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Plakatmotiv: 1917

Mittendrin, statt nur dabei. Auch im
Kinosessel wird der Krieg gefährlich

Titel 1917
(1917)
Drehbuch Sam Mendes & Krysty Wilson-Cairns
Regie Sam Mendes, UK, USA 2019
Darsteller

Dean-Charles Chapman, George MacKay, Daniel Mays, Colin Firth, Pip Carter, Andy Apollo, Mark Strong, Paul Tinto, Josef Davies, Billy Postlethwaite, Gabriel Akuwudike, Andrew Scott, Spike Leighton, Robert Maaser, Gerran Howell u.a.

Genre Drama, Krieg
Filmlänge 119 Minuten
Deutschlandstart
16. Januar 2020
Inhalt

Auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges sollen die beiden britischen Soldaten Schofield und Blake eine nahezu unmögliche Mission erfüllen. In einem unbarmherzigen Wettlauf gegen die Zeit müssen sie zu Fuß feindliches Gebiet durchqueren und eine Nachricht überbringen, die verhindern soll, dass Hunderte ihrer Kameraden einer anderen britischen Einheit in einen Hinterhalt der Deutschen geraten.

Auch das Leben von Blakes Bruder hängt vom Gelingen dieser Mission ab …

Was zu sagen wäre

Form follows function. Das gilt auch für diesen Film. Zwei Soldaten, über die wir kaum etwas wissen – es sind Briten, zumindest der eine hat einen älteren Bruder – sollen im Ersten Weltkrieg eine Botschaft von A nach B bringen, müssen dafür gefährliches Gelände und manche Widrigkeiten überwinden um 1.600 britische Soldaten davor zu bewahren, in einem deutschen Massaker zu enden.

So eine Geschichte in zwei Stunden Kino zu packen, ist fast unmöglich. Es passiert zu wenig. Hier und da explodieren mal Granaten, ein Flugzeug stürzt auf die beiden Hauptfiguren, es treten auch mal andere Soldaten auf. Weil aber die Prämisse lautet, dass die Deutschen sich 17 Kilometer weit zurück gezogen haben, um die britische Armee in eine Falle zu locken, ist mit wuchtiger deutscher Gegenwehr nicht zu rechnen. Und wenn in einem Film 1.600 unbekannte Soldaten an einer Front sterben, ist das allgemein tragisch, für einen Kinofilm aber nicht ausreichend spannend. Also bekommt der eine der beiden Soldaten einen Bruder, der mit den 1.599 anderen bedroht ist; das erhöht die emotionale Spannung. Ein bisschen. Es macht die Motivation für die Mission persönlicher. Aber kaum spannender.

Dann war der Erste Weltkrieg auch noch der erste Stellungskrieg in der an Kriegen reichen Geschichte. Es wurden Schützengräben ausgehoben, in denen bei Matsch und Schnee die Soldaten ausharrten und dem Gegner Landgewinne im Zentimeterbereich abtrotzten. Keine bunten Uniformen aus dem 19. Jahrhundert, keine lauten Panzerschlachten oder jene Invasion in der Normandie im Zweiten Weltkrieg, die Steven Spielberg wuchtig und physisch verarbeitete, kein Vietnam-Dschungel. Deswegen gibt es nur wenige Filme über den ersten Weltkrieg. Howard Hawks erzählte in Sergeant York (1941) eine Wehrertüchtigungsballade für Weltkrieg II, Stanley Kubrick hat mit Wege zum Ruhm (1957) diesen Krieg als Drama über Macht und Eitelkeit unter französischen Offizieren erzählt, denen Menschenleben nichts, Ordnung und Karriere alles bedeuten. Lewis Milestone verfilmte 1930 Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, jenen Klassiker, der den angeblich glorreichen Krieg als sinnloses Gemetzel unter einfachen Bürgern entlarvte. Anderes als zwischenmenschliches Drama, das sich allerdings auch in allerlei anderen, weniger matschigen Kulissen erzählen lässt, gibt dieser Krieg aus filmischer Hinsicht kaum her. Vor zwei Jahren tobte sich Wonder Woman im Ersten Weltkrieg aus – aber das war Comic.

Plakatmotiv (IMAX): 1917Trotzdem will Sam Mendes diese Geschichte erzählen (James Bond 007: Spectre – 2015; James Bond 007: Skyfall – 2012; "Zeiten des Aufruhrs" – 2008; Jarhead – Willkommen im Dreck – 2005; Road to Perdition – 2002; American Beauty – 1999). Ursache sei sein Großvater, ein Veteran des Ersten Weltkriegs; der habe ihm als Kind Geschichten erzählt und sein Film soll nun auf irgendeine Weise den Opfern dieser „verlorenen Generation“ Tribut zollen. Starke persönliche Motivation. Er will den Männern und – daheim wartenden – Frauen dieses fernen Krieges ein Denkmal errichten. Um seiner Depesche-von-A-nach-B-Story jenen Wumms zu verleihen, der auf der großen Leinwand funktioniert, greift Mendes in die Form der Erzählung ein und inszeniert seinen Kriegsfilm in einer einzigen Einstellung, als Quasi-One-Shot, bei dem die Kamera läuft und läuft und läuft.

Vom Kinosessel aus sieht es aus, als habe der Cutter leichtes Spiel gehabt: Titelvorspann an erste Einstellung kleben, nach etwas über einer Stunde für eine Ohnmacht eine Schwarzblende setzen und schließlich noch den Abspann dran kleben – zu schneiden oder montieren gibt es dazwischen ja nichts. Dass es tatsächlich doch viel mehr einzelne Einstellungen waren, die Mendes, sein Cutter Lee Smith und die moderne VFX-Technologie zu einer Einstellung verzaubert haben, mag man bei einem filmisch so komplexen Projekt wissen wollen. Für die Dramatik des Films ist es unerheblich.

Anders ausgedrückt: Mit der One-Shot-Technik wird aus der mauen Geschichte, was Mendes erreichen wollte: ein packendes Drama über die Leiden im Ersten Weltkrieg, das viele kleine Geschichten – vielleicht aus Großvaters Erinnerungen – erzählt. Im Zuschauersessel Nachos knabbernd robben wir mit den Soldaten durch den Schlamm des Schlachtfeldes, kriechen über Leichenberge, erleben die Hoffnungslosigkeit der Mission angesichts der verrinnenden Zeit, denn "kein Schnitt" heißt auch "kein Zeitsprung". Und kein Zeitsprung heißt: Wir im Kinosessel müssen da jetzt mit durch, egal was passiert, auch wenn nichts passiert und wir uns die Zeit mit Kameraden-Anekdoten totschlagen.

Auf diese Weise rücken plötzlich die anonymen 1.599 Soldaten und der Bruder doch wieder ins dramatische Begehren des Zuschauers: Wenn ich schon eineinhalb Stunden lang mit den Hauptfiguren in Leichen trete, von Ratten angefallen werde, durch den Schlamm robbe, von Scharfschützen überfallen werde, dann will ich auch verdammt nochmal diese Nachricht erfolgreich aushändigen!

Die One-Shot-Technik hat ihre Tücken. Und auch in diesem Film funktioniert sie nicht überall. Ohne die Möglichkeit eines Zeitsprungs muss immer was passieren. Und also legt sich Lance Corporal Schofield mit einem Scharfschützen an. Anstatt einfach einen kleinen Bogen um ihn herum zu schleichen, gefährdet er sein Leben und die Mission, um diesen Typen auszuschalten. An anderer Stelle taucht in einem Keller eine Französin auf, die sich um ein Baby kümmert; da greift Mendes dann tief in den Kriegskitsch. An solchen Stellen stottert der Erzählmotor. Gibt aber den geschundenen Hauptfiguren Momente fürs Durchschnaufen.

Sam Mendes hat einen großartigen Film gemacht, der vor allem in der ersten Hälfte schwer zu ertragen ist, weil wir die physische Nähe schwer aushalten können. Roger Deakins und seine Kameracrew ("Der Distelfink" – 2019; Blade Runner 2049 – 2017; Hail, Caesar! – 2016; Sicario – 2015; James Bond 007: Skyfall – 2012; In Time – Deine Zeit läuft ab – 2011)  haben eine Leistung abgegeben, die ohne Beispiel ist. Der Film geht nah, weil am Ende die Botschaft steht: Schlacht gewonnen, der Krieg aber geht einfach weiter: „Nächtste Woche kommt ein neuer Befehl, Angriff im Morgengrauen!

Wertung: 7 von 8 €uro
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