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Plakatmotiv:  Schtonk! (1992)

Ein leichter, boshafter Blick hinter die
Fassade des modernen Journalismus'

Titel Schtonk!
Drehbuch Helmut Dietl & Ulrich Limmer & Peter Märthesheimer
Regie Helmut Dietl, Deutschland 1992
Darsteller

Uwe Ochsenknecht, Götz George, Christiane Hörbiger, Harald Juhnke, Dagmar Manzel, Veronica Ferres, Ulrich Mühe, Hermann Lause, Martin Benrath, Rolf Hoppe, Georg Marischka, Karl Schönböck, Rosemarie Fendel, Wolfgang Menge, Thomas Holtzmann, Hark Bohm, Hans Joachim Hegewald, Peter Roggisch, Willy Harlander, Günter Junghans, Armin Rohde, Michael Kessler, Martin Feifel, Thomas Wüpper u.a.

Genre Komödie
Filmlänge 115 Minuten
Deutschlandstart
12. März 1992
Inhalt

Der schmierige Illustrierten-Redakteur Hermann Willié startet 1983 den Coup seines Lebens: Bei einem "Kameradschaftsabend" trifft er den schlitzohrigen Kunsthändler Dr. Knobel, der vorgibt, auf das geheime Tagebuch Adolf Hitlers gestoßen zu sein.

Willié wittert eine Weltsensation. Seine Zeitung zahlt jeden Preis, um die deutsche Geschichte endlich umschreiben zu können. Stolz präsentiert Willié seine Entdeckung einer erstaunten Öffentlichkeit. Er wähnt sich am Ziel seiner Träume, als die Bombe platzt …

Was zu sagen wäre

Hitler lebt! Jedenfalls in den Köpfen der Bundesbürger. Da spukt er als Dämon mit faszinierender Ausstrahlung. Auf Kameradschaftsabenden tummeln sich ehemalige Obergruppenführer und näselnde Blender, die mit erfundenem Expertenwissen über das wahre Leben des Führers aufwarten und damit viel Geld machen; in solchen Kreisen werden auch Taschentücher des Führers bewundert, in denen noch sein Popel klebt.

Die Welt, die Helmut Dietl in seinem Film "Schtonk!" entwirft, ist bizarr, bevölkert von Gestrigen im Führerkult und Akademikern, die angesichts einer aufgetauchten Hitler-Handschrift alles akademische fahren lassen und gleich die Geschichte umschreiben wollen. Der Großteil dieser Welt ist keine Erfindung eines Drehbuchautoren. Das meiste an der Welt, die Dietl uns in seiner bissigen Satire vorführt, ist echt. Es geht um die wahre Geschichte der gefälschten Hitlertagebücher, die das Hamburger Magazin "Stern" 1983 veröffentlichte. Aus der realen Geschichte war Dietl vieles zu grotesk, das hat er dann lieber nicht verwendet, sagt er, weil die Zuschauer ihm das übel genommen hätten.

Das mag man sich gar nicht vorstellen anhand der schon hanebüchenen Geschehnisse, die wir in seinem Film sehen. Im Zentrum steht ein überforderter Mann, der sich – auch seiner Frau gegenüber – als "Prof. Dr." ausgibt, sich für einen Künstler hält, sich aber offenbar mit dem Verkauf gefälschter Kunstwerke über Wasser hält. Als er für einen Fabrikanten aus dem Schwäbischen einen Akt von Eva Braun herstellt, „gemalt vom Führer selbst“, gerät er in die Kreise von Alt-Nazis, die einen regen Tauschhandel mit Hitler-Devotionalien betreiben. Und er lernt Hermann Willié kennen, einen Reporter, der seine besten Zeiten hinter sich hat und auf der Suche nach einem Knüller ist, mit dem er seiner Karriere wieder Schwung geben könnte. Er ist ebenso überfordert wie der Fälscher, wie eigentlich alle handelnden Männer in diesem Film. Auch die beiden Chefredakteure, der Ressortleiter und der Verlagsleiter sind überforderte Figuren in einem Umfeld sinkender Auflagen und fehlender Ideen. Als plötzlich ein greifbarer, menschlicher „Führer mit Herz“ und „Blähungen im Darmbereich“ in ihren Händen liegt, verlieren alle die dünne Fassade ihrer Professionalität.

Die Blattmacher sehen steigende Auflagen, weltweite Schlagzeilen und ungeahnte Karrieremöglichkeiten. Reporter Willié sieht Berge von Geld und Ruhm; endlich wird er zur Hamburger Gesellschaft gehören. Der Fälscher, "Prof. Dr." Knobel, stürzt in sein selbst gegrabenes Loch aus den ganzen Lügen, aus denen er sein Leben gebaut hat. Während er traumseligen Nazis seine windigen Fälschungen verkauft, verdient seine Frau mit ihrem Monteursbetrieb das Geld für den Lebensunterhalt; das kratzt an seinem Ego und treibt ihn zwischen die Beine der Kellnerin aus dem örtlichen Gasthaus, die es schick findet, von einem Professor gebumst zu werden. Da produziert der aber schon das 23. Tagebuch und gleicht sich seinem Ghostwriter Adolf Hitler phänotypisch immer mehr an. Die Tagebuchseiten füllt er mit Belanglosigkeiten aus seinem eigenen, trostlosen Alltag, lässt Hitler über eigenen Mundgeruch mutmaßen, unter einer Erkältung leiden und von den Anstrengungen des Führer-seins erzählen. Die Journalisten in Hamburg sind begeistert: Der Führer ganz privat, „die Geschichte muss in weiten Teilen neu geschrieben werden“, ruft der begeisterte Chefredakteur vor der versammelten Weltpresse. So einfach konnte man – oder: kann man vielleicht immer noch? – die journalistische und verlegerische Elite in Hamburg aufs Kreuz leben und „Hamburg ist ja die deutsche Pressestadt“, wie Willié betont. Die Leichtgläubigkeit der Redaktion damals basierte auf den zahlreichen Mythen um die Nazigrößen und auf der Gier nach einer Presse-Sensation.

Willié selbst, den Götz George als gleichzeitig auftrumpfendes und wunderbar verdruckstes, stets nach Aufmerksamkeit gierendes Männchen spielt ("Die Katze" – 1988, Abwärts – 1984; Winnetou und das Halbblut Apanatschi – 1966; Unter Geiern – 1964; Der Schatz im Silbersee – 1962), steht auf Nazi-Zeug, poliert die Yacht von Hermann Göring wieder auf, trägt lustvoll dessen Bademantel und lebt eine Affäre mit Görings Nichte Freya, deren Warnungen, dass die Tagebücher gefälscht sein müssten, er sensationsgierig in den Wind schlägt. Christiane Hörbiger gibt als Göring-Nichte Freya von Hepp eine großartige Dame von Stand, die zwischen den Stühlen sitzt, die Begeisterung der Alten Kameraden für einen Führer, wie er nie war, aber von Fälschern und Blendern neu erfunden wurde, genauso albern findet, wie sie die modernen, demokratischen, eher linken Zeiten ablehnt.

Eigentlich kann man das alles gar nicht glauben und würde man sich im Alter von neun Jahren schon erwachsen mit so einem Film, so einem Stoff auseinandersetzen können, würde man das Drehbuch dem Produzenten wahrscheinlich um die Ohren hauen. Nun, mit neun Jahren interessiert man sich nicht für alte Leute, die sich für Bademäntel von noch älteren, gar toten Leuten begeistern, nicht. Und alle älteren haben den echten Skandal noch in den Knochen. Immerhin war der "Stern" nicht irgendein Blatt. Der "Stern" machte, ähnlich wie der "Spiegel" damals, Politik. Dieses Magazin war mit den Hitler-Tagebüchern so einfach abgeschmiert. Nicht das Drehbuch hat aus dem Stoff eine Farce gemacht, sondern die reale Vorlage war schon eine.

Helmut Dietl hat der Versuchung widerstanden, sich als Künstler über die Groteske dieser Realität zu erheben. Statt dessen beschreibt er souverän die Banalität des Kapitalismus. Staunend sehen wir lauter Idioten dabei zu, wie sie sich mit Träumereien um den Verstand bringen. Dass ein renommiertes Verlagshaus bei so einem „Knüller“ zwar drei Sachverständige – „ein alter Nazi, ein Jude und ein Neutraler“ – die Handschrift Hitlers prüfen lässt, aber nicht die Materialien der Kladden auf Authentizität, machte 1983 sprachlos. Dielte Film erklärt es. Er zeigt eifersüchtige, karriereorientierte Anzug-Gockel in der Verlagsleitung, denen es im Schritt feucht wird: „Da weht einen schon so etwas an, so ein Eishauch der Geschichte.“ – dies übrigens ein Satz, der in der Realität 1983 genau so in der Chefredaktion um Peter Koch gefallen sein soll.

Die Verantwortung, den Irrwitz dieser Geschichte glaubhaft zu machen, tragen die Schauspieler. Den zunehmend wirrer schreibenden Fälscher spielt Uwe Ochsenknecht (Männer – 1985; Das Boot – 1981) als einen Typ ohne Ziel, der zufällig in ein Riesending gerät. Ulrich Mühe gibt als als feinsinniger, aber dem Reiz des Verruchten schnell erlegenen Verlagsleiter ein Kabinettsstückchen, Harald Juhnke als Ressortleiter ist mit einem Wort wunderbar.

"Schtonk!" wirft einen Blick auf die Verführbarkeit von Journalisten im Angesicht eines vermeintlichen Scoop – egal, wie moralisch fragwürdig dieser sein mag. Die erzählte Geschichte spielt 1983. Die Farce dahinter aber ist immer aktuell.

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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