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Plakatmotiv: Helden der Wahrscheinlichkeit (2020)

Unfälle, Mord und Totschlag.
Ein unglaublich lustiger Film.

Titel Helden der Wahrscheinlichkeit
(Retfærdighedens ryttere)
Drehbuch Anders Thomas Jensen
nach deiner Idee von Nikolaj Arcel
Regie Anders Thomas Jensen, Dänemark, Schweden, Finnland 2020
Darsteller

Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Gustav Lindh, Roland Møller, Albert Rudbeck Lindhardt, Henrik Noël Olesen, Klaus Hjuler, Peder Holm Johansen, Christina Ibsen Meyer, Rikke Louise Andersson, Jesper Ole Feit Andersen u.a.

Genre Action, Komödie, Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
23. September 2021
Website helden-der-wahrscheinlichkeit.de
Inhalt

In Ottos Leben spielen Zahlen eine sehr wichtige Rolle. Der Statistiker beschäftigt sich mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen. In der S-Bahn bietet der Mathematiker einer Frau seinen Sitzplatz an. Kurz darauf entgleist der Zug und die Frau und viele andere kommen ums Leben. Otto ist gemeinsam mit seinen Kollegen Lennart und dem Hacker Emmenthaler davon überzeugt, dass der Unfall ein gezielter Anschlag auf einen Kronzeugen war, der ebenfalls im Zug mitfuhr. Bei der Polizei findet er damit aber kein Gehör.

Auf eigene Faust ermittelt er zusammen mit seinen Nerd-Kollegen Lennart und Emmenthaler und wendet sich mit seiner Theorie an Markus, den Witwer der verstorbenen Frau. Der, ein emotionsgestörter Berufssoldat mit Problemen in der Impulskontrolle, ist sofort Feuer und Flamme. Vor allem, weil es ihn ablenkt von den Forderungen seiner Tochter, sich einer Trauertherapie zu unterziehen – mit so etwas kann Markus gar nichts anfangen.

Otto und seine Freunde haben durch ihre Berechnungen die Rockergang Riders of Justice als Täter ausgemacht. Deren Boss steht vor Gericht und durch das Zugunglück ist eben auch der Kronzeuge gegen den Rockerboss ums Leben gekommen. Das kann Witwer Markus nachvollziehen. Er sinnt auf Rache.

Bald bilden er und die drei Mathematiker ein Quartett, dass die gesamte Rockergang töten will, während Tochter Mathilde begeistert von den drei Nerds ist, weil sie die für Traumatherapeuten hält, die der Vater endlich in sein und ihr Leben lässt …

Was zu sagen wäre

Wenn der Freund seiner Tochter ihn belehrt, setzt er dem eine schallende Ohrfeige mit mehrtägigem Veilchen. Wenn ein Verdächtiger in einem Mordkomplott im blöd kommt, entreißt er ihm die Waffe und bricht ihm das Genick. Darüber ist im Nachhinein immer selbst am meisten bestürzt: „Es tut mir leid, das war ein Fehler“, sagt er dann. Aber sonst ist Markus eigentlich ein ganz normaler Ehemann und Vater, der gerade seine Frau zu Grabe getragen hat und den Gedanken an Trauerarbeit, Therapie und wie all diese neumodischen Begriffe heißen, von sich schiebt. Er ist Soldat und hat gelernt, was zu tun ist, wenn ein Feind angreift.

Otto ist da anders. Er lebt, weil er einer Frau – Markus' Frau – seinen Sitzplatz angeboten hat. Wie wahrscheinlich ist das? Er klemmt sich hinter das Zugunglück und stellt fest: Zu vieles hier stimmt nicht. Die Faktoren, die zusammen zum Zugunglück führten, hätten eine Wahrscheinlichkeit von eins zu zig Millionen. Auf gehackten Überwachungsvideos entdeckt er einen Mann, der unmittelbar vor dem Unglück den Zug verlässt und einen teuren Hamburger sowie eine teure Limo einfach wegwirft, kaum, dass er abgebissen habe. „Wie wahrscheinlich ist das?“, fragt er seine Nerd-Freunde und Markus und präsentiert in dem geheimnisvollen Mann den Drahtzieher eines Attentates auf den Kronzeugen im Zug, der, ein pathologisch zwanghafter Mann, immer und immer auf demselben Platz in der Bahn sitzt.

Wie wahrscheinlich ist das? Alles jedenfalls wahrscheinlich genug, dass wir im Zuschauersessel die Schlussfolgerungen als Gewissheit nehmen: Da hat es viele Tote gegeben, weil eine Rockergang in einem grotesken Terrorakt den Kronzeugen gegen ihren Boss aus dem Weg räumen will. Anders Thomas Jensen ("Adams Äpfel – 2005; "Dänische Delikatessen" – 2003) schlägt all den Checkern im Kinosaal, die schon wissen, was passieren wird, ein Schnippchen. Es passiert meistens was anderes als das, was wir erwarten. Den Film in eine Genrebezeichnung wie "Komödie" zu quetschen, geht nicht. Klar, viele Situationen sind zum Brüllen komisch. Aber eigentlich befinden wir uns in einem furchtbaren Drama mit ungewissem Ausgang – Stichwort Genickbruch, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung; alles Themen in diesem Film, der aber so leicht daher kommt, wie eine Komödie über eine Gruppe von Fachidioten, die sich in die falsche Freizeitbeschäftigung verrennen.

Der Film feiert die Kunst eines gelungenen Drehbuchs. Er dauert keine zwei Stunden. Dennoch lernen wir die sieben Hauptfiguren – Witwer Markus, die Nerds Otto, Lennert und Emmenthaler, Tochter Mathilde, deren Freund Sirius sowie den ukrainischen Strichjungen Bodashka – so gut kennen, dass sie uns alle ans Herz wachsen; jeder eine Geschichte, niemand ist hier einfach nur so da. Plakatmotiv (orig.): Oikeuden Metsästäjät (2020) Diese einfachen Menschen werden durch Markus' mangelnde Impulskontrolle auf einen Trip geschickt, gegen die der durchschnittliche Marvel-Film aktueller Prägung ein überraschungsarmer Langeweiler ist. Und das alles, weil sich ein Mädchen in Island ein blaues Fahrrad zu Weihnachten wünscht und daraufhin Tochter Mathilde in Dänemark ihr blaues Fahrrad geklaut wird. Jensen entwirft eine Logik der Ereignisse, der wir uns nicht entziehen können und die in einem kleinen unscheinbaren Städtchen in Dänemark die Hölle losbrechen lässt: Schießereien auf offener Straße, kaltblütige Morde. Sowie hitzige Debatten über die einzig richtige Bildschirmauflösung und die notwendige Genauigkeit von Gesichterkennungssoftware.

Im Mittelpunkt steht, wie in allen Filmen von Anders Thomas Jensen, Mads Mikkelsen (Der Rausch – 2020; Star Wars: Rogue One – 2016; Doctor Strange – 2016; Die drei Musketiere – 2011; Kampf der Titanen – 2010; James Bond 007: Casino Royale – 2006; "Adams Äpfel" – 2005). Mit kahl rasiertem Schädel und großem Bart erkennt man ihn erst auf den zweiten Blick. Sein Markus ist ein großer Schweiger, der ausführt, was er androht und der sich ganz in die Verfolgung der Killer seiner Frau verbeißt und spät merkt, dass ihm seine Rache nicht weiterhilft. Ein Mann, der an seinen Ansprüchen an sich als Mann scheitert. Darin ähnelt er seinen Mitstreitern, Informatiker und Mathematiker, ausgewiesene Könner auf ihrem Spezialgebiet, aber mit emotionalen und psychischen Defiziten, allesamt nicht gesellschaftsfähig. Männer, die die Gesellschaft aussortiert hat. Die jetzt zeigen, was sie wirklich drauf haben und, dass die Gesellschaft vielleicht ein bisschen besser auf diese Männer hätte aufpassen sollen. In diesem Film ist ihre Chance gekommen, den Spieß umzudrehen, sich zu rächen für all die Dinge, die in ihrem Leben schiefliefen. Logisch: Die Geschichte ist zwei Nummern zu groß für sie, sie sind ja keine Schwarzeneggers. aber sie haben Bananenjuchen: Natürlich ist die Sache eine Nummer zu groß für sie: „Bringen wir das hier als Team über die Bühne. Und dann fahren wir nach Hause und essen Bananenkuchen.“ „Genau!“ Die ahnungslosen Rocker haben keine Chance gegen so unwahrscheinliche, also unberechenbare Gegner: „Was haben wir Euch eigentlich getan?“, will der Rockerboss noch wissen. Er wird es nicht mehr erfahren.

Eigentlich möchte man all diese deformierten Seelen andauernd in den Arm nehmen und trösten.

"Helden der Wahrscheinlichkeit" ist ein unglaublich lustiger Film. Das ist erschreckend, weil er doch so politisch unkorrekt ist, moralisch fragwürdig. Und weil wir immer an den Stellen am heftigsten lachen, an denen uns das Lachen eigentlich im Halse stecken bleiben sollte.

Wertung: 8 von 8 €uro
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