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Plakatmotiv: The Power of the Dog (2021)

Eine anstrengende Geschichte, die
sich hinter Andeutungen verbirgt

Titel The Power of the Dog
(The Power of the Dog)
Drehbuch Jane Campion
nach einem Roman von Thomas Savage
Regie Jane Campion, UK, Kanada, Aus., Neuseeland, USA 2021
Darsteller

Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Kodi Smit-McPhee, Geneviève Lemon, Kenneth Radley, Sean Keenan, George Mason, Ramontay McConnell, David Denis, Cohen Holloway, Max Mata, Josh Owen, Alistair Sewell, Eddie Campbell, Alice Englert, Bryony Skillington, Jacque Drew u.a.

Genre Komödie, Drama, Romanze
Filmlänge 126 Minuten
Deutschlandstart
18 November 2021
Inhalt

1925. Zwei Brüder, die gemeinsam eine große Ranch in Montana besitzen, versuchen auf ihre Weise das gemeinsame Land zu führen. Allerdings könnten Phil und George unterschiedlicher nicht sein: Während Phil mit Strenge und Härte auf der Farm anpackt, will sich George der Kontrolle seines Bruders entziehen. Er legt mehr Wert auf teure Autos, gute Kleidung und ein Leben fernab von Rindern und Feldarbeit.

Die Heirat mit der Witwe Rose könnte sein Ausweg aus seinem bisherigen Leben sein. Zusammen mit ihr und ihrem Sohn Peter will er auf der Ranch einen neuen Lebensabschnitt markieren. Die Fronten zu seinem Bruder Phil scheinen sich durch die Anwesenheit von Rose jedoch nur zu verstärken.

Von familiärer Liebe und Gastfreundlichkeit ist nichts zu spüren. Allerdings beginnen sich die Machtverhältnisse nach und nach zu verschieben …

Was zu sagen wäre

Eine Frau auf dem Regiestuhl für einen Western. Eine versierte Filmemacherin arbeitet sich an einem der männlichsten Genres ab, die die Filmbranche kennt. Nicht, dass es nicht auch Western gäbe, in denen mal eine Frau was zu entscheiden hat, manchmal tauchte sogar eine im Titel auf, wie in Die vier Söhne der Katie Elder (1965), aber die war dann auch schon tot, als die Geschichte begann. Auch Sharon Stone durfte mal ins Duell auf sonnendurchfluteter Main Street ziehen ("Schneller als der Tod", 1995). Der Western aber bleibt das Habitat des heute von der Straße als "toxisch" eingeschätzten alten weißen Mannes.
Diese Bastion will nun Jane Campion schleifen, Neuseeländerin und 1993 für ihren Film Das Piano für einen Regie-Oscar nominiert. Schon der Titel ist geheimnisvoll, "The Power of the Dog", und geheimnisvoll geht es auch los. Der Film ist in Kapitel unterteilt, die jeweils mit römischer Ziffer kenntlich gemacht werden – I, II, III, IV und so weiter. Warum das so ist, erschließt sich nicht. Die römischen Ziffern auf schwarzem Hintergrund geben der Regisseurin die Freiheit, ihren Film nicht bündig erzählen zu müssen. Zwar erzählt sie eine zeitlich stringente, fortlaufende Handlung, aber es hängt nicht alles unmittelbar zusammen. Notwendig macht auch das aber die Kapitel nicht. Es passiert, Stichwort: Geheimnisvoll, wenig.

Zwei Brüder werden eingeführt, die eine Ranch besitzen und gerade ihr Vieh in die Stadt treiben. Der eine ist ein gemütlicher dicklicher, der nicht viel redet. Der andere ist ein Schwätzer, der gerne den Macker raushängen lässt – vor seinen Leuten, die das super finden, und auch gegen den feingliedrigen Denker Peter, Sohn der Witwe Rose, die der gemütliche dickliche Bruder, George, alsbald zur Frau nimmt. Auf der Ranch sorgt das für Unruhe. Phil, der Macker-Bruder, spürt seine Felle davonschwimmen. Es wird nicht so recht klar, aber er träumt offenbar von einer Ranch, die von einem starken Brüderpaar geleitet wird, die die Dinge Hand in Hand regeln. Was braucht man da eine Frau? Zumal im Haushalt eine angestellte Köchin plus Magd arbeiten? Dass Phil die Ranch nicht einfach alleine leitet und froh wäre, wenn sein Bruder sich raushielte, muss mit Bronco Henry zusammenhängen, der in Phils Jugend sowas wie Phils Vorbild und Mentor gewesen sein und Phils archaisches Männerbild geprägt haben muss. Von Bronco Henry redet Phil ununterbrochen; wenn er nicht liebevoll dessen Sattel pflegt, der einen Ehrenplatz im Stall hat. Bronco Henry konnte in den Schatten der Berge am Horizont immer das aufgerissene Maul eines Hundes erkennen, so wie Phil. Niemand sonst kann das noch. Vielleicht mag Phil die Ranch deshalb nicht alleine mit seinen Männern leiten, die den Hund nicht sehen können. Er benimmt sich rüde gegenüber Rose, die bald dem Alkohol verfällt, und gegen deren Sohn Peter, der in den Ferien zu Besuch ist, aber lieber über seinen Anatomiebüchern – ein Erbe seines Vaters – als auf Pferden hängt. Aber: Peter erkennt den Hund in den Schatten der Berge. Phil ist … angetan.

Zwischendurch erfüllt Jane Campion die Must Haves eines Western und lässt ihre Kamerafrau Ari Wegner (Lady Macbeth – 2016) epische Landschaftsbilder malen mit dramatischen Wolkenformationen, Rinderherden, mal ein paar Häuser, die die "Stadt" bilden und tief stehender Sonne – die Geschichte spielt in Montana, gedreht wurde aber komplett in Neuseeland –, aber dann geht's zurück ins Kammerspiel, das schön anzuschauen ist, weil nicht nur Kamerafrau Ari Wegner einfühlsam ausleuchtet, sondern auch, weil die Ausstatter beeindruckende Sets aufgebaut haben. Plakatmotiv: The Power of the Dog (2021) Ein Duell auf offener Straße, eine Stampede, gar einen Eisenbahnüberfall, die im Allgemeinen das Rahmenprogramm eines Western bieten, gibt es nicht. Jane Campion interessiert sich für die Männer des Westens, deren Zusammenleben und Verhaltensweisen. Viele Szenen verwendet sie darauf, wie Phil seine Führungsrolle mit Herrschaftsgesten untermauert, breitbeinig, zusammenstauchend, stolz reitend, Mitarbeiter der Dummheit zeihend. George, der Dickliche, verschwindet zwischenzeitlich ganz aus dem Film. Er ist mit seinen Gedanken irgendwo anders, will womöglich irgendwo ein Geschäft mit den Rindern etablieren, wir erfahren es nicht. Wenn er Zuhause ist, kümmert er sich um Rose und versucht, die überall herum liegenden Schnapsflaschen zu übersehen. Phil macht, George will Ruhe und Peter am liebsten gar nicht hier sein. Das ist die Versuchsanordnung, in der die Regisseurin ihre Männer aufeinander los lässt.

Aber weil der eine Bruder nun mal eben häufig gar nicht da ist, fehlt dem Film ein Sparringspartner für Phil, der Leben auf die Leinwand bringen würde. Der junge Peter wehrt sich auf seine Weise und die ist weder laut noch physisch. Da kämpfen still und wenig auffällig die alte und die neue Zeit miteinander, die Geschichte spielt 1925, die Moderne hält langsam Einzug, erste Autos fahren durchs Bild. Während Phil laut und hässlich seine Macht ausspielt, legt der Grübler Peter seine Fallstricke mit Geduld aus; Bildung, also die neue Zeit, gegen Handarbeit, also die alte Zeit. Harte Kerle gegen weiche Kerle oder: Toxische Männer gegen zivilisierte Männer.

Als Peter in Phils geheimem Versteck mehrere Zeitschriften findet, auf denen Bronco Henrys Namen steht und in denen nackte Männer abgebildet sind und Phil draußen im Wasser mit Bronco Henrys Halstuch masturbiert, lässt sich Phils Homosexualität nicht mehr leugnen. Phils große Lebenslüge, die im Film vorher immer mal wieder anklingt, etwa wenn der harte Kerl, das Arschloch, plötzlich sanft das Banjo spielt, oder wenn er offenbar eifersüchtig auf die harmlose neue Schwägerin ist. Weiter geht der Film auf das Thema nicht ein. Im Gegenteil macht er bis dahin ein Rätsel daraus, das der Zuschauer sukzessive hinter subtilen Andeutungen und Metaphern erkennen soll. Subtil, wie etwa der mächtige Stamm, den Phil in ein Erdloch rammt, während er mit Peter spricht. Der harte Kerl unterdrückt seit Bronco Henrys Tod homoerotische Neigungen, deshalb reagiert er so harsch auf alle Abweichungen vom geschlechtsspezifischen Verhalten unter seinen Cowboys oder bei Peter. Die Buchvorlage ist aus dem Jahr 1967, damals war das Thema noch ein verdrucktes, verbotenes. Jetzt, 2022, erscheint das Thema alt. Da hat die Zeit die Buchvorlage überholt. Der Film überlässt es dem Zuschauer, ob der ein Thema daraus macht oder eben nicht. Man kann auch einfach zusehen, wie der gedemütigte Peter sich und seine gedemütigte Mutter aus dem Joch dieses Onkels/Schwagers befreit. Aber das ist eine zähe, sehr langsam erzählte Geschichte.

Der Western unter der Regie einer Frau ist das Porträt einer aussterbenden Art: Des dominanten Mannes. Aber nicht, weil der homosexuell wäre, sondern weil er sich dem Fortschritt verweigert und der heißt "Miteinander", "Gemeinsam". Also wird der dominante Mann vom Fortschritt sehr raffiniert aus dem Weg geräumt. Diesen unangenehmen Phil spielt überraschend rau und feindselig Benedict Cumberbatch, den wir eher aus belesenen, intellektuellen Rollen kennen (1917 – 2019; Avengers: Endgame – 2019; Thor: Tag der Entscheidung – 2017; Doctor Strange – 2016; The Imitation Game: Ein streng geheimes Leben – 2014; Im August in Osage County – 2013; 12 Years a Slave – 2013; Star Trek Into Darkness – 2013; Gefährten – 2011; Dame, König, As, Spion – 2011; Four Lions – 2010; Die Schwester der Königin – 2008; Abbitte – 2007).

Die titelgebende Kraft des Hundes erweist sich am Ende als Stelle aus der Bibel. Da heißt es in Psalm 22 (Leiden und Herrlichkeit des Gerechten), „Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde!“ Die Hunde gelten in dem Psalm als Aasfresser, vor denen der HERR den Flehenden beschützen soll.

"The Power of the Dog" hat grandiose Landschaften, wunderschöne Bilder, beeindruckende Kulissen. Und Metaphern statt einer Geschichte.

Wertung: 3 von 8 €uro
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