Teenagerin Jesse ist neu in Los Angeles, schwimmt aber von Anfang an auf der Erfolgswelle im Modelbusiness: Während für ihre Konkurrenz die Casting-Türen meist verschlossen bleiben, wird das Nachwuchsmodel überall mit offenen Armen begrüßt. Das Mädchen hat das gewisse Etwas, jene unbedarfte Natürlichkeit, wonach sich die Branche verzehrt.
Sie zieht in ein heruntergekommenes Motel und findet schnell Anschluss in der fremden Stadt: Stylistin Ruby bemerkt, was für ein Talent in Jesse steckt und will ihr dabei helfen, den Traum von der Modelkarriere zu verwirklichen. Wenig später hat Jesse mit Jan dann auch schon eine Top-Agentin und wird von einem Fotografen zum nächsten geschickt – mit ihrer anmutigen Eleganz zieht sie alle in ihren Bann. Die junge Frau, naiv und betont keusch im Auftreten, taucht immer tiefer in die Glitzerwelt aus dekadenten Partys und schicken Shootings ein.
Doch die oberflächliche Modewelt funktioniert getreu dem Motto: Für jedes neue Gesicht muss auch ein altes weichen. Konkurrentinnen wie den Models Sarah und Gigi bleibt nicht verborgen, wer da zum neuen Liebling der Szene aufsteigt. Bald wird es für Jesse sehr gefährlich …
Der doppelte Boden des Nicolas Winding Refn
Bei Refn freilich kommt eine zweite Ebene hinzu. Es wäre kein Film von "NWR", der uns mit dem brutalen Ausbruch im Showdown von Drive (2011) überrascht und mit der artifiziellen Grausamkeit in Only God forgives (2013) geschockt hat, wenn da unter der schönen Mode-Fassade nicht ein Dämon lauerte. So einfach lässt der Däne seine Zuschauer nicht von der Angel. In vielen Details wirkt er, wie ein Gegenentwurf zu Only God forgives. Der Film ist sehr bunt, er schwelgt in Tageslicht, die Menschen sind dem Schönen und Guten zugetan – und gnadenlos in der Auslese.
„Ich bin ein Geist. Unsichtbar!“, klagt Model Sarah angesichts der unschuldigen Schönheit Jesses, die einen nasskalten Raum im Winter betreten könne und sofort als wärmende Sonne gesehen werde. „Schönheit ist nicht alles“, schmeißt der Modedesigner dem Model Gigi vor die Füße, die stolz erzählt, ihr Schönheitschirurg nenne sie seine Bionic Woman. „Schönheit ist das Einzige!“, setzt der Modedesigner hinzu und verzehrt mit seinen Blicken de unschuldig dreinschauende Jesse.
Die wunderbare Elle Fanning
Wo soll das enden? Refn hat sich bisher nicht als Mann etabliert, der eine einfache Erfolgsstory mit schönen Bildern verpackt. Und er erzählt dann auch keine Erfolgsstory. Dass unter "Genre" bei diesem Film "Horror" steht, ist kein Schreibfehler. Damit ist nicht der Horror gemeint, den ein Zuschauer im Kino vielleicht bei der glatten Oberflächenwelt der Models und deren Party-Smalltalk empfindet. Refns Horror wird – wieder erst im letzten Akt – sehr real (und hier nicht verraten). Jesse betritt diese Welt als die unberührte Blume. „Ich habe kein Talent“, sagt sie, „Ich kann nicht schreiben, nicht malen, nicht singen. Ich bin einfach nur sehr schön!“ Andere Frauen, sagt sie später noch, würden morden, um eine Art zweite Besetzung ihrer Schönheit zu werden.
Elle Fanning ist die perfekte Wahl für die Rolle. Ihren Jungmädchen-Rollen ist die 18-Jährige auch hier noch nicht entschlüpft (Trumbo – 2015; Maleficent – 2014; Ginger & Rosa – 2012; Wir kaufen einen Zoo – 2011; Somewhere – 2010), muss aber erstmals die Hauptlast des Films stemmen, was sie mit derselben unschuldigen Eleganz tut, mit der ihre Jesse die anderen Bionic-Woman-Models aus dem Feld schubst. Ms. Fanning hat in den vergangenen Jahren eine interessante Auswahl an Rollen gespielt – unvergessen ihr Spiel in J.J. Abrams Spielberg-Ode Super 8 (2011). In Refns "Neon Demon" hat sie mutig ein Regal zu hoch gegriffen – diese 16-jährige Jesse, die stets behaupten soll, 19 zu sein, hat Fanning nicht durchgehend im Griff, es gibt kurze Momente, da übernimmt der brave Jungmädchen-Charme, den sie von früher beherrscht, wenn eigentlich etwas Herangewachsenes, Verschlagenes gefragt ist; aber die großen Momente ihrer Rolle sitzen dann wieder.
Dem ambivalenten Film, der es weder dem Arthouse- noch dem Thriller- und auch nicht dem Horrorpublikum einfach macht, war an der Kinokasse kein großer Erfolg beschieden. Den geschätzt sieben Millionen Dollar Produktionskosten liegt nur ein Einspiel von etwa 3,4 Millionen Dollar gegenüber.