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Plakatmotiv: China Blue bei Tag und Nacht (1984)

Eine auf Skandal getrimmte,
romantische Männerfantasie

Titel China Blue bei Tag und Nacht
(Crimes of Passion)
Drehbuch Barry Sandler
Regie Ken Russell, USA 1984
Darsteller

Kathleen Turner, Anthony Perkins, John Laughlin, Annie Potts, Bruce Davison, Stephen Lee, Gordon Hunt, Dan Gerrity, Terri Hoyos, Vince McKewin, Deanna Oliver, Patricia Stevens, John G. Scanlon, Janice Renney, Pat McNamara, Christina Lange, Seth Wagerman, Joseph Chapman u.a.

Genre Drama, Romantik, Thriller
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
12. Juli 1985
Inhalt

Die attraktive Joanna Crane arbeitet tagsüber als erfolgreiche Modedesignerin. Nachts aber ist sie die Prostituierte China Blue, die ihren Freiern erotische Fantasien erfüllt.

Joannas Arbeitgeber verdächtigt sie, wertvolle Schnittmuster an die Konkurrenz zu verkaufen. Um ihr das nachweisen zu können, engagiert er Bobby Grady, Joanna zu beschatten. Grady hat einen kleinen Elektronikladen, der nicht sonderlich gut läuft – ähnlich wie seine Ehe mit Amy, mit der er zwei Kinder hat. Den Überwachungsauftrag nimmt Grady an, weil er glaubt, mit dem Zuverdienst seine familiären Probleme lösen zu können. Schon in der ersten nacht kommt Grady Joannas Geheimnis auf die Spur.

Grady verliebt sich in Joanna und verbringt die Nacht mit ihr. China Blue will aber von der Liebe zunächst nichts wissen. Doch auch der psychopathische Reverend Shayne verfolgt China Blue und will ihre Seele auf seine eigene Art retten …

Was zu sagen wäre

Willkommen in der Traumwelt des unteren Mittelstandes. In der alle glauben, dass die Liebe ewiglich währet und der eigene Laden das gemeinsame Familienglück zementiert. In der ersten Szene des Films lernen wir Männer aus dieser Welt kennen. Sie erzählen sich schmutzige Witze und verstehen gar nicht, wieso Frauen wegen alles so einen Wind machten heutzutage, anstatt wie früher einfach den Mund zu halten. In der Runde sitzt Bobby, der aus seinem Traum schon erwacht ist – sein Elektronikladen läuft nicht, seine Frau will keinen Sex mehr und er fragt sich, was er denn verdammt noch mal falsch gemacht hat. Er und seine Frau gehören zu den Kohorten von Menschen, die nach dem College geheiratet und mit dem Berufs- und Eheleben begonnen haben. Sie fühlten jetzt erwachsen und dachten, das Gröbste liege hinter ihnen. Und nach ein paar Jahren lag das Gröbste immer noch hinter ihnen

Nebenan, im Gossenviertel, treffen wir auf die Menschen, die ein paar Jahre weiter sind, für die immer noch das Gröbste hinter ihnen liegt. Aber nichts weiter vor ihnen, als Tage ohne Leidenschaft, in denen Geld verdient und die Kinder versorgt werden müssen; die mittlerweile für viel Geld ihren künstlichen Träumen hinterher jagen. China Blue, die Nutte, ist für den einen die Domina, dem anderen gibt sie sich als Vergewaltigungsopfer hin. Hauptsache die Kasse stimmt. Ihr Tagsüber-Chef, der sie nur als seine begabte Designerin Joanna kennt, sieht in ihr eine Industriespionin, schließlich lebe sie allein, stehe auf eigenen Beinen und lasse keinen Mann an sich heran. Nebenher stellt sich später heraus, dass ein langjähriger, loyaler Mitarbeiter die Geschäftsgeheimnisse verraten hat, der das Geld brauchte, um Frau und Kind daheim zufriedenzustellen.

Die Menschen in Ken Russels Welt sind kaputt. Alle tragen Masken, machen dem anderen was vor und versuchen, damit durchzukommen. Bobbys Ehefrau Amy gibt irgendwann zu, in den elf Jahren Ehe, die immerhin zwei Kinder hervorgebracht hat, nicht einen Orgasmus mit ihm gehabt zu haben. Amy weiß, dass ihr Leben nicht echt ist, will die Traumwelt, die sie sich als Schülerin einst vorgestellt hat, aber nicht verlassen; weder will sie über ihre Wünsche reden, noch ihre langweilige Ehe aufgeben – bloß nicht alleine sein. Plakatmotiv (US): Crimes of Passion (1984) Vor diesem Hintergrund treffen also der frustrierte Ehemann Bobby und die kommerzielle Träumeerfüllerin aufeinander. Und verlieben sich.

Bobby findet das gleich ganz toll, weil der Sex so anders ist, als mit Amy … so erfüllend. China Blue, Joanna, will keine Liebe. Es muss da wohl eine Enttäuschung gegeben haben auch in ihrem Mittelstands-Leben die nicht weiter thematisiert wird; als wahrscheinlich darf angenommen werden, dass sie eine ähnliche Ehe geführt hat wie Amy. Heute versteckt sie sich hinter lauter Masken und besorgt es den Männern, verweigert ihnen gleichzeitig die von denen ersehnte menschliche Zuneigung.

Damit es nicht zu einfach wird in diesem plakativen Widerspruch von Liebe und sexueller Erfüllung tritt noch ein wahnsinniger Killer auf, eine Rolle für Anthony Perkins, der offenbar von der Filmindustrie erfunden wurde, um immer wieder dieselbe Rolle zu spielen ("Psycho II" – 1983; Sprengkommando Atlantik – 1980; Das schwarze Loch – 1979; Mord im Orient-Express – 1974; "Das war Roy Bean" – 1972; Catch 22: Der böse Trick – 1970; Brennt Paris? – 1966; Psycho – 1960). In "China Blue" gibt er sich als Reverend aus, der mit einer Tasche volle Dildos und riesigen Vibrationen die Sünde aus der Welt bringen will und trägt wieder Frauenkleider.

Wir haben den sexuell frustrierten Ehemann, die romantisch frustrierte Frau und den Wahnsinnigen. Abgesehen davon, dass sich die Themen Sexualität und Religion durch Ken Russells Werk ziehen und von dem freizügig und provokant behandelt werden ("Der Höllentrip" – 1980; "Tommy" – 1975; "Das Milliarden Dollar Gehirn" – 1967), haben wir es hier mit einem arg plakativen Dreieck zu tun, dessen Ecken schnell definiert sind, in dem sich dann aber bis zum dramatischen Finale nichts mehr tut. Stattdessen versucht er, mit blutigen Szenen, hartem Sex und nackten Brüsten Aufmerksamkeit zu schaffen. Kathleen Turner spielt auch in der Rolle der China Blue/Joanna die selbständige Frau, die sich im Leben zurechtfindet, bis der jeweilige Hauptdarsteller im Film den Arm um sie schlingt, in die sie gerne sinkt (Die Brut des Adlers – 1984; Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten – 1984; "Der Mann mit 2 Gehirnen" – 1983; Heißblütig – Kaltblütig – 1981). Im Kinosessel ist man geneigt sich zu fragen, wann sie eigentlich schläft zwischen ihrem Designer-Job und dem Rotlichtviertel-Job, aber das ist vielleicht dieses Nine-to-Five-Denken im Kinosessel, das der Film als Lebenslüge beschreibt. Dass eine Beziehung ohne ehrlichen Sex und ausreichend Geld nicht funktioniert, ist allerdings keine Wahrheit mehr, die noch groß entlarvt werden müsste. „Wir haben nicht allzu viele Gemeinsamkeiten“, zieht Bobby am Ende des Films ein erstes Resümee seiner neuen Liebesgeschichte, „abgesehen davon, dass wir beide Hilfe benötigen. Wir brauchen uns gegenseitig“. Das ist eine schöne Schlussidee für eine romantische Beziehung, aber weil Ken Russell Regie führt, ergänzt Bobby dann noch: „Und dann haben wir gevögelt, bis wir ohnmächtig wurden.

So geht echte Liebe – in den Augen eines Mannes.

Wertung: 4 von 9 D-Mark
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