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Plakatmotiv: Contra (2020)

Geschliffen geschriebener Hörfilm

Titel Contra
Drehbuch Doron Wisotzky
nach dem 2018-Drehbuch "Le Brio" von Victor Saint Macary & Yaël Langmann & Noé Debré & Yvan Attal
Regie Sönke Wortmann, Deutschland 2020
Darsteller

Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Hassan Akkouch, Ernst Stötzner, Myriam Abbas, Mohamed Issa, Stefan Gorski, Lieke Hoppe, Fatima Naji, Mustafa Sheikh, Cristiano Papasimos, Akim Schödel, Selin Dörtkardes, Cathleen Baumann, Michael Abendroth, Martin Lommatzsch, Sabrina Effenberger, Jogi Kaiser u.a.

Genre Drama, Komödie
Filmlänge 108 Minuten
Deutschlandstart
28. Oktober 2021
Website constantin-film.de/contra/
Inhalt

Das war eine fremdenfeindliche Bemerkung zu viel: Professor Richard Pohl droht von seiner Universität zu fliegen, nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid in einem vollbesetzten Hörsaal rassistisch beleidigt hat.

Als das Video viral geht, gibt Universitätspräsident Alexander Lambrecht seinem alten Weggefährten eine letzte Chance: Wenn es dem rhetorisch begnadeten Professor gelingt, die Erstsemestlerin Naima für einen bundesweiten Debattier-Wettbewerb fitzumachen, wären seine Chancen vor dem Disziplinarausschuss damit wesentlich besser.

Pohl und Naima sind gleichermaßen entsetzt, doch mit der Zeit sammelt die ungleiche Zweckgemeinschaft erste Erfolge – bis Naima erkennt, dass das Multi-Kulti-Märchen offenbar nur einem Zweck dient: den Ruf der Universität zu retten …

Was zu sagen wäre

Der zynische Arschloch-Professor hat sie sofort, die Passanten auf dem Platz vor der Alten Oper in Frankfurt. Da, wo seine Studentin eben noch, die Augen am Text klebend, aus Goethes "Faust" gestammelt hat – „Dasteh'ichnunichräusperarmerTorundbinhüstelhüstelsoklugalswiezuvor“ – und von trinkenden Prolls ausgelacht wurde, präsentiert Richard Pohl mit durchdringender Stimme das Fleisch gewordene Selbstbewusstsein: „Heiße! … Magister, heiße Doktor gar!“ Der Platz vor der Alten Oper füllt sich mit Neugierigen. „Und ziehe! Schon an die zehen Jahr' herauf, herab!“ Verzückte ältere Damen an der Kaffeetafel bewegt die Lippen synchron zum Text. „Und quer und krumm meine Schüler an der Nase herum!“ Den trinkenden Prolls läuft das Bier aus dem offenem Mund. Dem zynischen Arschloch-Professor wohnt also auch Leidenschaft inne, was er bis hierhin gut versteckt hat; es sei denn, man betrachtet das Runtermachen von zu spät kommenden Studentinnen, indem man ihnen vor versammelter Mannschaft erläutert, dass „in meinem Kulturkreis auch fünf Minuten“ eine Verspätung seien, als eine Form von Leidenschaft. Der Professor hat eine Leidenschaft für die Sprache, die Rhetorik, für die Kunst der wortgewandten Überzeugung in Zeiten von Fake News. Er ist kein trockener Vorleser seines Besserwissens. Er ist nur so sehr in sein Sprechen verliebt, dass er gar nicht mehr hört, was er da eigentlich spricht.

Die deutsche Universität ist ein Inkubator gesellschaftlicher Befindlichkeiten. An keinem Ort formen sich gesellschaftliche Entwicklungen schneller, nirgendwo gnadenloser. Das kann man zurzeit sehr schön an der Gender-Diskussion erleben. Während das Volk und die Medien landauf landab diskutieren, ob man das generische Maskulinum mit einem Sternchen oder einer kurzen Pause sprechen sollte, um deutlich zu machen, dass alle Geschlechterformen gemeint sind, gilt derlei an den deutschen Universitäten bereits als Voraussetzung bei jeder Hausarbeit. Sönke Wortmann hat sich diesem Inkubator schon einmal genähert, als er 1998 Der Campus drehte. Aber damals, als ein Professor zu Unrecht der Vergewaltigung einer Studentin bezichtigt wurde, folgte Wortmann den Intrigen, Machtschubsereien und Eitelkeiten in einem akademischen Betrieb in form einer Komödie. Darum geht es im Drama "Contra" nur am Rande.

Der Film, ein Opfer der Corona-Pandemie, kommt mit Verspätung ins Kino, spielt in für aktuelle Augen ungewohnt vollen Hörsälen, auf bevölkerten Plätzen und stupst den Alten Weißen Mann mit der Nase in die Scheiße, die er anrichtet – die Alte Weiße Frau übrigens auch – damit er aus seinen Fehlern lernt, so wie der Hund durch den Stupser lernen soll, nicht mehr ins vornehme Wohnzimmer zu kacken. Über etwaigen Fehlern schwebt die malträtierte Jura-Studentin, die arabischstämmige Naima, als ambitionierte, hart arbeitende junge Frau, die im juristischen Establishment Frankfurts gegen rassistische Wände rennt. Naima ist ohne jeden Fehl und Tadel und damit man im Kinosessel nicht gleich die Augen rollt ob der übererfüllten Political Correctness, hat Naima einen Bruder, der lieber zum Schlagring greift, als eine Ausbildung zu machen.

Ein Drama lebt von seinen Gegensätzen, die sich im Laufe der Erzählung öffnen und gegenseitig ergänzen müssen, und damit lebt ein Filmdrama mit Migrationshintergrund, das sich überflüssigerweise als Komödie verkaufen möchte, am Rande des Klischee-Kitsches. Sönke Wortmann, der seit Der bewegte Mann genug gesellschaftliche Gegensätze aufeinanderprallen ließ (Der Vorname – 2017; Frau Müller muss weg – 2015; "Schoßgebete" – 2014; Die Päpstin – 2009; "Deutschland. Ein Sommermärchen" – 2006; Das Wunder von Bern – 2003; St. Pauli Nacht – 1999; Der Campus – 1998; "Das Superweib" – 1996; Der bewegte Mann – 1994; "Mr. Bluesman" – 1993; Kleine Haie – 1992; "Allein unter Frauen" – 1991), umschifft die Kitschgefahren und greift zum Klischee, wo es die Erzählung nicht stört, sie aber stützt. So motzt der Professor seine Studentin wegen deren nachlässiger Kleidung an („mit diesen zerrissenen Jeans“). Und was da gerade noch wie ein weiterer rassistischer Angriff klingt – schließlich motzt er die anderen Studierenden, die auch alle so rumlaufen, deswegen nicht an – entpuppt sich eine Szene später als Generationenfrage, denn auch Naimas Oma empört sich beim gemeinsamen Abendessen über die nachlässige Kleidung der Enkelin und ob das denn wirklich sein müsse. Ein bisschen "Pygmalion" also spielt da nur rein, Naima Hamid muss aber keinen Zungenbrecher à la Es grünt so grün wenn Spaniens Blüten blühen rezitieren, sie spricht akzentfreies Deutsch, wohnt zwar in einer ghettoartigen Hochhaussiedlung vor den Toren Frankfurts, braucht aber keine Nachhilfe in gesellschaftlichen Umgangsformen. Was allein ihr fehlt ist jemand, der hinter ihrer marokkanischen Fassade ihre allgemein gültigen Fähigkeiten erkennt und fördert. In diesem Film ist dazu der zynische Rassist auserkoren. Und wir dürfen zuschauen, wie die beiden Gegensätze aufeinanderprallen, voneinander lernen, sich öffnen und einander annähern.

Das ist gut geschrieben. Autor Doron Wisotzky stützt sich auf das Drehbuch der französischen Komödie "Die brillante Mademoiselle Neïla" (2018) und macht Wortmann damit zu so etwas wie dem hauptamtlichen Zweitverwerter französischer Filme, denn auch schon sein Der Vorname basierte auf französischem Kino. "Contra" ist auch gut gespielt. Nilam Farooq, die wir aus dem Fernsehen kennen (Soko Leipzig) oder aus Befindlichkeitsdramen wie "Mein Blind Date mit dem Leben" (2017) spielt sich hier in die erste Garde deutscher Schauspielkunst, wechselt leichtfüßig zwischen verliebtem Mädchen, gegen Mauern rennendes Migrationsopfer und wissbegieriger Studentin und findet in Christoph Maria Herbst, dessen Prof. Dr. Pohl nur auf den ersten Blick wirkt wie ein Stromberg 2.0, einen wunderbaren Anspielpartner. Souverän kanzelt er als Arschloch die Studentin ab, ebenso souverän schwebt er über dem Familiendrama, das ihm etwas übereifrig ins Drehbuch geschrieben wurde, damit seine Gehässigkeit wenigstens einen Grund hat, um nicht ganz so alterweißermannartig zu wirken. Herausgekommen ist ein wunderbar geschriebener Film mit geschliffenen Dialogen und präzisen Spielern, der aber in seinen stummen Momenten lediglich ambitionierte TV-Bilder bietet (immer wieder die Frankfurter Skyline mit Sonnenaufgang- und Sonnenuntergang im Zeitraffer). Wir verlassen das Kino mit Denkanstößen und manch interessanter Erkenntnis über die Kunst der Rhetorik, untermalt – natürlich – mit einem Score aus Rap. Sprechgesang.

Wertung: 6 von 8 €uro
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