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Plakatmotiv: Durchgeknallt (1999)

Zwei Göttinnen auf
verdörrtem Zelluloid

Titel Durchgeknallt
(Girl, interrupted)
Drehbuch James Mangold & Lisa Loomer & Anna Hamilton Phelan
nach dem autobiographischen Buch von Susanna Kaysen
Regie James Mangold, USA, Deutschland 1999
Darsteller

Winona Ryder, Angelina Jolie, Clea DuVall, Brittany Murphy, Elisabeth Moss, Jared Leto, Jeffrey Tambor, Vanessa Redgrave, Whoopi Goldberg, Angela Bettis, Jillian Armenante, Drucie McDaniel, Alison Claire, Christina Myers, Joanna Kerns u.a.

Genre Biografie, Drama
Filmlänge 127 Minuten
Deutschlandstart
15. Juni 2000
Inhalt

Die USA, späte 60er Jahre: Eine Packung Aspirin, runtergespült mit einer Flasche Wodka. Das sieht schon unter alltäglichen Gesichtspunkten nicht gut aus. Aber Susanna Kaysen war in den vergangenen Monaten immer schon ein wenig labil, scheint also, kann man sagen, sich um einen Suizidversuch gehandelt zu haben.

Susanna kommt nach Claymoore. In der psychatrischen Anstalt soll sich die junge Frau erholen. Ihre Eltern, konservative gute Mitglieder ihrer gläubigen, wohl situierten Gemeinde, glauben, das Mädchen sei mit dem High-School-Abschluss, der ungewissen Zukunftsperspektive und einer allgemeinen Aversion überfordert. Die Symptome ihrer Störung sind vage genug, um einen durchschnittlichen Teenager zu diagnostizieren. Aber Susanna war in den zurückliegenden Wochen auch sexuell aktiv; unter anderem hat sie mit dem Mann der Nachbarin geschlafen – was dieser offenbar anders interpretiert hat als sie. Und die Gesellschaft um sie herum auch. Susanna ist ein Junge. Jungen schlafen mit vielen Mädchen, Mädchen nicht mit vielen Jungs.

In der Klinik trifft Susanna auf Lisa, eine schwer zu bändigende, rebellische junge Frau, die scheinbar nach ihren eigenen Regeln lebt und im Kreis der wenigen Patientinnen die Wortführerin zu sein scheint. Schnell werden die beiden Freunde. Durch Lisas Einfluss aber droht Susanna in eine imaginäre Welt abzudriften.

Nach einiger Zeit reißen sie zusammen aus und besuchen Daisy, eine ehemalige Patientin. Dort kommt es dann zum Schlimmsten: Nach einem heftigen Streit erhängt sich Daisy und für Susanna ist die Flucht hier zu Ende.

Plakatmotiv: Durchgeknallt (1999)Mit Hilfe der leitenden Psychologin und der engagierten Krankenschwester Valerie gelingt es Susanna, den Weg in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sie versteht, dass sie ihr Leben ändern muss, wenn sie nicht den Rest ihres Lebens in der Anstalt verbringen will …

Was zu sagen wäre

James Mangold (Cop Land – 1997) verfilmt die Autobiografie einer jungen Frau, die ihre Zeit in der Psychiatrie aufgearbeitet hat. Das Buch ist ein großer Erfolg an der Kasse geworden und zunächst sieht es danach aus, als könne Mangold diesen Erfolg auf die Leinwand transferieren. Anfangs macht er sich das leicht, bleibt mit der Kamera meist close auf dem unsicher umher huschenden Rehaugen-Gesicht Winona Ryders (Celebrity – Schön, reich, berühmt – 1998; Alien – Die Wiedergeburt – 1997; Ein amerikanischer Quilt – 1995; Betty und ihre Schwestern – 1994; Reality Bites – Voll das Leben – 1994; Das Geisterhaus – 1993; Zeit der Unschuld – 1993; Bram Stokers Dracula – 1992; Meerjungfrauen küssen besser – 1990; Edward mit den Scherenhänden – 1990; Great Balls of Fire – 1989; Beetlejuice – 1988). Und als dann erstmal die Eltern einen längeren Auftritt haben – Typ: Kind, benimm Dich! Was sollen denn die Nachbarn denken? – wird klarer, warum dieses verhuscht wirkende Mädchen Aspirin und Wodka in Großmarktmengen eingeworfen haben könnte.

In den ersten zwanzig Minuten entfaltet Mangold ein psychologisches Panorama, aus dem eine spannende, komplexe Geschichte zu werden verspricht, denn erst nach und nach schält sich heraus, dass diese Geschichte nicht in den vergangenen zehn Jahren spielt. Die Story beginnt ungefähr 1967 – in den TV-Nachrichten wird in der Filmmitte mal über den Mord an Martin Luther King im April 1968 berichtet. Damals war das Leben für Frauen, für junge Frauen zumal, noch lange nicht so freizügig wie jetzt kurz vor der Jahrtausendwende. Mit dieser Einordnung sind wir im Kinosessel durchaus eine Zeitlang beschäftigt, in der uns der Film mit den Protagonistinnen und dem Schauplatz vertraut macht. Da liegt schnell der Vergleich zu Milos Formans Einer flog über das Kuckucksnest (1975) nahe: Ein Sanatorium, eine mehr oder weniger inkorrekt Eingewiesene. Und charmante Insassen. Aber nach einer halben Stunde bleibt der film stehen und tritt fortan auf der Stelle.

Wir erinnern uns: Der Film ist die Leinwandadaption einer Biografie. Nicht der Roman über Missstände in der Psychiatrie. Bedeutet: Bis zu Susannas Entlassung gibt es zwar noch ein zwei dramaturgische Peaks. Aber wirklich entwickeln – im Sinne von weiter entwickeln – tut sich nichts mehr. Automatisch wird Lisa zum schillernden Dreh- und Angelpunkt des Dramas. Lisa bricht immer wieder aus aus dem Sanatorium, führt das große Wort, wirkt unverwundbar, eine, die den Laden durchschaut und das Personal um den Finger wickelt. Weil wir imm Kinosessel genauso fremd sind wie Susanna, sind wir dankbar, dass sie die Führung übernimmt. Und Angelina Jolie ist für diese Rolle nicht ohne Grund mit dem Nebenrollen-Oscar ausgezeichnet worden. Jolie spielt Lisa mit spöttischer Verachtung für alles Normale. Sie ist ein Ekelpaket – genau betrachtet – aber in dieser fremden Umgebung für Susanna (und uns Zuschauer) genau die Richtige, eine echte Identifikationsfigur. James Mangold hat das geschickt aufgebaut und in Angelina Jolie eine tolle Besetzung gefunden (Der Knochenjäger – 1999; Leben und lieben in L.A. – 1998).

Aber je näher der Film dann seinem Finale kommt, desto plätschernder wird die Dramaturgie. Desto klarer wird, dass der Film eigentlich in den ersten 30, 40 Minuten schon alles gesagt hat – Frauen und ihre Rechte und Freiheiten in den 60er Jahren. Was jetzt noch kommt, ist handwerklich ordentliche Auflösung einer dramatisierten Biografie, mit einem Off-Text, der nochmal Gänsehaut schafft, wo der Film mich im Kinosessel aber schon verloren hat.

Wertung: 5 von 11 D-Mark
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