Charles Rankin ist Geschichtsprofessor in einer idyllischen Kleinstadt in Connecticut und steht kurz davor, die Tochter eines Richters des Obersten Gerichtshofs zu heiraten. Aber sein Name ist falsch und seine Vergangenheit ist schmutzig. Niemand ahnt, dass er in Wirklichkeit Franz Kindler heißt und bis Kriegsende Kommandant deutscher Todeslager war, ehe es ihm gelang, sich perfekt getarnt in die USA abzusetzen.
Da kein Foto aus seiner Vergangenheit existiert und er auch sonst alle Beweisstücke vernichten konnte, fühlt er sich in der Kleinstadt Harper sicher. Am Vorabend seiner Hochzeit mit Mary Longstreet kommen allerdings zwei fremde Männer in die Stadt, die für Unruhe sorgen: Konrad Meinike, gefolgt von Inspektor Wilson. Ersterer gehörte zu Kindlers damaligen Offizieren. Er wurde freigelassen in der Hoffnung, dass er den Kriegsverbrecher-Jäger Wilson auf die Spur des flüchtigen Nazis bringen könnte.
Rankin begreift sofort, wie gefährlich Meinike für ihn ist, und tötet ihn. Wilson schöpft schnell Verdacht, doch um Rankin zu überführen, braucht er die Hilfe von dessen junger Ehefrau. Aber diese will einfach nicht glauben, was Wilson gegen ihren Mann vorbringt, vertraut sich diesem an und bringt sich selbst dadurch in tödliche Gefahr.
Rankin will auch sie als Bedrohung seiner Tarnidentität aus dem Weg schaffen und einen Unfall vortäuschen, bei dem seine Verlobte ums Leben kommen soll. Dass ihm seine Faszination für den örtlichen Uhrenturm zum Verhängnis werden könnte, ahnt er nicht …
Wo sind sie eigentlich, all die Nazis, die die Kos kommandiert haben, Menschen im Dutzend vor Erschießungskommandos gestellt haben? In die neue Welt sind sie verschwunden, fühlen sich zu Unrecht verfolgt, haben doch nur Befehle befolgt. Die neue Welt ist groß, heute – ich sehe den Film 1978 – wissen wir, dass sich viele nach Südamerika abgesetzt haben. Orson Welles hat fünf Jahre nach seinem Citizen Kane (1941) seinen Film im beschaulichen Connecticut angesiedelt, das geographisch eingebettet ist zwischen dem neuenglischen Massachussetts im Norden und New York im Süden mit seinem mondänen Long Beach.
Die Geschichte spielt in der Kleinstadt Harper, eine Heart-of-America-Stadt. In Harper ist nichts, was man fürchten müsste. Die Sonne scheint. Wenn die Glocke des Kirchturms nach Jahren wieder läutet, kommt die ganze Bevölkerung zusammen, die Menschen sind freundlich, einander zugewandt, wenn ein Fremder kommt, wird er gleich in ihre Mitte genommen; der philosophierende Gemischtwarenhändler Mister Potter ist das Zentrum, die Seele des Städtchens und er schummelt beim Dame-Spiel um 25 Cent. Orson Welles feiert den American way of living.
Mitten unter diesen freundlichen Amerikanern sitzt das deutsche Grauen. Orson Welles hat den Film 1946, ein Jahr nach Kriegsende gedreht. Damals war das Grauen aus Deutschland jenseits des Atlantiks noch unbekannt und bei Aufdeckung entsprechend schockierend, was vielleicht zu dem überzogenen Finale beigetragen hat, in dem die vor Zorn brodelnde Bevölkerung der freundlichen Kleinstadt den Nazimörder kassieren will. Im selben Jahr 1946 hat Alfred Hitchcock Berüchtigt gedreht, der sich auch mit versteckten Naziverbrechern befasst. Diese wurden in der deutschen Fassung, die 1951 in die deutschen Kinos kam, noch als südamerikanische Drogenschmuggler hingestellt; erst in der Wiederaufführung 1969 im ZDF bekamen auch deutsche Zuschauer die Originalgeschichte zu sehen und zu hören. Der vorliegende Film von Orson Welles liegt überhaupt erst seit 1977 in deutsch synchronisierter Fassung vor.
"The Stranger" gilt als erster Spielfilm, der authentische Aufnahmen aus deutschen Konzentrationslagern zeigt. Er lässt uns zunächst in der Luft hängen, zeigt uns einen Zorn bebenden Edward G. Robinson (Gefährliche Begegnung – 1944; Frau ohne Gewissen – 1944; Orchid, der Gangsterbruder – 1940; Wem gehört die Stadt? – 1936; Der kleine Cäsar – 1931), der seine Pfeife zerschmettert, während er die Freilassung eines Menschen fordert, der ein Monster sei. Dann folgt der Film lange einem hageren, weißblonden Mann, den wir nicht erklärt bekommen, dem ein Mensch folgt, der eine mit Tape geklebte Pfeife bei sich hat; während letzterer noch leicht als der Robinson-Charakter identifiziert werden kann, der sich als so beharlich herausstellt, wie sein Detektive in Frau ohne Gewissen, ist der Weißblonde unklar: Ist er das Monster, von dem zu Beginn die Rede war? Ist er nicht, wie im zweiten Drittel klar wird, spätestens, als er tot im Wald verscharrt wird. Der Film verzichtet auf alles psychologisierende Dickicht, weist stattdessen mit Licht und Schatten, mit Typisierung durch Dialog und Bildschnitt klar die Position der handelnden Figuren zu.
Welles selber hat den Film lange als seinen schlechtesten bezeichnet, vielleicht, weil er so plakativ ist. Er hat nichts Geheimnisvolles. Es gibt GUT und BÖSE, Welles filmt in kontrastreichem Schwarz-Weiß mit harten Schlagschatten. In diesen Bildern ist kein Platz für Grautöne. Das war 1946 schon nicht mehr so ganz neu, spätestens seit seinem Citizen Kane hatten sich Regisseure und Kameraleute sein raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten abgeschaut.
Heute erscheint genau dieses Kleinstadt-Setting mit den klaren Schatten, dem freundlichen Über-den-Tisch-ziehen beim Dame-Spiel, mit den Menschen, die den US-amerikanischen Pioniergeist verkörpern und jeden in ihrer Mitte aufnehmen, der ihre Werte teilt – solange er diese teilt – als Grundlage für die Spannung, die der Film die ganze Zeit hält. Es sind lauter Menschen, die naiv erscheinen – aber nur so lange, bis wir uns selbst hinterfragen und dabei feststellen, dass wir auch nicht hinter dem freundlichen Schullehrer einen Massenmörder erkennen würden.