England 1536: Hofdame Anna Boleyn weiß genau, was sie will: Die Krone von England.
Als König Heinrich VIII. auf das bezaubernde Geschöpf aufmerksam wird, ist es um ihn geschehen. Für die Scheidung von seiner ungeliebten ersten Gattin lässt er es sogar auf einen Bruch mit dem Papst ankommen.
Der Heirat mit Anna folgt die Geburt einer Tochter, doch Heinrichs Interesse hat sich bereits auf die nächste Schönheit verlagert …
„Die Welt wird von Männern regiert. Sie werden keine wahre Macht finden zwischen den Schenkeln einer Frau!“, ätzt Cardinal Wolsey. Und wie sehr er sich täuscht. Der Film tritt an, das Gegenteil zu zeigen.
In diesem Königsdrama bringt eine Frau die englische Krone an den Rand ihrer Verzweiflung. Ein junges Mädchen, dem, weil der König ein Auge auf es geworfen hat, böse mitgespielt wird, lernt bei Hofe schnell, die richtigen Fäden zu ziehen um zu bekommen, was es haben möchte. Solange sie den König auf Abstand halten kann, hat sie die Oberhand.
Da kann sogar Richard Burton (*November 1925) nicht gegen an. Er hat aber auch Genevieve Bujold (*Juli 1942) als Gegen-, Mitspielerin, die zwar aussieht wie ein hübsches kleines Pflänzlein, aber berechnend wie ein Heeresführer in der Schlacht agiert. „Bist Du also auch in des Kardinals Schule gegangen?“, fragt sie ihn. „Nein. Nein. Ich war bei einem wirklichen Meister, meinem Vater. Was es damals an Schurkereien noch nicht gab, als Heinrich VII. geboren wurde, erfand er, bevor er starb. Aber die eine, die wichtigste Lehre, die er mich zu befolgen hieß, lautete: Halte Dir immer die Kirche auf deiner Seite.“ „Nun, jetzt hast Du aber die Kirche auf einer Seite und Du hast mich auf der anderen Seite.“
Wunderbar die Szene, als Anne dem schmachtenden König im Beisein des Kardinals klarmacht, dass der Kardinal nicht nur reicher ist als der König sondern auch mehr Titel auf sich vereinigt. Und der Kardinal daraufhin plötzlich sehr klein ist. Es ist ein Mord-und-Totschlag-Drama und aller Mord und aller Totschlag findet nur über den Dialog statt. Und die Herrschenden berufen sich auf Gottes Wille; der sei es schließlich gewesen, der ihm, Heinrich, nur tote Söhne geboren, weil er sich mit der Spanierin Katharina in einer inzestuösen Beziehung befunden habe. So geht Machtspiel. Charles Jarrott fasst das in mächtigen Mauern, verschwörerischen Blicken und unbekümmert vorgetragenen Zoten auf höchster Ebene in weitläufigen Parkanlagen. Ein üppiges Fest auch fürs Auge.
Es wirkt wie eine Frage der Männerehre für den Schauspieler und Mann Richard Burton, dass Anne, als die erste Liebesnacht dann doch vor der Hochzeit vorbei ist, auf weitere Privilegien wie tote Bischöfe und zwingende Eheschließung verzichten will, weil der König, vulgo: Burton halt so gut war im Bett. Eine unangenehme Szene, weil sie nicht zu Annes bisheriger Charakterzeichnung passt: Die harte Strategin, die sich geschickt in den Wirren der Männerbünde über Wasser hält, ist plötzlich wachsweich in den Armen des Königs, Mannes, Befriedigers. Anne wird gespielt von einer leidenschaftlichen Geneviève Bujold (Der Dieb von Paris – 1967), die eben noch süß lächelt und im nächsten Augenblick kalte Härte in ihren Blick legt. Richard Burton ist Heinrich VIII (Agenten sterben einsam – 1968; "Die Stunde der Komödianten" – 1967; Der Widerspenstigen Zähmung – 1967; Wer hat Angst vor Virginia Woolf? – 1966; Der Spion, der aus der Kälte kam – 1965; Die Nacht des Leguan – 1964; Cleopatra – 1963; Der längste Tag – 1962; Das Gewand – 1953). Er ist es wahrlich. Gewohnt großspurig Tritte er auf, kann die Paläste Mitt seiner donnernden Bass-Stimme bis in die letzte Ecke durchdringen, ist flegelhaft, charmant, flehent wie klug. Die Besetzung ist großartig.
Der Film würfelt die historischen Begebenheiten ein wenig durcheinander. Hier ist Annes Schwester Mary bereits früher einfaches "Opfer" der königlichen Libido geworden und bereits unehrenhaft abgehakt. Tatsächlich war sie eine mit Sir William Carey verheiratete Frau, als Heinrich VIII auf sie aufmerksam wurde. Sir William spielt in diesem Film keine Rolle. Es gibt da auch noch manch andere historische Ungenauigkeit. Aber dies ist Kino, nicht Geschichtsstunde (s.u.). In den insgesamt 145 Minuten, die der Film dauert, entfaltet er ein kraftvolles, süffiges Panorama der Tudorzeit im 16. Jahrhundert, in der die Mächtigen in Staat und Kirche ihre Posten mit einer gewissen Ironie besetzen. Der Kardinal weiß ebenso wie der König, dass die Macht, die sie ausüben, lediglich ihrer Position geschuldet ist, nicht weil sie sonderlich geliebt würden. Sie halten die Anbetung ihrer Person zwar für selbstverständlich, wissen aber, dass sie der Angst geschuldet ist, weil sie Herr über Leben und Tod sind. Letztlich auch über die Frauen. Da aber nur im letzten Schritt, wenn sie eine Frau aufs Schafott schicken. Bis dahin hat die Frau, wenn sie klug handelt, jede Menge Macht in dieser Welt.
Für die Besetzung der Titelrolle war ursprünglich die argentinisch-britische Schauspielerin Olivia Hussey erste Wahl gewesen. Hussey hatte 1968 mit gerade einmal siebzehn Jahren in Franco Zeffirellis Verfilmung der Shakespeare-Tragödie "Romeo und Julia" ihren internationalen Durchbruch als Schauspielerin gefeiert, musste aber aufgrund von persönlichen Problemen die Rolle der Anne Boleyn ablehnen. Die 20-jährige französische Schauspielerin Claude Jade, die gerade mit Truffauts Geraubte Küsse (1968) bekannt geworden war und für Hitchcocks Topaz einen Sieben-Jahres-Vertrag mit Universal abgeschlossen hatte, stand ebenfalls zur Wahl. Die 28-jährige US-Amerikanerin Faye Dunaway, der ein Jahr zuvor in Hollywood als Titelheldin in Arthur Penns "Bonnie und Clyde" für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, lehnte die weibliche Hauptrolle in "Königin für tausend Tage" ab. Als Ersatz konnte Geneviève Bujold für den Part der Anne Boleyn gewonnen werden. Die charismatische 26-jährige frankophone Kanadierin hatte sich vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Alain Resnais für dessen Film "Der Krieg ist vorbei" (1966) einen Namen im französischen Kino gemacht. Dem amerikanischen Publikum war Bujold kaum bekannt, hatte sie in den USA und Kanada doch vorrangig in TV-Produktionen vor der Kamera gestanden.
"Königin für tausend Tage" gibt historisch korrekt an, dass die Vorwürfe gegen Anne Boleyn nicht der Wahrheit entsprachen. Moderne Biographien über sie sprechen sie frei von Ehebruch, Inzest oder gar Hexerei. Dennoch haben sich in Charles Jarrots Film einige historische Ungenauigkeiten eingeschlichen:
- Heinrichs Vernarrtheit in Anne Boleyn soll nicht das Ende der Ehe zu Katharina von Aragon besiegelt haben. Der englische König hatte laut Historikern schon seit mehreren Jahren eine Scheidung erwogen.
- Anne Boleyn war im Jahr 1527 nicht achtzehn Jahre alt. Ihr Geburtsdatum wird allgemein auf das Jahr 1501 festgelegt. Die Historikerin Retha Warnicke vertritt jedoch die Ansicht, dass Anne Boleyn im Jahr 1507 geboren wurde.
- Von der Eheschließung am 25. Januar 1533 bis zu ihrer Hinrichtung am 19. Mai 1536 vergingen 1.210 Tage, auch ab der Krönung am 1. Juni 1533 vergingen nicht 1.000, sondern 1.083 Tage.
- Anne Boleyn soll es nicht darauf angelegt haben, Kardinal Wolsey zu vernichten; sie wendete sich aber im Jahr 1529 gegen ihn.
- Es gibt keinen Beweis dafür, dass Heinrichs und Annes Ehe nach der Geburt von Tochter Elizabeth im Jahr 1533 auseinanderfiel. Das Zerwürfnis zwischen den beiden soll erst sehr viel später begonnen haben.
- Anne Boleyn soll nicht ihren Ehemann dazu veranlasst haben, Thomas More töten zu lassen. Diese Legende über die zweite Gemahlin Heinrichs VIII. soll erst eine Generation nach ihrem Tod entstanden sein. More soll sich niemals geweigert haben, Anne Boleyn als Königin anzuerkennen; tatsächlich schickte er 1533 einen Brief an König Heinrich, in dem er dafür betete, dass Anne bald Kinder gebären würde, und der neuen Königin seine Loyalität aussprach. Er starb, weil er Heinrich VIII. nicht als neues Oberhaupt der anglikanischen Kirche anerkennen wollte.
- Anne Boleyns Ehe mit dem König wurde annulliert, ohne dass ihr gegen die Zustimmung die Freiheit angeboten wurde. Der weiseste Weg für Anne Boleyn, Elizabeth zu schützen, war, alle Forderungen von Heinrich VIII. zu akzeptieren, obwohl nicht bekannt ist, ob Anne völlig kooperierte oder ihre Feinde dies behaupteten.
- Der Film deutet an, dass Anne Boleyn ihre Unschuld bereits verloren haben könnte, als sie auf König Heinrich traf, was aber laut Ansicht der Historiker nicht zutrifft. Quellen in Frankreich und die Recherchen der Historiker Eric W. Ives und Retha Warnicke besagen, dass Anne Boleyn bis zur heimlichen Hochzeit 1532/1533 mit Heinrich VIII. noch Jungfrau war.
- Heinrich VIII. soll sich niemals in den Prozess von Anne Boleyn eingemischt haben. Außerdem soll ihr niemals die Möglichkeit gegeben worden sein, Zeugen zu befragen. Heinrich und Anne sollen sich das letzte Mal bei einem Turnier getroffen haben, einen Tag bevor sie unter Arrest gestellt wurde.