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Plakatmotiv: Chantal im Märchenland (2024)

Eine fröhliche Albernheit mit
einer hinreißenden Jella Haase

Titel Chantal im Märchenland
Drehbuch Bora Dagtekin
Regie Bora Dagtekin, Deutschland 2024
Darsteller

Jella Haase, Gizem Emre, Mido Kotaini, Max von der Groeben, Maria Ehrich, Nora Tschirner, Frederick Lau, Cooper Dillon, Alexandra Maria Lara, Elena Uhlig, Maria Happel, Nico Stank, Ben Felipe, Milena Tscharntke, Jasmin Shakeri, Jannik Schümann, Paula Kober, Nikeata Thompson u.a.

Genre Komödie, Märchen
Filmlänge 118 Minuten
Deutschlandstart
28. März 2024
Inhalt

Chantal ist immer noch die ewige Influencerin – nur leider ohne Follower. Da gelangen sie und ihre beste Freundin Zeynep an einen antiken Spiegel, den sie für ein Social Media-Gimmick halten. Doch wie durch Zauberhand geraten sie durch den Spiegel in eine verwunschene Märchenwelt. Für Chantal die perfekte Gelegenheit – denn als Prinzessin kann man wohl den besten Content erstellen, oder?

Dort angekommen, können die heiratswilligen Prinzen ihren Augen nicht trauen. So eine krasse Prinzessin haben sie noch nie erlebt! Rasch stellen die beiden Freundinnen Chanti und Zeynep fest, dass sie nicht in irgendeinem Märchen gelandet sind, sondern ausgerechnet in "Dornröschen"! In der Welt der Feen und Hexen läuft vieles anders, als in den Geschichten der Gebrüder Grimm geschrieben steht.

Von nun an bekommen es die beiden Freundinnen mit Prinzessin Amalia zu tun, deren größter Traum es eben nicht ist, verheiratet zu werden, mit dem romantischen Prinzen Bosco, der noch immer nicht herausgefunden hat, was er aus seinem Leben machen will; Aladin hat noch nie etwas von einem fliegenden Teppich gehört und Sansara ist keine Hexe, wie sie im Buche steht.

Zwischen all dem Chaos müssen Chantal und Zeynep nun versuchen, einen Weg zurück in ihre eigene Welt zu finden …

Was zu sagen wäre

Das Zeitalter der Wahrheit ist das Zeitalter der Frauen. Als es im Königreich anbricht, hat eine Königin den König abgelöst, der erste Ritter ist eine Ritterin, der heiratsunwillige Prinz darf endlich mit seinem geliebten Knappen in den Sonnenuntergang reiten, die verfemten Hexen sind rehabilitiert und als das in die Gemeinschaft wieder aufgenommen, was sie immer waren, nämlich Hebammen. Die herrischen Männer, die bisher das Zepter schwangen, sind in kleine Jungs verwandelt worden, denen fortan die richtige Erziehung anheim gegeben wird.

In der Geschichte des Kinos gab es schon die ein oder andere Neuschreibung klassischer Märchen, die Shrek-Filme aus den Nuller-Jahren sind wohl die bekanntesten Anpassungen an den Zeitgeist, 2014 machte Angelina Jolie aus der bösen Hexe Maleficent die vom König betrogene, rechtschaffene Rächerin und gerade erst hat Millie Bobby Brown in Damsel das Drama mit dem Drachen in der Höhle auf emanzipierte Füße gestellt. Bora Dagtekin nimmt dem Märchen jetzt auch noch den Chauvinismus, den sie zunehmend unangenehm mit sich herumschleppen – ein Prinz, der eine Mausetote küsst und sie um Leben erweckt? Prinzessinnen, die auf ihren Prinz warten? Rotkäppchen, das mit einem Brotkorb, aber unbewaffnet durch den dunklen Wald läuft? Das kann nicht so weitergehen im 21. Jahrhundert, in dessen Gesellschaft die gendergerechte Sprache schon so tief eingedrungen ist, dass Politiker damit punkten können, sie in amtlichen Verlautbarungen zu verbieten.

Es ist ausgerechnet Chantal – „Chantal, wie dumm bist Du?“ – aus dem Fack ju Göhte-Universum, die dem Chauvinismus der Grimm'schen Märchen zu Leibe rückt. Die Wanna-be-Influencerin tingelt ziellos durch ihr nachschulisches Leben, will nicht arbeiten und hat Angst, dass ihre beste Freundin Zeynep, sobald die eine Stelle im Rechtsanwaltsbüro hat, sie vergisst. Dann fallen die beiden durch einen Spiegel und der verblüffend hintergründige Klamauk beginnt. Als der Prinz sich also über das vermeintliche, seit 100 Jahren schlafende Dornröschen, Chantal, beugt – „Euer Temperament ist wie ein Feuer, das nur ein Kuss zu löschen vermag.“ –, um es mit einem Kuss zu erretten, reißt dieses die Augen auf, scheuert dem Prinz eine und faucht „Ers'ma' stellt man sich vor, wenn man schon keine DM schickt!!“ Daktekin dekonstruiert die Märchenwelt mit der wichtigen Erkenntnis: „Hier ist hier nicht Instagram! … Hier ist Twitter!“, warnt Zeynep ihre BFF Chantal.

Was dann passiert, folgt weniger den Regeln einer Filmdramaturgie, als der einer Nummernrevue. Chantal muss als gewandeltes Dornröschen dem Prinzen zu dessen homosexuellem Glück verhelfen, einer Prinzessin klar machen, dass der Ritter, den sie liebt, ein dummer Macho ist, der sie als eigenständige Person überhaupt nicht wahrnimmt und schließlich gegen den Drachen antreten, dem sie mit einer lustigen App auf ihrem neuesten Produkt aus südkoreanischer Smartphone-Schmiede beikommt. Zwischen diese Ecksteine packt Daktekin die bewährte Sprechsprache aus der Goethe Gesamtschule, präsentiert von einer hinreißenden Jella Haase. „Ich habe schon vier Jahren Stephen King's It zum Frühstück geguckt“, droht Chantal der Hexe: „Mein Märchen fickst Du nicht!“ Und als der Mega-GAU eintritt, der Akku des Handys ist leer: „Isch kotze. (…) Isch will Disch nisch' heiraten. Schon gar nicht ohne WLAN und Akku!“ „Du darfst zur Hochzeit einladen, wen immer Du willst!

Auf dem Höhepunkt greift die große Politik in die Märchenwelt ein. Es stellt sich heraus, dass die gruselige Hexe nur ein mega angepisstes Opfer des neuen Königs ist: „Es heißt, wir Schwestern essen Kinder. Dabei waren wir Jahrhunderte lang Hebammen. Unsere Kräfte waren beliebt, bis der König an die Macht kam!“ Im Bildhintergrund krabbeln derweil vergnügt die Geschwister Hänsel und Gretel herum, keineswegs im Ofen verfeuert, sondern von der Hexe mit strenger Hand wollte erzogen. Das erinnert an Donald Trump und die QAnon-Verschwörer mit ihrer Mär, in der alte weiße Demokraten in einem Pizzeriakeller das Blut junger Kinder trinken, um selber jung zu bleiben.

Ein vergnüglicher Abend im Kinosessel, der statt cineastischer Kunst lediglich mittelmäßige Spezial Effekte serviert, aber lauter Dialoge mit Zitier-Potenzial.

Wertung: 5 von 8 €uro
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