Taschenbuchcover: Breaking News (2014)

Frank Schätzings
Opus Magnum

Titel Breaking News
Autor Frank Schätzing, Deutschland 2014
Verlag Fischer Verlag
Ausgabe Taschenbuch, 955 Seiten
Genre Thriller
Website frank-schaetzing.com
Inhalt

Tom Hagen, gefeierter Star unter den Krisenberichterstattern, ist nicht zimperlich, wenn es um eine gute Story geht. Die Länder des Nahen Ostens sind sein Spezialgebiet, seine Reportagen Berichte aus der Hölle. Doch in Afghanistan verlässt ihn sein Glück. Eine nächtliche Geiselbefreiung endet im Desaster. Hagens Ruf ist ruiniert, verzweifelt kämpft er um sein Comeback.

Drei Jahre später bietet sich die Gelegenheit in Tel Aviv, als ihm Daten des israelischen Inlandgeheimdienstes zugespielt werden. Hagen ergreift die Chance – doch was ein journalistischer Coup zu werden verspricht, entwickelt sich unversehens zu einer Hetzjagd durch die explosivste Region de Welt. Als Hagen in der jungen Ärztin Yael Kahn eine unerwartete Verbündete findet, erkennt er, dass auch sein Schicksal eng mit der Geschichte des Landes verbunden ist. Doch mit Yael an seiner Seite gehen die Probleme erst richtig los.

Auf der Flucht vor Geheimagenten und Killern kämpft Hagen ums nackte Überleben – gegen eine Verschwörung, deren Anfänge ins koloniale Palästina zurückreichen, in eine von Mythen durchzogene Epoche, als die Saat für den Nahostkonflikt gelegt wurde.

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Breaking News

Der Inhalt, den ich oben aus dem Klappentext des Buches zitiere, gibt nur marginal wieder, wovon dieser Roman erzählt. Der Handlungsfaden mit dem israelischen Inlandsgeheimdienst fächert sich erst nach etwa 400 Seiten auf. Und wird dann rasant. Dieses Buch ist aber mehr, als bloßer Thriller. Es wirkt, als hielte ich hier Schätzings Opus Magnum in der Hand.

Frank Schätzing gehört zu den Autoren, die ich gerne lese; da lese ich in erster Linie einen Schätzing-Roman und nicht ein literarisch wertvolles Buch über das Mittelalter, Superhelden oder Frauen. Schätzing recherchiert im Vorfeld gründlich und destilliert aus seinen Recherchen spannende Geschichten mit Wow-Szenen. Nicht nur in Der Schwarm hat er das 2004 schon mal gezeigt, aber nicht nur da. "Breaking News" ist in erster Linie ein Roman über den Nahostkonflikt. Dann ist er ein Familienepos, das vier Generationen umspannt. Und dann gibt es da auch noch die schon angedeutete Verschwörungsgeschichte in hohen Geheimdienstkreisen.

Schätzing schreibt, wie er spricht

Schätzing ist in seinem Element. Das selten auch mein Element ist. Der Mann schwafelt gerne, ausschweifend. Seine Texte verlieren sich in Beschreibungen und Gedanken einer Romanfigur, die häufig nichts zu deren Charakterisierung beitragen, aber die Ansichten des Autors zu diesem und jenem gesellschaftspolitischen Zustand transportieren. Er hat dann halt mal gesagt, wie unsinnig er die Spirale der nahöstlichen Gewalt findet. Wir erfahren in einem Satz nicht unbedingt, was ein israelischer Siedler in den 1930er Jahren von Palästinensern, die vermeintlich das gelobte Land besetzen, hält; oder Palästinenser davon, dass immer noch mehr einwandernde Flüchtlinge ihnen unter englischem Schutz ihr Land wegnehmen. Stattdessen erfahren wir Schätzings Haltung zu dem Konflikt, die er als der auktoriale Erzähler kommentierend in die Erzählung einflechtet.

Schätzing schreibt, wie er spräche, säße er gerade auf einer Bühne vor an ihm sehr, an Politik kaum interessiertem Publikum, um ihm den Nahostkonflikt nahezubringen – nahbar, verständlich, schnoddrig. Auf knapp 1.000 Seiten bevölkern zahllosen Menschen dieses Epos – Deutsche, Israelis, Araber, Gläubige, Ungläubige, Frauen, Männer, Junge, Alte. Es sind unterschiedliche Charaktere und wir haben jeden einzelnen differenziert vor Augen. Schätzing beschreibt sie mit grobem Strich, gerade so klar, dass seine Leser sich ein eigenes Bild formen können, ohne sich in der Vielzahl zu verirren. Obwohl sie alle ähnlich formulieren, Jung und Alt dieselbe coole Sprache nutzen, Israelis und Palästinenser zur Auflockerung mit ironischen Erwiderungen antworten, wo ein Ja oder Nein genügte. In der Sprache sind bei Schätzing alle Menschen gleich.

Der ewige, schwer zu verstehende Nahostkonflikt kommt uns hier persönlich sehr nah

Dieser ziegelsteindicke Roman ist eine Wucht. Ich lese ihn erst elf Jahre nach seinem Erscheinen. Er erschien 2014 kurz nach der zweiten palästinensischen Intifada in Israel, die zum x-ten Mal Leid und Verderben (auf beiden Seiten) über diesen Landstrich brachte. Damals war die israelische Besiedlung des nördlichen Gazastreifens noch nicht lange beendet. Als ich den Roman lese, liegt das Massaker der Hamas aus dem selbstverwalteten Gazastreifen an Israelis am 7. Oktober 2023 und der darauf folgende und bis dato andauernde israelische Großangriff auf den Gazastreifen noch keine zwei Jahre zurück. Ein Krieg, den ich, von welcher Seite aus ich ihn auch betrachte, nie verstanden habe. Nach Ende der Lektüre dieses Buches verstehe ich ihn ein bisschen mehr, denn an der Ausweglosigkeit dieses ewigen Konflikts, den schon der Roman innerhalb seiner nur teils erfundenen Welt nicht beenden konnte, hat sich nichts geändert. Es scheint immer nur noch schlimmer zu werden.

Aber jetzt habe ich Gesichter – fiktiver Charaktere und solcher, die wirklich gelebt haben – für diesen Konflikt/Krieg vor Augen, auf beiden Seiten der Geschütze; und bekam Gelegenheit, sie abseits der in Newsfeeds und schnellen TV-Bildern veröffentlichten Klischees schätzen zu lernen, ich fühle mich nah am erzählten Geschehen. Schätzing steigt 1929 in den blutigen Konflikt ein und springt in der Folge je Kapitel zwischen den Jahrzehnten. Ich habe israelische Familien kennengelernt, die 1929 vor dem herauf dämmernden Antisemitismus aus ganz Europa nach Palästina geflohen sind und sich in karger, verbrannter Erde eine Existenz aufbauen. Schätzing holt weit aus, um mir diesen Konflikt so fassbar wie möglich zu machen – wobei ich nur vermuten kann, dass er mir keinen heillosen Blödsinn erzählt, sondern recherchierte Fakten dramaturgisch verdichtet. Aber genau das ist ja sein Ruf.

Das Epos verquickt virtuos Fakten und Fiktion

Nach der desaströsen Geiselbefreiung in Afghanistan, mit dem der Roman beginnt, um in Kriegskorrespondent Tom Hagen eine Hauptfigur einzuführen, die für den im Klappentext skizzierten Thriller erst nach rund 400 Seiten entscheidend wird, springt Schätzing von 2008 nach 1929 und dann in schnellen Schritten bis nach 1944. In Palästina wächst der Terror auf beiden Seiten. Die Araber, die sich von der englischen Besatzung, die tatenlos zusieht, wie immer mehr Juden in Haifa die Schiffe verlassen, um in Israel zu siedeln, im Stich gelassen fühlen und also mordend und brandschatzend gegen die Neuen vorgehen. Und die zu Beginn noch sehr säkularen, mitteleuropäischen Juden, die von Eiferern zunehmend mit religiösem Pathos vergiftet werden und dann zurück bomben.

In seiner bisweilen ins Belehrende driftenden Sprache bringt das Buch uns beide Seiten nahe, versucht, nicht Partei zu ergreifen und dabei noch spannend eine Geschichte am Köcheln zu halten. Der politische Konflikt verdichtet sich über 90 erzählte Jahre in der fiktiven Familie Kahn, aus der frömmelnde Eiferer, Soldaten in zahlreichen Kriegen und Siedler hervorgehen. Die Familie Kahn ist – im Roman – eng, nachbarschaftlich verwoben mit der historischen Figur des späteren israelischen Premierministers Ariel Scharon. Der war bis zum Jom-Kippur-Krieg 1973 als Offizier an allen militärischen Konflikten Israels beteiligt. Damals und in der darauf folgenden Zeit, als er mehrfach Ministerämter bekleidete, galt er als Hardliner und Protagonist der Siedlerbewegung. Als Ministerpräsident von 2001 bis 2006 setzte er dann den Abzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen durch. In diesem Spannungsfeld zwischen siedeln, wurzeln und dann Siedlung – sprich: Heimat – wieder aufgeben durchleben die Mitglieder der Familie Kahn stellvertretend die Schicksale der israelischen Bürger, die in ihrer Mehrheit einfach nur leben wollen; so wie ihre arabischen Nachbarn, ohne sich von Religion irritieren zu lassen – aber eben auch die Schicksale der Israelis, die von der Heimkehr des Messias überzeugt sind, wofür sie aber erst ganz Israel befreien müssen, also glauben Westbank und Gaza von Palästinensern befreien zu müssen.

Großes Drama im prallen Leben

Schätzing jongliert mit diesen fiktiven und realen Biografien derart behende, dass diese Welt vor unserem inneren Auge lebendig wird; wir stecken da mitten drin. Und dass es 400 Seiten braucht, um zum Inhalt des Klappentextes zu kommen, fällt gar nicht auf. Die Menschen, denen wir durch die Jahrzehnte folgen, sind so prall gefüllt mit Leben und Drama, dass es sogar schade ist, wenn Schätzing zwischendurch ins Jahr 2011 zum nach Afghanistan in Ungnade gefallenen Reporter auf der Suche nach einem neuen Lebenszweck springen muss. Denn bis der endlich seiner literarischen Bestimmung als Antiheld eines Thrillers mit dann grandios orchestrierter politischer Kolportage gerecht werden kann, erlebt er in Libyen nichtssagende Bomben- und Kugelhagelgefechte, die sich jeweils über mehr als zehn unübersichtliche Seiten ziehen und eigentlich in dem Satz "Es herrschte lebensgefährliches Chaos" zusammenfassen ließen.

Schätzings Schreibe ist bestes Kino im Kopf, ein Werk, für das Marketingabteilungen den Begriff "Pageturner" erfunden haben. Diese Kunst beherrscht er in "Breaking News" virtuos; aber auf den seitenlangen Kriegsbeschreibungen steigt meine Vorstellungskraft nach zwei Absätzen aus; den Rest lese ich dann unter mir weg und bin erleichtert, wenn die dröhnende, donnernde Actionschreibe wieder in Handlung mündet. Auch das aber zeugt ja von Könnerschaft: Auch Soldaten im Krieg sind schließlich erleichtert, wenn nach Boum & Bang & Duck & Cover durchgeatmet und wieder gelebt werden darf. Ein Roman wie Kino zwischen Buchdeckeln.

Ich habe "Breaking News" zwischen dem 26. Juni und 8. Juli 2025 gelesen.