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Plakatmotiv: Die Zeit der bunten Vögel (1990)

Ein Kinderzimmerbunter Traum für
die Gesellschaft im 21. Jahrhundert

Titel Die Zeit der bunten Vögel
(Where the Heart Is)
Drehbuch Telsche Boorman + John Boorman
Regie John Boorman, USA 1990
Darsteller
Dabney Coleman, Uma Thurman, Joanna Cassidy, Crispin Glover, Suzy Amis, Christopher Plummer, David Hewlett, Maury Chaykin, Dylan Walsh, Ken Pogue, Sheila Kelley, Michael Kirby, Dennis Strong, Timothy Stickney, Emma Woollard u.a.
Genre Komödie, Drama
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
3. Mai 1990
Inhalt

Der New Yorker Abbruchunternehmer Stewart McBain leitet ein eigenes Immobilienunternehmen. Er kennt nur einen einzigen Lebenszweck: Geld scheffeln, damit es seinen drei Kindern an nichts mangelt. Das verwöhnte Sprößlingstrio genießt das bequeme Leben im Überfluss und macht auch keine Anstalten das zu ändern.

Die Proteste der Bevölkerung hindern Stewart McBain daran, das als architektonisch wertvoll geltende Dutch House in Brooklyn abzureißen, welches einem Neubau weichen sollte. Seine erwachsenen Kinder Daphne, Chloe und Jimmy verspotten seinen Auftritt im Fernsehen, worauf Stewart die Schnauze voll hat und seine Kinder aus dem haus wirft. Mit einem Startkapital von 750 Dollar sollen die arroganten Biester ihr Leben jetzt endlich in die eigenen Hände nehmen.

Sie ziehen in das Dutch House ein, welches sie von ihrem Vater übereignet bekommen. Aus Geldmangel vermieten sie einige Wohnungen des heruntergekommenen Hauses. Zu den Mietern gehören der Modedesigner Lionel und der Zauberkünstler Shitty.

Als sich Papa McBain bei seinen Transaktionen verspekuliert, kommt es im flippigen Altbau zur Reunion. Mit vereinten Kräften räumt die Familie die alte Bausubstanz illegal aus dem Weg und öffnet damit die Pforte zu einer Zukunft im alten Luxus, in der die kreativen Kräfte des Einzelnen diesmal allerdings genutzt werden …

Was zu sagen wäre

John Boorman, der Ethnologe unter den Filmregisseuren, hat eine neue Welt gefunden, die es ihn zu erkunden lohnt: die Welt des Kapitalismus nach New Yorker Modell auf der Schwelle zur Digitalisierung. Er findet eine Gesellschaft, die so verrückt ist, dass Boorman sie als kinderzimmerbunte Märchenburleske inszeniert mit Elfen, Prinzessinnen, Zwergen, Zauberern und dem gestrengen Königspaar, die im Film nur der Einfachheit halber als Vater und Mutter und Tochter und Sohn und Freunde der Familie auftauchen. Der Film ist wie ein Trompe l'Oeil (frz: "Täusche das Auge"), eine Spielform der Kunst, der im Film die älteste Tochter der Familie berauschende Motive abgewinnt. Diese Spielart zwingt den Betrachter, zweimal hinzusehen, um das wahre Bild zu erkennen – eines ziert das deutsche Kinoplakat zu Film (s.o.).

Plakatmotiv (US): Where the Heart is – Die Zeit der bunten Vögel (1990)Die Hauptfigur, Vater Stewart, lebt das Ideal der 80er Jahre: Disruption – Altes zerstören, durch Neues ersetzen. Er ist Gründer und Boss der Firma "American Demolition Corporation". Auf Deutsch: Weg mit dem alten Amerika! Stewart reißt Häuser ein. Und Stewart reißt seine Familie ein, die aus lauter lebensuntüchtigen Elfen besteht. Chloe, die Älteste, ist eine so begnadete Künstlerin, dass sie einen lukrativen Auftrag „gegen Bezahlung“ ausschlägt, weil sie sich als ernst zu nehmende Künstlerin sieht. Suzy Amis spielt die lebensuntüchtig schnorrende Chloe mit viel Charme und Herzenswärme, dass man ihr im Kinosessel trotz allem beide Daumen drückt.

Chloes Schwester Daphne, die die junge Uma Thurman ("Gefährliche Liebschaften" – 1988) verspielt mit geheimnisumwitterter Aura gibt, war „überglücklich, dass ich Psychologie und Humanismus studieren konnte. Alles, was ich wollte, war zu lernen, wie ich den Obdachlosen helfen kann. Wie kann ich denn mit diesem Unsinn weitermachen??? Wenn ich mir nicht einmal selbst helfen kann??“ Man kann den Abrissunternehmer verstehen, dass er seinen Kindern ein bisschen Leben beibringen will. Und Daddy macht es ihnen sogar noch leicht, überlässt Jedem ein Überbrückungstaschengeld von 750 Dollar. „Was machen wir, wenn wir die 750 Dollar aufgebraucht haben?“, fragen die. Auf das Wort "arbeiten" kommen sie nicht.

Es ist schwer vorstellbar, dass ein humanoides Wesen, das in Manhattan lebt, nicht weiß, was der Wert des Geldes bedeutet. Ursprünglich sollte die Geschichte, geschrieben von den Briten Telsche und John Boorman, inszeniert von dem Briten John Boorman, in London spielen (Hope and Glory – 1987; Der Smaragdwald – 1985; Excalibur – 1981; Exorzist II – Der Ketzer – 1977; Zardoz – 1974; Beim Sterben ist jeder der Erste – 1972; "Die Hölle sind wir" – 1968; Point Blank – 1967). Das Studio hat dann beschlossen, die Geschichte nach New York zu verlegen. Da funktioniert sie nicht so gut, weil die Figuren zu – wie soll ich sagen – naja, europäisch auftreten: zu viele Künstler (Fotografin, Zauberer, Modedesigner, Lebenskünstlerin, Medium … nur ein Börsenzocker), keine Macher. Legt man allerdings zugrunde, dass es sich bei den Figuren auf der Leinwand so oder so nicht um adäquate Spiegelbilder der Gesellschaft draußen vor dem Kino handelt, ist der Schauplatz zweitrangig.

Der Bauunternehmer, seine verwöhnten Kinder, das Setting im charmant runtergekommenen Dutch House, der holzschnittartig vorgetragene Wall-Street-Plot wären ein furchtbarer Film, hätte Boorman das 1:1 ernst genommen, was er da erzählt. Ähnlich einem Trompe l'Oeil erleben wir dahinter eine fröhlich bunte Welt, die sich mit den Träumen und Wünschen geschlechtsreifer Großstädter zum Ende des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Da ist wenig übrig vom calvinistischen Ethos des Schaffe-Schaffe-Börsendepot-baue. Die Kinder dieser Ethiker leben in der Kunst. Entwarfen die Kinder der harten, zupackenden Nachkriegsgeneration ihre Flower-Power-Revolutionswelt, entwerfen deren Kinder nun Kleider und bunte Zaubertricks oder erkunden als Medium die Geisterwelt. Wer noch das Hochamt der Börse feiert, geht baden.

In dieser Märchenwelt ist dann auch wieder Platz für den Abrissunternehmer und den bissigen Banker. Der Warenkreislauf soll ja weiterlaufen. Nur nicht durch Abriss sondern durch Bau bunter Welten voller Mehrdeutigkeit.

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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