Ein schöner Abend ist geplant. Stephan, Professor der Literaur, und seine Frau Elisabeth laden ein zum indischen Curry. Weil Elisabeth die indische Küche nicht so hundertprozentig beherrscht, holt sie sich telefonisch noch ein paar Tipps bei ihrer Mutter Dorothea – wobei sie ganz froh ist, dass Dorothea irgendwo im Süden Deutschlands lebt (und also nicht dauernd zu Besuch kommen kann). Beider – also Elisabeths und Stephans – Kinder sind bei Stephans Eltern untergebracht.
Eingeladen sind Elisabeths Bruder Thomas, dessen fehlendes Abitur und geringe literarische und historische Bildung Stephan zum Ziel seines ständigen Spotts macht, und seine schwangere Freundin Anna, deren Karriere als Schauspielerin der wirtschaftlich erfolgreiche Thomas nur halbherzig unterstützt. Außerdem erscheint René, Orchestermusiker mit exzentrischem Kleidungsstil und Auftreten, Elisabeths „beste Freundin“, der wie ein Bruder mit ihr und Thomas aufgewachsen ist.
Während Anna sich zum Leidwesen Elisabeths verspätet, kommt das Gespräch auf den Namen des ungeborenen Kindes und als Thomas dann erklärt, dass sein Sohn „Adolf“ heißen soll, bricht darüber ein gewaltiger Streit aus. Adolf sei ja schließlich ein verbrannter Name seit Adolf Hitler, empört sich Stephan. Thomas kontert, den Namen nie wieder zu benutzen, bedeute, Hitler zu „einer Ikone, einem Mythos“ zu machen. Wenn jeder Adolf gleich ein Adolf sei, dann habe Adolf gewonnen. „Hitler ist ein Popstar, den Leute wie Du am Leben erhalten!“ Nicht „irgendwelche Rechten, nicht die alten Nazis“ tun das seiner Ansicht nach – sondern linke Besserwisser, die sich „jeden Abend auf Phoenix an Hitlers Verbrechen aufgeilen“.
René durchschaut schließlich, dass Thomas nur einen Scherz gemacht hat, um Stephan zu provozieren. Ehe Thomas die Sache aufklären kann, setzt sich der Streit mit Anna fort, die nicht ahnt, von welchem Vornamen die Rede ist.
Sie brüskiert die Gastgeber mit der Bemerkung, sie diskutiere nicht mit Leuten, die ihre Kinder Caius und Antigone genannt haben.
Damit ist der Abend endgültig offen …
Sönke Wortmanns Film gehört in die Kategorie der Ensemblefilme, in denen die großen gesellschaftlichen Fragen runtergebrochen werden auf den alltäglichen Mensch, der in gut situierter Wohnlage die Wände mit Büchern und die mundgeblasenen Gläser mit rotem Wein füllt.
Der Gott des Gemetzels, den Roman Polanski verfilmt hat, gehört in diese Kategorie, ebenso Thomas Vinterbergs Das Fest (1998), Kenneth Brannaghs Peter's Friends (1992) oder Lawrence Kasdans zwei Filme „Grand Canyon“ (1991) und „Der große Frust“ (1983). Das Prinzip: Beste Freunde treffen sich zu einem zwanglosen Abend, um mal wieder zu hören, was es so Neues gibt. Dann fällt ein schräges Wort, ein falscher Satz und in der Folge gehen sich alle nacheinander – verbal – an die Gurgel. Es häuft sich halt allerlei an, wenn man sich seit Jahrzehnten kennt und die Schwächen aller anderen halt so weglächelt, übergeht, ignoriert.
Das Genre ist etwas eingeschlafen, weil Filmproduzenten wenig Gewinnchancen sehen; im Fernsehen lebt es noch fidel auf den Sendeplätzen für gehobene Filme bei ARD und ZDF Mittwochs und Montags. Matti Geschonneck ist hier mit TV-Filmen wie „Ein großer Aufbruch“ (2017) oder „Silberhochzeit“ (2006) ein erfahrener Regisseur. Jetzt gesellt sich Sönke Wortmann dazu (Frau Müller muss weg! – 2015; „Die Päpstin“ – 2009; Das Wunder von Bern – 2003; St. Pauli Nacht – 1999; Der Campus – 1998; „Das Superweib“ – 1996; „Der bewegte Mann“ – 1994; Kleine Haie – 1992; „Allein unter Frauen“ – 1991) und zeigt: Im Kino geht so etwas auch. Man darf den geselligen Abend da auf der Leinwand nur nicht ohne Witz orchestrieren.
Meine erste Intention beim Trailer war: Ich habe keine Lust, 100 Minuten Leuten dabei zuzuschauen, die sich über den Vornamen Adolf streiten. Was könnte es Langweiligeres geben – im deutschen, Fördergeld gesättigten Film?
Schön, dass ich trotzdem im Kino war: Ich habe intelligent geschriebene Gesellschaftskarikaturen gesehen. Ich habe eine Komödie gesehen, die der seit zwei Jahren zunehmenden Debattenhysterie ein Augen rollendes Hey-Leute-kommt-mal-runter-atmet-tief-durch-und-setzt-Euch-wieder-hin entgegen stellt. Ich habe fein arbeitende Schauspieler erlebt. Und, inhaltlich, ein paar Überraschungen. Die Punkte I, II und IV sind in erster Linie der Vorlage geschuldet, einem französischen Bühnenstück. Und das habe ich auch so schon im Kino gesehen, vor sechs Jahren in der französischen Verfilmung dieses Stücks. Macht aber nichts.
Denn entscheidend ist in diesem Film Punkt III, die Schauspieler, und hier ganz vorne Justus von Dohnányi als Klarinettist René, „beste Freundin“ von Elisabeth, die René so nennt, weil sie glaubt … weil alle glauben, dass der parfümierte, sich sehr bunt kleidende Musiker, schwul ist. Dohnányi zeigt in den Filmen, in denen er spielt, ein breites Spektrum, aber wenn man ihn einmal als menschliches Monster in Das Experiment (2001) gesehen hat, oder als Nazi in „Der Untergang“ (2004), bleibt es – trotz seiner großartigen Performance als schwuler Schlagersänger Bruce Berger in Männerherzen (2009) – eine immer wieder neue Überraschung, dass dieser stahläugige Schauspieler so weiche, herzensgute Männer spielen kann wie diesen Klarinettisten René. Klar: René hat auch die interessanteste Geschichte von allen Figuren. Dohnányi setzt ein … sein Krönchen drauf.
Christoph Maria Herbst, der seit seinem TV-Erfolg „Stromberg“ als ernstzunehmender Schauspieler für jede Komödie verbrannt ist, weil man insgeheim immer nur auf Strombergismen wartet, ist auf den ersten Blick denn auch tatsächlich ein Stromberg aus dem Intellektuellenmilieu, mit Cordanzügen, die er „wie eine zweite Haut“ trägt, aus denen heraus er eine unnachahmliche Arroganz verspritzt, mit der er Studenten klein, Ehefrauen in Schach hält und Gesprächspartner semantisch auseinander nimmt. Aber dieser Cordanzug-Professor steht hier eben keinen Untergebenen gegebüber, sondern Familienmitgliedern und von ihm unabhängigen Freunden.
Und wenn erstmal diese Diskussion zu Ende diskutiert ist, ob man seinen Sohn Adolf nennen darf, was nach rund 40 Minuten soweit ist, in denen Herbst noch sehr im Stromberg-Modus seinen links-liberal-aufgeklärten Cordsakkoträger spielen muss, wird deutlich, dass Herbst auch die feine Kunst des Schauspiels beherrscht. Spätestens, wenn er ins Zentrum des nächsten Shitstorms gerät, den, wenig überraschend, seine Frau entfacht, schaltet Herbst nahtlos und gekonnt auf großäugiger Dackel-Modus. Ist das große Schauspiel-Kunst? Jedenfalls ist es mehr als Stromberg!
Seine Frau spielt wunderbar Caroline Peters, die auch sich im Fernsehen einen Status erarbeitet hat, etwa als Kölner Großstadt-Cop, die in ein Eifel-Kaff versetzt wird in der Serie „Mord mit Aussicht“. Peters bekommt den schönsten Moment des Films. Da darf sie in vier tobenden Minuten zusammenfassen, was wir in den bisherigen 70 Minuten grinsend, kichernd, laut lachend begleitet haben. Nicht nur schenkt sie da den Frauen im Zuschauersaal einen deutlich vernehmbaren Seufzer, verstanden zu werden; Peters tobt sich in der Szene auch als Schauspielerin aus, dass es eine wahre Freude ist. Auch hier gilt die Erkenntnis, die ich schon zum Film Wackersdorf geäußert habe: Wie schade, dass gute Schauspieler in Deutschland so selten im Kino zu sehen sind. Und damit sind wir bei Sönke Wortmann und der Inszenierung.
Wortmann überinszeniert seine Charaktere, so als traue er ihrer Wirkung nicht so recht. Dauernd jagt er seine Kamera um den Tisch, an dem die Protagonisten streiten, so als wolle er der verbalen Dramaturgie visuelle Flügel verleihen, was aber nur dazu führt, dass wir gierig jedes Bild aufsaugen, in dem die Kamera mal stehen bleibt, uns eine Totale und den Schauspielern die Hauptrolle in der Inszenierung gönnt.
Wir erkennen da nämlich Figuren wieder, die wir aus der Nachbarschaft, dem Kollegenkreis, den Fernsehrunden kennen, wann immer wir uns über aktuelle gesellschaftliche Themen unterhalten – nur eben in der Auf-Koks-Version. Die Süddeutsche Zeitung fühlte sich nicht zuletzt wegen der herumsausenden Kamera und dem links-liberale Thesen zitierenden Christoph Maria Herbst während der Pressevorführung in eine als Actionfilm inszenierte Anne-Will-Talkshow versetzt. Dabei sitzen in diesem Film keine Politexperten, die so tun, als würden sie um das bessere Gemeinwohl streiten.
Da sitzen gut gecastete Comicfiguren, die aussehen wie unsereiner, und uns dann in 90 Minuten einen unterhaltsamen Abend bereiten.