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Kinoplakat: The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben

Ein brillanter Cumberbatch in
einem letztlich unnötigen Film

Titel The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben
(The Imitation Game)
Drehbuch Graham Moore
nach dem Buch „Alan Turing – Enigma“ von Andrew Hodges
Regie Morten Tyldum, UK, USA 2014
Darsteller Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Rory Kinnear, Allen Leech, Matthew Beard, Charles Dance, Mark Strong, James Northcote, Tom Goodman-Hill, Steven Waddington, Ilan Goodman, Jack Tarlton, Alex Lawther, Jack Bannon u.a.
Genre Drama, Biografie
Filmlänge 114 Minuten
Deutschlandstart
22. Januar 2015
Website theimitationgamemovie.com
Inhalt

1939 stößt der brillante, introvertierte Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing zum geheimen Enigma-Projekt in Bletchley Park bei London. Das Projekt hat nur eine Aufgabe: Die Codiermaschine der Nazis, die Enigma, zu knacken. Über diese Maschine laufen alle Angriffspläne der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und die Briten verstehen kein Wort. Bleibt das so, ist das Ende des British Empire nur noch eine Frage der Zeit.

Turing hat in seinem Leben früh gemerkt, dass er anders ist. Schon an der Schule wird das verschrobene Genie gehänselt und maltraitiert, nur sein Freund Morcom steht zu ihm. Alan entwickelt romantische Gefühle, kommt aber nicht mehr dazu, sich Morcom anzuvertrauen, weil der an Tuberkulose stirbt. In Bletchley Park hat sich für Turing wenig verändert. Der introvertierte Einzelgänger, der mit Witzen, Biertrinken und abstrakter Sprache nicht umgehen kann, ist schnell ein Außenseiter – von allen angefeindet; zumal er sich nicht am täglichen – meist sinnlosen – Code knacken beteiligt, sondern statt dessen eine Maschine konstruiert, die – so sagt er – „so denken soll“, wie Enigma.

Niemand glaubt ihm, in Bletchley Park halten sie das für Quatsch. Bis Joan Clarke zu der Gruppe stößt. Die junge Frau unterstützt Turing bei seinen Ideen und bringt ihm bei, wie man sich anderen Menschen gegenüber wenigstens so weit öffnet, dass die einen mögen und gerne mit einem zusammenarbeiten.

Gegen die Erwartung der meisten in Bletchley Park ist Turings Maschine schließlich fertig, aber auch sie rechnet zu langsam; die Variablen sind zu groß. Dann schnappt Turing in der Bar das Gerede einer Stenotypistin auf, die ihm – und seiner Maschine – den entscheidenden Hinweis liefert, mit dem die Nazis den Krieg verlieren werden …

Was zu sagen wäre

Das Schwierige an historischen, biografischen Dokudramen ist, dass man das ende schon kennt. Wir wissen, wenn das Licht im Kino ausgeht, schon lange, dass die Briten Enigma entschlüsselt haben; das wissen wir Normalsterbliche übrigens meistens auch aus dem Kino, denn die britische Filmwirtschaft wird nie müde, den Heldengesang rund um dieses Nazimonster immer wieder neu zu erzählen. Jetzt aber erzählen sie es mit selbstkritischen Tönen.

Eine Gala für Benedict Cumberbatch – und nur für ihn

Das Mastermind hinter diesem historischen, den Lauf der Geschichte entscheidend beeinflussenden Erfolg britischer Mathematiker, Alan Turing, war homosexuell – das stand in Großbritannien damals noch, wie in vielen anderen europäischen Ländern, unter Strafe. Alan Turing hat sich, das haben die Filmemacher in eine Rahmenhandlung dieses auf drei Zeitebenenen spielenden Dramas untergebracht, selbst getötet, nachdem ihn ein Gericht 1951 vor die Wahl gestelt hatte, entweder wegen seiner Homosexualität zwei Jahre ins Gefängnis zu gehen oder sich über die regelmäßige Einnahme von Hormonen chemisch selbst zu kastrieren. Es ist das Schicksal dieses bedauernswerten Genies und Außenseiters, das berührt. Und hier zeigt sich, wer es noch nicht ahnte, die große Kunst des Benedict Cumberbatch (Im August in Osage County – 2013; 12 Years a Slave – 2013; Star Trek: Into Darkness – 2013; Gefährten – 2011; Dame, König, As, Spion – 2011).

Der britische Schauspieler gibt eine große Vorstellung als bisweilen stotterndes Genie und als Sonderling, er versinkt hinter seiner Rolle, nimmt gefangen für dieses lebensuntüchtige, aber brillante Gehirn; das sind diese Rollen, die aus jeder Zeile „Bring me the Oscars“ ruft. Cumberbatch verdient ihn für diese Rolle, aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass da sonst nichts ist in diesem Film.

Hinter der Schlagzeile strikte Dramatheorie

Natürlich weiß ich, wenn ich die Kinokarte kaufe, schon, dass Turing schwul war, sich getötet hat, obwohl er – wie dann der Abspann schreibt – schätzungsweise 14 Millionen Menschenleben gerettet hat mit seiner Erfindung. Das ist ein bedauerlicher Skandal, wie er so oder ähnlich andauernd vorkommt, auch heute noch (auch wenn nicht immer 14 Millionen Menschen involviert sind). Natürlich haben mir Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen mitgeteilt, dass die Enigma-Story lange als geheimdienstliche Verschlusssache behandelt worden war, was in Bletchley Park tatsächlich abging; ich kenne nun die wichtigsten Eckpunkte. Die Frage ist, was liefert mir der zweistündige Film über diese Informationen hinaus als Erkenntnis. Die Antwort: Nichts!

Der Film ist gefällig inszeniert, ruhige Kameraführung, unaufgeregte Montage, elegante Besetzung – in der (neben Cumberbatch) Charles Dance ein wenig heraus sticht, den Besetzungsbüros gerne als belesenen Schurken anbieten („Game of Thrones“ – 2011; Scoop – Der Knüller – 2006; Swimming Pool – 2003; „Gosford Park“ – 2001; Last Action Hero – 1993; Alien 3 – 1992) und der hier einen ebensolchen gibt – im Staatsauftrag mit der Note der Verantwortung über Steuergelder. Er als Commander Denniston sowie Mark Strong, der bis vor wenigen Jahren in jedem halbwegs populären Actioner den diabolischen Bösewicht gab (John Carter: Zwischen zwei Welten – 2012; Dame, König, As, Spion – 2011; Green Lantern – 2011; Robin Hood – 2010; Kick-Ass – 2010; Sherlock Holmes – 2009), als MI-6-Impressario Stewart Menzies im dunklen Nadelstreifen geben kleine Highlights ihrer Kunst zum Besten – sehenswert. Das Buch ist sauber in seine fünf Akte gegliedert, Einführung, Verweigerung, Motivation, Tiefstes Tal, Erfolg, Belohnung (inklusive Freudenfeuer), wobei sich herausstellt, dass zur Hauptfigur unbedingt deren Alter Ego Joan Clark gehört, die Turing einige dieser Kapitelmarker abnimmt.

Mal blöd gefragt: Was will der Film eigentlich sagen?

Das ist schwierig, denn diese Joan Clark hat es – zumindest so – nicht gegeben. Keira Knightley spielt sie; und sie spielt sie wie … Keira Knightley eben (Jack Ryan: Shadow Recruit – 2014; Can a Song Save Your Life? – 2013; London Boulevard – 2010; Abbitte – 2007; Tatsächlich … Liebe – 2003; Fluch der Karibik – 2003). Es hat auch den russischen Spion, der im Film eine entscheidende Rolle spielt, in Bletchley Park nicht in Turings Umfeld gegeben. Und da stellt sich schon wieder die Frage, was der Film eigentlich erzählen will über das Drama des homosexuellen Genies hinaus; ein dokumentarisch abgesichertes Drama ja wohl nicht, wenn wichtige Eckpunkte erfunden sind. Wenn historisch verbürgte Figuren (hier: Spione) aus dem historischen Kontext gerissen werden, um an anderer Stelle dafür herzuhalten, der Hauptfigur eine gute Szene/Erklärung zu geben, dann verliert diese historische Figur ihre durch die Historie gegebene Unangreifbarkeit und wird zum frei platzierbaren Spielball des Drehbuchautoren. An diesem Punkt fällt dann auf, dass der Film ein 08/15-Soziopathen-Drama abspult und sich dafür den Mantel wohlanständiger Empörung umhängt.

Das ist eben das Schwierige an historischen, biografischen Dokudramen, dass man einen Clou braucht, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Lasse ich die historisch – wenigstens fragwürdigen – Ungenauigkeiten beiseite, bietet „Imitation Game“ nur eine verschachtelte Drei-Zeitebenen-Struktur: Schule, Bletchley Park, die Ermittlungen gegen den Homosexuellen. Das ist eine beliebte Technik, weil sie Buch und Regie erlaubt, glaubhaft zu springen, wenn es in einer der Geschichten nicht so recht weiter geht; es läuft andererseits aber ins Leere, wenn nichts dahinter steht. Und hier steht dieses ausgelutschte Introvertierter-Held-muss-sich-seiner-Umgebung-öffnen-um-Erfolg-zu-haben-und-die-Welt-retten-zu-können dahinter – mit Beckerfaust-Momenten und mancher rührigen Szene; aber wenig davon ist zwingend.

Wenn Geiger das Drama ersetzen …

Ich hätte misstrauisch werden sollen, als gleich zu Beginn Alexandre Desplat, der Filmkomponist der Stunde (Godzilla– 2014; Grand Budapest Hotel – 2014; „Monuments Men“ – 2014; Venus im Pelz – 2013; Zero Dark Thirty – 2012; Argo – 2012; Extrem laut & unglaublich nah – 2011; Der Gott des Gemetzels – 2011; The Ides of March – 2011; Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – 2010; The King‘s Speech – 2010), seinen Soundtrack viel zu laut über leere Bilder streicht; wo Streicher Emotionen in einem vorgeblichen Biopic erläutern müssen, stimmt was nicht.

Wertung: 4 von 8 €uro
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