Seit dem Tod ihres Mannes kümmert sich Louise allein um ihre beiden Kinder Emma und Felix, bewirtschaftet außerdem noch den familiären Birnen- und Lavendelhof in der Provence. Sie kümmert sich um die Ernte und backt exzellenten Birnenkuchen, hat aber trotzdem Probleme, ihren Kredit bei der Bank zu bedienen.
Die wirtschaftliche Zukunft ist düster, als Louise eine folgenreiche Begegnung hat: Aus Versehen fährt sie vor ihrem Haus einen Fremden an: Pierre. Er ist ordentlich, extrem ehrlich, sensibel und lebte bisher zurückgezogen und eigenbrötlerisch. Doch er geht aus sich heraus, wann immer er Zeit mit Louise verbringt – und das tut er fortan öfter, da er sehr gut mit Zahlen umgehen und der Witwe darum mit ihrem Betrieb helfen kann.
Pierre freut, dass er so etwas wie ein Zuhause gefunden hat. Louise jedoch will ihn nicht zu nahe an sich heranlassen, sie leidet nach wie vor unter dem Verlust ihres Ehemanns …
Es gibt so Filme, vor allem bei französischen ist das der Fall, da reicht ein Blick aufs Kinoplakat und man weiß, dass man herzenswarm unterhalten werden wird, wenn man eine Kinokarte kauft. Die Plakate versprechen Filme mit Wein, Weib und Sonne über dem Anbaugebiet und, dass all das richtig gemacht wird, woran ARD-Degeto-Filme, die solche Witwe-droht-ihren-Hof/Weinberg/Röstbetrieb-zu-verlieren-aber-dann-kommt-Retter-im-richtigen-Alter-Geschichten am Fließband erzählen, immer scheitern, weil die Degeto für den Freitag-TV-Abend daraus blutleere Brühe macht. Der Vergleich ist deshalb unfair, weil er so ist, als vergleiche man einen französischen Bordeaux mit rotem deutschen Aldi-Cuvée.
Die Zutaten machen den Unterschied und natürlich auch ein bisschen das Budget, das bei einem Kinofilm höher liegt als bei einer Freitagabend-ARD-Sause. Éric Besnard darf für seinen Film mehr Geld ausgeben (in etwa 5,8 Millionen Euro), hat aber auch schöne Ideen, dieses Geld in Bilder umzusetzen. Die Lavendelfelder der Provence glühen knackig in der Abendsonne, grün strahlen die Birnbäume, die Aprikosen leuchten und die Einwohner der Umgebung sind charmant verschroben und offen für das Abnorme – das hier in Form eines Asperger-Patienten in die brave französische Kleinstadtwelt stolpert.
Pierre, der Mann mit dem Asperger, ist der jüngste Vertreter mit diesem Syndrom im Film, nachdem andere Vertreter sich in TV-Serien erfolgreich ihre Plätze erspielt haben – im ZDF-Kommissariat von "Der Alte" ebenso wie in der "SOKO Stuttgart". Aber natürlich und vor allem in einer Männerwirtschaft zweier Physiker in Pasadena, Kalifornien. Sheldon Cooper aus der TV-Serie "The Big Bang Theory" ist wahrscheinlich der berühmteste Vertreter eines Menschen mit Asperger. Seit 1988 Dustin Hoffman als Autist in Rain Man den Oscar gewann und den Autismus erstmals in die Mitte der Gesellschaft trug, ist dessen mildere Form, das Asperger Syndrom, zu einem Wiedergänger in Drehbuchschulen geworden, mit dessen Hilfe man wahlweise Storylöcher stopfen, logische Brüche erklären oder alberne Situationen schaffen kann. Manche Figuren sehen dann auch so aus, andere entwickeln als Charakter eine Eigendynamik im Sinne des Films. In "Birnenkuchen und Lavendel" ist Pierres Asperger so gering ausgebildet, dass es eher für komische Momente und eine dramatische Situation reicht. Vor allem steht es dafür, einer schönen Frau und einem schönen Mann neue Hindernisse in den Weg zu legen, die mal nicht zwei Ex-Partner, eine Karriere in Übersee oder eine geheimnisvolle Erbschaft sind.
„Mit 12 wurde beim ihm Asperger diagnostiziert. Man riet seiner Mutter, ihn in eine Therapie-Einrichtung zu stecken. Nach sechs Monaten sprach er nicht mehr.“ „Das Gericht hat mich damit betraut, das Risiko eines Rückfalls zu evaluieren.“ „Es geht ihm sehr gut. Er braucht überhaupt keine Behandlung.“ Und so entwickelt sich eine Liebesgeschichte, wie sie es im deutschen Redakteurs-Kino nicht geben kann, im französischen Kino aber erst die Knospen der Romantik so richtig zum Blühen bringt. Pierre findet die allein erziehende Mutter – Witwe! – auf seine Art super. Und das ist nicht schwer zu verstehen, denn – und das gehört im französischen Kino dazu: die unschuldige Bewunderung der Schönen Frau – Virginie Efira, die diese 37 Jahre alte Witwe spielt, ist eine bezaubernde Erscheinung.
Ihre Louise ist zupackend, pragmatisch, realistisch, sie könnte Hilfe gebrauchen, und sie ist unter ihren blonden Haaren, hinter den braunen Augen eine taffe, verletzliche Schönheit. Sie für Letzteres gut zu finden, grenzt wahrscheinlich an Sexismus, schon klar. Aber die Schönheit der Frau als Argument im französischen Kino nicht zu erwarten, wäre naiv. Schon Francois Truffaut (Auf Liebe und Tod – 1984), Jean-Luc Godard (Außer Atem – 1960) oder Claude Chabrol (Die untreue Frau – 1969) haben reihenweise schöne Frauen ins Feuer geschickt um sich daran zu weiden, wie sie über sich selbst und die plumpe Männerwelt hinaus wachsen. Sie werden noch heute für ihre Filme verehrt (mit denen ich aufgewachsen bin). Der vorliegende Film reicht im Gesellschaftsportrait und im Ausleuchten düsterer Zivilisationskrüppel an die genannten Vorgänger nicht heran, ist aber auch rund 50 Jahre später produziert worden. Längst gelten weitere Gesetze.
"Birnenkuchen mit Lavendel" atmet den Geist jenes Kinos voll schöner Frauen, muss aber, anders als die Filme damals, eine bündige Geschichte erzählen. Das geschieht über den stolpernden Pierre, dem der melancholische Clown Benjamin Lavernhe die selbstbestimmte Unbeholfenheit junger Truffaut-Helden spendiert, wenn er seine Gefühle nicht in Worte, aber in kunstvollen Arrangements von Klebepunkten, die alle vier Wände plus Decke eines Zimmers einnehmen, fassen kann und dann mal kurz das neue Geschäftsmodell des Betriebes der von ihm Begehrten umreißt: „Nach meinen Berechnungen kann der Betrieb rentabel sein. Im Internet kann man Patenschaften für Bäume anbieten. Man übernimmt eine Patenschaft und kauft die Ernte im Voraus. Bäume gehören zu unserem Kulturerbe, sie sind unsere Wurzeln unsere Landschaft. Alle lieben Bäume! Das ist eine gute Idee. Ich bin sicher, sie hätte ihrem Mann gefallen.“
Es ist eine Liebesgeschichte, in der viele Menschen über sich hinauswachsen, Verständnis entwickeln, voneinander lernen müssen. Solche Geschichten funktionieren auch ohne schmierigen Heiratsschwindler, eitlen Geck und erbschleichenden Schleimer, wie sie die Degeto regelmäßig einbaut. Im französischen Kino reicht ein „Lassen Sie ihn in Ruhe. Er lebt sein Leben!“ Es reicht die Macht der Gefühle und – Ja! – ein bisschen Piano von der Tonspur, um zu einer außergewöhnlichen Liebeserklärung zu gelangen, die wir im Kinosessel selten so schön serviert bekommen: „Ich fliege nicht Gleitschirm! Ich werde nicht weg gehen. Ich werde nicht sterben. Ich werde Sie nicht allein lassen. Ich fühle mich viel besser, wenn Sie da sind. Wenn Sie nicht da sind, habe ich das Gefühl, dass ich falle; dass ich mich in Einzelteile auflöse. Aber sind Sie da, geht's mir gut. Ich weiß, wo ich bin. Wenn Sie da sind, bin ich da.“
Wer jemanden verloren hat, allein auf seinem Sofa sitzt, wer einer warmen Umarmung bedarf, ist bei diesem Film, der den Geist von Ridley Scotts Ein gutes Jahr (2006) atmet, in bester Gesellschaft. Dazu bekommt er souveräne Schauspieler, erlesene Kameraführung und eine kurzweilige Regie.