schlag in die Fresse wieder auf und kämpft weiter und schlüpft durch alle Sicherheitssysteme. Das gehört zum Actionfilm auf Jean-Claude-van-Damme-Niveau dazu. Es ist der Riley-North-Charakter, die Frau in der Rächerrolle, die aufhorchen lässt. Auch danach, warum im 21. Jahrhundert eine weibliche Rächerin eigentlich noch so ein großes Thema ist.