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Plakatmotiv: Kamikaze 1989 (1982)

Eine quietschbunte Pseudobedeutung aus
der Hand zurück gelassener Autorenfilmer

Titel Kamikaze 1989
Drehbuch Robert Katz + Wolf Gremm
nach dem Roman "Mord im 31. Stock" (Mord på 31:a våningen) von Per Wahlöö
Regie Wolf Gremm, BRD 1982
Darsteller

Rainer Werner Fassbinder, Günther Kaufmann, Boy Gobert, Arnold Marquis, Richy Müller, Nicole Heesters, Brigitte Mira, Jörg Holm, Hans Wyprächtiger, Petra Jokisch, Andreas Mannkopff, Ute Koska, Frank Ripploh, Hans-Eckart Eckhardt, Christoph Baumann u.a.

Genre Thriller, Science Fiction
Filmlänge 106 Minuten
Deutschlandstart
16. Juli 1982
Inhalt

Im Jahr 1989 wird die öffentliche Meinung der Bürger der Bundesrepublik Deutschland von einem einzigen Konzern beherrscht. Doch dann gibt es plötzlich eine Bombendrohung und der schmuddelige Polizeileutnant Jansen nimmt die Ermittlungen auf – ein Mann, der niemals im Dienst lacht und der bisher noch jeden seiner Fälle lösen konnte.

Doch als Jansen im Hochhaus des Konzerns feststellt, dass es einen geheimen 31. Stock gibt, wird der Fall heikler als gedacht …

Was zu sagen wäre

Wir schreiben das Jahr 1982. Kino-Deutschland ist aufgerieben zwischen intellektuellen Autorenfilmern, dem cineastisch eigentümlichen Reichtum aus der Hand des Vielfilmers Rainer Werner Fassbinder sowie den als kommerziell verschrieenen Filmproduktionen von Bernd Eichinger und Wolfgang Petersen wie Das Boot (die Verfilmung von Michael Endes Die unendliche Geschichte als Fantasy-Spektakel ist in Vorbereitung. Eine kleine, aufmüpfige Gruppe von Filmemachern versucht, dem etwas entgegenzusetzen. Wolf Gremm präsentiert das neue Neue Deutsche Kino!

Das zukünftige Deutschland aus der Sicht von 1982. Ein Land, das auf den ersten Blick keine Probleme hat. Perfektionismus und scheinbare Idylle beruhen auf totaler Kontrolle, Manipulation und Angst. Ein Konzern, der die Medien und die Politik kontrolliert, nicht aber den störrischen, exzentrischen Polizeileutnant Jansen, der zu Hilfe gerufen wird, als den Konzern eine Bombendrohung erreicht. Im Zentrum des Films steht die Frage: Kann der Alkoholiker mit der untersetzten Figur, der bislang jeden seiner Fälle gelöst hat, die bundesdeutsche Denkerelite ausschalten?

Das Setting ist eines in der nahen Zukunft. In sieben Jahren haben die Deutschen die Nase voll von sozial-liberaler Politik à la Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher und haben eine Art Saubermann-Diktatur etabliert: „Wir verbieten den Alkohol, weil er die Menschen aggressiv macht. Dann schaffen wir Lebensverhältnisse, die die Leute dazu zwingen, sich sinnlos zu betrinken. Und wir prügeln sie dann deswegen halbtot“, klagt Anton, der Assistent von Leopardenprint-Anzugträger Jansen.

Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie. Hier kann man auch sagen: Wir haben kein Budget, aber wir drehen trotzdem. Oder: Wir können es nicht, tun es aber dennoch. Schließlich können wir ja nix dafür, dass wir kein Budget haben, weil wir auf deutsch drehen müssen, dem internationalen Markt also verschlossen bleiben. Aber hey: Wir haben Rainer Werner Fassbinder!!!

Und als der Film dann in die Kinos kommt, ist Fassbinder unter großem Bedauern der Filmcommunity, des deutschen Feuilletons und in Begleitung lauter großer Schlagzeilen, leider schon tot und man kann den Film als „Rainer Werner Fassbinder in seinem letzten Film“ verkaufen. Es bleibt aber dabei: Der Film sieht so pappmachéhaft aus, wie die ersten Star-Trek-Folgen Mitte der 60er Jahre mit ihren Comicfiguren vor gelben, grünen und roten Scheinwerfern. Plakatmotiv (US): Kamikaze 1989 (1982) Originell ist da nichts: Zwischendurch referiert ein astrologischer Polizeicomputer Jansens individuelles Horoskop und hat Husten – Öhö-Öhö. Das ist Wolf Gremms Level an Originalität, das er mit unbeholfen kopierter Großstadtästhetik aus Walter-Hill-Filmen wie Die Warriors oder Driver mixt, und schickt Fassbinder als Polizeileutnant Jansen mit einem Elan durch die abgerissenen Kulissen, der an ein Faultier mit Gedächtnislücken erinnert – das aber immerhin in einem schlecht sitzenden Anzug mit Leopardenprint (daraus wird sich das Fassbinder-verliebte deutsche Feuilleton schon seine Bedeutung stricken). Jansens Vorbilder Philip Marlowe und Sam Spade würden im Grab vor Langeweile sterben.

Wolf Gremm, Jahrgang 1942, also kein junger Wilder mehr, würfelt Elemente aus Kino-Dystopien zusammen, die Hollywood in der letzten 15 Jahren auf die Leinwand gebracht hat – elaborierte Gefängnis- und Verhörfolter, einen seelenlosen Konzern, einen immer nur über Bildschirm zugeschalteten, bellenden Polizeichef, ein Medienkonzern, der mit Bildern das Volk manipuliert und für Brot & Spiele sorgt – und füllt damit eine müde Kriminalstory, die von am Schreibtisch erfundenen Dialogen lebt wie diesem: „Damit hat man Sie in der Hand, Polizeileutnant.“ „Vermeiden Sie überflüssige Gedanken, Anton! Sie sind mir gefolgt.“ „Ich muss mit Ihnen reden. Privat!“, betont Assistent Anton, während die beiden ganz allein auf weiter Flur sind. „Ich war …“ fährt Anton fort, „ich habe eine Person gefunden, die bestimmte Dinge weiß. Über den Konzern. Ich habe letzte Nacht mit ihm Kontakt aufgenommen. Er sagt …“ „Aber Anton, das wissen wir doch längst. Es handelt sich da um einen Proko, nicht wahr?“ Wer spricht so im realen Leben: „Ich habe mit ihm Kontakt aufgenommen“? Dialoge wie dieser, die den Film wie ein Krebsgeschwür durchziehen, noch dazu mit schlechten Mikrofonen aufgezeichnet, kann kein Schauspieler, und sei er ein noch so guter, so sprechen, dass sie lebendig klingen. Und so laufen nach kurzer Zeit Plastikfiguren durch 80er-Jahre Betonarchitektur, ausgeleuchtet mit Comic-Licht, und erzählen eine Plastikstory, die keine Spannung entwickelt.

Das ist also die filmkünstlerische Antwort auf Kinofilme aus Frankreich, Italien und … den USA – auf Filme wie "Mein Essen mit André" (Louis Malle, 1981), Wenn der Postmann zweimal klingelt (Bob Rafelson, 1981), Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (Uli Edel, 1981), Die Sensationsreporterin (Sidney Pollack, 1981), "Der Saustall" (Bertrand Tavernier, 1981), Jäger des verlorenen Schatzes (Steven Spielberg, 1981), oder "Fitzcarraldo" (Werner Herzog, 1982)?

Ich selbst habe gerade erst ein Praktikum im Kopierwerk der Bavaria Filmstudios in München begonnen. Mein Ziel: Ich möchte dereinst selbst Filme drehen und arbeite auf einen Studienplatz an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München hin. Ich fürchte, wenn Wolf Gremms "Kamikaze 1989" die Leitlinien setzt, habe ich in München als Kellner mehr Chancen auf ein auskömmliches Einkommen.

Wertung: 1 von 9 D-Mark
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